Woher wir kommen. Wohin wir gehen.. Johannes Huber

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Woher wir kommen. Wohin wir gehen. - Johannes Huber

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er würde es nicht lösen können. So macht man sich Feinde. Galilei reklamierte den Ruhm vieler Entdeckungen für sich und posaunte sie hinaus, auch wenn sie überaltert waren.

      Seine Egozentrik reichte so weit, dass er in sich überhaupt den Einzigen sah, der irgendetwas Neues entdeckte. Seinem Anhänger Orazio Grassi, Astronom, Mathematiker, Architekt und Jesuit, der unter dem Pseudonym Sarsi publizierte, schrieb er: »Sie können daran nichts ändern, Herr Sarsi, dass es mir alleine gegeben wurde, alle die neuen Phänomene am Himmel zu entdecken und niemandem sonst. Das ist die Wahrheit, die weder Böswilligkeit noch Neid unterdrücken kann.«

      Die andere Wahrheit ist: Galileo hat sehr viel entdeckt, noch viel mehr aber nicht. Weder Trägheitsgesetz noch die Parallelogramme zu Kraft und Bewegung noch die Entdeckung der Sonnenflecken gehen auf seine Kappe. Den Beweis für Kopernikus’ Weltbild erbrachte nicht er. Ebenso wenig erfand er Mikroskop, Teleskop, Pendeluhr und Thermometer. Auch die Fallbeschleunigung, die manchen als g = 9,81 m/s2 bekannt ist, ermittelte er nicht auf empirischem Weg. Die Gewichte, die er dafür vom Schiefen Turm von Pisa warf, fielen nur in der Fantasie seines Schülers und Biografen Vincenco Viviani. Die Genauigkeit damaliger Uhren hätte dafür nicht ansatzweise ausgereicht. Das Gedankenexperiment allerdings, Geschwindigkeit wachse beim Fall mit dem Quadrat der Zeit, machte er sehr wohl.

      Sogar sein berühmtester Ausspruch, den man ihm bis heute zuschreibt, stammt nicht von ihm. Den er im Trotz gemurmelt haben soll, als das Gericht der römischen Inquisition ihn in der Kirche Santa Maria sopra Minerva in Rom zum Abschwören der Lehre zwang, die Erde drehe sich um die eigene Achse. Diese Worte: »Und sie bewegt sich doch!« Nicht ein schriftlicher Beleg existiert dafür. Der Satz wurde ihm vielmehr in den Mund gelegt, postum in der Zeit der Aufklärung.

      Nichtsdestotrotz waren Galileis Leistungen enorm. Weil er die moderne Wissenschaft der Dynamik begründete, die Jupitermonde entdeckte, den Nachweis des Gewichts der Luft führte und vieles mehr. Alles war der handwerklich hochbegabte Universalgelehrte aus Arcetri bei Florenz in einem: Bahnbrecher. Märtyrer. Zerrissener Held. Opfer des Dogmas, Glaube und Forschung würden einander ausschließen, war er nicht.

      Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte, wie auch in einer kontroversen Abhandlung über Galilei zu lesen ist: »… in theologischen Werken erscheint er als ein Störenfried, während die rationalistische Mythographie ihn als Jungfrau von Orleans der Naturwissenschaften oder als St. Georg hinstellt, der den Drachen der Inquisition erschlug.« Dazu wurde er von jenen Akteuren gemacht, deren Anliegen es ist, Wissenschaft und Glauben als unvereinbar darzustellen. Dafür verwendeten sie Testimonials wie eben Galilei.

      Weder schmachtete Galilei jahrelang im Verlies, noch wurde er gefoltert. Nicht Bibelkritik oder Gotteslästerung trugen ihm neun Jahre Hausarrest (auf seinem Landsitz in Arcetri) ein, sondern die Stimmungsmache aus Kollegenkreisen und sein Ungehorsam gegenüber einem Erlass von Papst Urban VII.

      Eine andere Größe der Forschung, Gregor Mendel, kannte und lebte den Widerspruch von Wissenschaft und Religion ebenso wenig. Mendel war mährisch-österreichischer Augustiner-Chorherr und Abt in Brünn. Er hat die Vererbungslehre begründet, den Vorläufer der Genetik.

      Selbst der Brite Charles Darwin mag bei genauem Hinsehen nicht so recht ins Schema passen. Darwin, ein Pastorensohn, der neben Medizin Theologie studierte, war sein Leben lang ein Suchender. Auch nach Verfassen seines monumentalen Werkes Über die Entstehung der Arten. Mit der Absolutheit seiner Theorie hat er mehr gehadert als seine Jünger, die Neo-Darwinisten. Heute, 160 Jahre danach, wissen wir, dass Darwins intuitive, innerste Unruhe gute Gründe hatte. Die Evolution ist nicht Abbild eines einzigen, grenzenlosen Zufalls. Sie verfolgt ein konkretes Ziel. Weil sie mitnichten bloß dient, dem Recht des Stärkeren zum Durchbruch zu verhelfen. Auch wenn es für uns oft danach aussehen mag. Besonders im Alltag. Tatsache ist: Das Bild des Survival of the Fittest bröckelt.

      Vor allem die Mutation per Random. Denn man kann das Leben nicht allein durchs Nadelöhr der Zufälligkeiten erklären. In der Fachwelt ist eine hitzige Diskussion darüber entbrannt. Dabei dachte man, dieses Thema wäre lückenlos beforscht.

      Wären da bloß nicht diese neuen Erkenntnisse der Epigenetik. Die Lehre, die sich mit dem Einfluss der Umwelt auf die Gene beschäftigt. Dieses Wissen ist bahnbrechend und doch erst ein Anfang.

      Schriftverkehr mit

      Sir Karl Popper

      Vor mehr als 25 Jahren wurde mir die Ehre zuteil, mich darüber in einem Briefwechsel mit einem der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts auszutauschen: Sir Karl Popper, österreichisch-britischer Philosoph und Begründer des kritischen Rationalismus. Einer Denkschule, die für die Lebenseinstellung steht, die – um es in Poppers Worten zu sagen – »zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen der Wahrheit vielleicht auf die Spur kommen werden.«

      Den Begriff Epigenetik gab es damals, 1992, schon. In Wahrheit war er ein Schreckgespenst der Fachwelt. Ich schilderte Sir Karl Popper meine Thesen. Was Evolution und Zufall betrifft. Und was die mehrheitlichen Gen-Abschnitte unserer DNA anbelangt, die nach vorherrschender Meinung nutzlose Teile des Erbgutes darstellten. Junk-DNA also. Ein totes Anhängsel, das keiner braucht und sich trotzdem im Körper herumtreibt.

      Könnte es womöglich eine Art Reserve sein? Aus der sich das Genom, vergleichbar der offenen Gesellschaft, weiterentwickeln und stets anpassen kann? Ein Back-up, das die Natur sich in der Hinterhand hält, um gerüstet zu sein? Für den Fall der Fälle. Eine Reserve für jene Situation, wenn das Abtasten der Umwelt durch das Genom ergibt, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, etwas zu ändern. Eine neue Richtung einzuschlagen. Weil die Umstände es verlangen, die es dem Genom über das Epigenom melden. Damit und mit weiteren Thesen konfrontierte ich Sir Karl Popper. Er teilte meine Ansichten nicht nur, er bestärkte mich darin, diesem Pfad unbeirrt zu folgen.

      Was die Epigenetik betrifft, hat dieser bloße Anfangsverdacht heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, längst seinen Siegeszug angetreten. Schritt für Schritt bestätigt er sich. Und Schritt für Schritt kommt er auch in den Köpfen der Wissenschaft an. Mittlerweile besteht kein Zweifel mehr am enormen Einfluss, den anderes Leben und Wirken auf unser Erbgut ausübt. Die Umwelt. Der eigene Lebenswandel. Der Lebenswandel unserer Vorfahren. Alles hängt zusammen, fantastisch holistisch.

      Das Verhältnis zwischen Forschung und Glaube kann sich auch wieder bessern. Das haben zwei große Namen vorgezeigt. Albert Einstein und Max Planck.

      Planck, einer der Väter der Quantenphysik. Auf ihn geht nicht nur eine Reihe von Begriffen zurück, denen wir im ersten Teil bei unserer Reise zum Urknall begegnen werden, weil sie alle – räumlich, zeitlich, die Größe betreffend – sich rund um die Stunde null tummeln. Planck war ein Mann, der über sich einmal im Rahmen einer seiner beliebten Vortragsreihen sagte: »Meine Herren, als Physiker, der sein ganzes Leben der nüchternen Wissenschaft, der Erforschung der Materie widmete, bin ich sicher vom Verdacht frei, für einen Schwarmgeist gehalten zu werden.«

      Und doch fuhr er in seiner Ansprache 1944, ein Vierteljahrhundert nach Erhalt des Nobelpreises, mit diesen Worten fort:

      »Und so sage ich nach meinen Erforschungen des Atoms dieses: Es gibt keine Materie an sich. Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Alls zusammenhält. Da es im ganzen Weltall aber weder eine intelligente Kraft noch eine ewige Kraft gibt – es ist der Menschheit nicht gelungen, das heißersehnte Perpetuum mobile zu erfinden –, so müssen wir hinter dieser Kraft einen bewussten intelligenten Geist annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie. Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche – denn die Materie bestünde ohne den Geist überhaupt nicht –, sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist ist das Wahre. Da es aber Geist an sich ebenfalls nicht

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