Kalte Sonne. Johannes Epple

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Kalte Sonne - Johannes Epple

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Christina lachte. Sie setzte sich an den Esstisch beim Fenster und ließ einen Apfel über die Tischplatte rollen. »Wegen Eiweiß-Pulver hat sie sicher nicht zu Valium gegriffen. Sie sind Arzt?«

      »Wien. Donauspital«, antwortete ich. »Herz-Thorax-Chirurgie.«

      Christina wischte den Apfel am Tischtuch ab und biss ab.

      »Ein Typ, der sie besucht, meinte, Miriam sei super natty gewesen.«

      »Super natty?«

      »Das sagen sie in der Szene für total natural.«

      »Wer ist der Typ? Einer von den angeblichen Brüdern und Neffen?«

      »Er scheint wirklich zu ihr zu gehören.«

      »Warum wollen eigentlich so viele Leute Miriam besuchen? Sie war bekannt, okay, aber sie war kein Filmstar.«

      »Kennen Sie sich mit der YouTube-Fitness-Szene aus? Es gibt Athleten und Kommentatoren. Es gibt Kritiker und Fitness-Journalisten. Es gibt eigene Talkshows von YouTubern mit YouTubern über ihre Helden. Es hört sich irre an, aber irgendein YouTuber hat behauptet, Miriam liege nicht im Koma, sondern sei kerngesund. Das hat scheinbar eingeschlagen. Er bekam Klicks. Er machte eine richtige Verschwörungstheorie-Doku mit Leuten, die Miriam in ihrem Homegym gesehen haben wollen.«

      »Meine Schwester ist also ein Fitness-Elvis«, sagte ich.

      »So in etwa«, antwortete Christina und biss wieder in den Apfel. »Die Leute wollten sich überzeugen, ob sie wirklich auf unserer Station liegt. Inzwischen sollte sich die Wahrheit herumgesprochen haben, aber ein paar Idioten haben es immer noch nicht kapiert.«

      »Wer ist der Typ, der wirklich zu ihr zu gehören scheint?«

      »Zum ersten Mal besuchte er sie gleich nach der Aufnahme. Er war bei ihr im Zimmer und hat keine Probleme gemacht. Er hat nie gesagt, in welchem Verhältnis er zu Miriam steht. Anfangs haben wir danach auch nicht gefragt. Es war seine Idee, Helene von der Säuglingsstation zu holen und sie für ein paar Stunden neben Miriam zu legen.«

      Das Gerät zur Überwachung von Miriams Herzrhythmus piepste. Am Gang hörte ich Männer lachen. »Meinen Sie, dass er Helenes Vater ist?«

      Ihr Misstrauen kehrte zurück. »Warum interessiert Sie das? Sie waren sechs Monate lang nicht da, und jetzt stellen Sie mir Fragen, auf die Sie die Antworten selbst kennen müssten?«

      Ich hatte keine Lust, unsere Familienangelegenheiten mit einer fremden Pflegedienstleiterin zu besprechen. »Ich habe einiges versäumt«, sagte ich deshalb nur.

      »Miriams ganze Familie hat sich rar gemacht. Ihre Mutter ist angeblich zu alt, Vater hat sie anscheinend keinen, aber das wissen Sie ja wohl. Der Typ, der sie immer besucht, ist um einige Jahre jünger als Miriam. Ich weiß nicht, wie er zu ihr steht, aber ich glaube nicht, dass er Helenes Vater ist.«

      »Haben Sie seine Adresse?«

      »Wir fragen im Normalfall, und damals war das noch ein Normalfall, Besucher nicht nach ihrem Namen. Sie kommen. Sie gehen. Mehr ist nicht.«

      »Wie sieht er aus?«

      »Er ist auch ein Fitness-Typ. Er trägt meistens einen Kapuzenpullover von einem bekannten Hamburger Fitnessstudio. Backyardgym.«

      »Sonst noch etwas?«

      »Es geht um Helene?«, fragte sie.

      Ich nickte.

      »Gut. Lassen Sie mich nachdenken. Er hat ein Tattoo am Unterarm. Das hat ja schon fast jeder. Seines ist rot. Vielleicht hilft Ihnen das.«

      Ich gab Christina meine Karte. »Ich würde den jungen Mann gerne kennenlernen«, sagte ich. »Rufen Sie mich an, wenn er da ist?«

      Ich blickte in Miriams eingefallenes, von dunkelblauen Äderchen durchzogenes Gesicht.

      »Soll ich Sie alleine lassen?«, fragte Christina.

      Gleich darauf rastete die Tür ein. Ich wartete noch ein paar Minuten. Dann gab ich ihr einen Kuss auf die Stirn und ging ebenfalls.

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