Böse Heiler. Ashish Bhalla
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Dazu kommt dann noch die Frage, was bei wem wie wirkt. Tiefenentspannung zum Beispiel kommt nicht bei allen Patienten gleich zustande. Manche versetzt die Vorstellung, von heute auf morgen meditieren zu müssen, bestimmt in Stress. Es gibt nicht ein Rezept und eine Methode für alle. Daher gibt es auch keine allgemein anerkannten Qualitätskriterien, an die sich Patienten in der Alternativmedizin halten könnten.
Das Können eines guten Alternativmediziners besteht also zunächst einmal darin, herauszufinden, was ein Patient wirklich braucht. Inkompetenz besteht in diesem Punkt darin, mit allen Patienten dasselbe Programm zu absolvieren, weil es auch anderen schon geholfen hat. Aber woher soll ein Patient wissen, ob sein Alternativmediziner genau das mit ihm tut?
Qualität in der Alternativmedizin ist immer, auch für uns, schwer zu erkennen. Was kurzfristig angenehm ist, spüren wir. Aber wir spüren nicht, was uns langfristig guttut. Ebenso wenig spüren wir, was uns langfristig schadet. Wir spüren nur irgendwann die Auswirkungen.
Meistens beginnt alles relativ harmlos: Sie fühlen sich noch nicht wirklich krank, haben aber Beschwerden, deren Ursache weder Sie noch die Schulmedizin genau festmachen können. Also wenden Sie sich an die Alternativmedizin.
Auf diese Weise kommen Patienten in einer ganz entscheidenden Phase ihrer Krankheit zur Alternativmedizin. In dieser Phase ist Heilung meist noch gut möglich. In vielen Fällen ist sie auch mit einfachen Mitteln möglich, die nicht viel medizinisches Wissen erfordern. In manchen Fällen allerdings macht falsche Behandlung durch inkompetente Alternativmediziner in dieser Phase erst recht krank, und schon sitzen die Patienten in der Falle. Denn umso schlechter ihr Allgemeinzustand ist, desto weniger wollen sie die zwar falsche, aber scheinbar wohltuende Behandlung missen. Dabei wird ihre Krankheit wie im Fall von Elisabeth Kemäter schwerer und schwerer.
Klar, dass mit dem Boom der Alternativmedizin auch die Zahl solcher Fallen wächst. Der Boom ist enorm, wie die Zahlen zeigen. In Österreich zeigt er sich am deutlichsten an der Gruppe der Energetiker. Sie bilden hierzulande unter den Anbietern am alternativmedizinischen Markt die größte in Zahlen erfasste Gruppe. Sie umfasst von Ernährungs- und Bewegungsberatung über Bachblüten- und Bioresonanz-Therapie bis zur Interpretation der Aura und Methoden im Grenzbereich zur Esoterik ein weites Spektrum. Im Jahr 2011 gab es in ganz Österreich 15.000 Energetiker, die ihr Gewerbe bei der Wirtschaftskammer angemeldet hatten. Das entsprach schon damals der Zahl der niedergelassenen Ärzte. Bis zum Jahr 2018 wuchs die Gruppe der registrierten Energetiker auf rund 18.000 an. In sieben Jahren also ein Plus von 20 Prozent. Laut Aussage von Charly Lechner, Berufsgruppensprecher der Energetiker in der Wirtschaftskammer Wien, sind die Energetiker innerhalb der Wirtschaftskammer die am stärksten wachsende Branche.
Dabei sind die Energetiker nur eine Gruppe von vielen, die sich auf dem alternativmedizinischen Markt tummeln, und zu den registrierten Energetikern kommt noch eine Dunkelziffer von nicht registrierten.
Noch drastischer zeigt sich der Trend zur Alternativmedizin in Deutschland. Hier ist der Boom an der Zahl der Heilpraktiker abzulesen. Im Jahr 2008 waren es 26.000 Heilpraktiker bundesweit. Das mag, gemessen an der Einwohnerzahl, im Vergleich zu Österreich gering erscheinen. Es erklärt sich durch die Einstiegshürde in Form einer staatlichen Prüfung, bei der auch medizinisches Wissen abgefragt wird.
Im Jahr 2011 waren es bereits 35.000 Heilpraktiker, und 2015 zählte das statistische Bundesamt gar 47.000. In sieben Jahren also eine Zunahme von satten 80 Prozent.
Dieser enorme Anstieg erklärt sich daraus, dass in Deutschland alle, die ohne Medizinstudium Heilkunde ausüben wollen, gesetzlich in die Gruppe der Heilpraktiker fallen. In Deutschland konzentriert sich der Boom daher auf diese Berufsgruppe, während er sich in Österreich auf die verschiedensten Gruppen aufteilt. Dementsprechend gibt es in Österreich so etwas wie eine zentrale Prüfung für alle Alternativmediziner nicht. Die Voraussetzungen für die Ausübung der verschiedenen alternativmedizinischen Berufe sind in Österreich je nach Berufsgruppe unterschiedlich. Bei den Energetikern beispielsweise ist gar keine Ausbildung erforderlich. Genau dieser Bereich boomt am stärksten.
Woher kommt dieser Boom? Ein Teil der Erklärung liegt in der Schwäche des immer stärker unter Druck geratenen etablierten Gesundheitssystems. Die Bevölkerung Mitteleuropas altert und braucht daher immer mehr Gesundheitsleistungen. Die chronischen Erkrankungen nehmen zu. Ebenso die psychosomatischen Beschwerden, hauptsächlich wegen steigendem Stress in der Arbeitswelt. Darauf ist die Schulmedizin nicht ausgelegt. Ihre größte Stärke ist die akutmedizinische Behandlung und ihre große Schwäche ist der zunehmende Zeitmangel.
In den schulmedizinischen Einrichtungen hat das medizinische Personal nicht mehr die Zeit, sich intensiv mit Patienten zu befassen. Viel zu viele warten in den Ambulanzen und Arztpraxen.
Ich habe selbst längere Zeit in Ambulanzen gearbeitet. Dort kommen Menschen mit akuten Beschwerden hin, manche mit sehr akuten. Die medizinischen Mitarbeiter arbeiten unter hohem Druck. Für sie wird jeder Patient zum Fall, und Fälle sehen sie sich hauptsächlich am Computer an, wofür sie durchschnittlich zwei bis drei Minuten Zeit haben. Die Patienten selbst, die diese Fälle verkörpern, mit ihren Eigenheiten und Sorgen, bekommen nur am Rande Aufmerksamkeit.
Mir ist es einmal passiert, dass fünf Herzinfarktpatienten gleichzeitig da waren. Da gibt es nicht einmal Zeit für kürzeste Gespräche. Da muss schnell gehandelt werden. EKG, Labor, Akutmedikamente wie Adrenalin und so weiter. Es geht nicht anders, sonst sterben die Patienten. Da wird auch der körperliche Kontakt zu den Patienten auf ein Minimum reduziert. Das, obwohl viele Ärzte sehr wohl überzeugt sind, dass Zuwendung in Form von Gespräch und Berührung einen wichtigen Einfluss auf die Heilung hat.
Der Zeitmangel hat leider System. Unser Gesundheitssystem entstand in seiner heutigen Form vor einem halben Jahrhundert. Es war auf wesentlich weniger Patienten ausgelegt. Mittlerweile ist nicht nur die Zahl der Patienten, sondern auch die der diagnostizierbaren Krankheiten explodiert. Es gibt mehr Diagnosen und daher steigt der Druck nicht nur wegen der Alterung der Bevölkerung. Es ist ein Teufelskreis. Je besser die Schulmedizin wird, desto mehr Patienten gibt es und desto mehr verschärft sich das Problem des Zeitmangels.
Zudem sorgt die zunehmende Technisierung durch die Apparatemedizin für eine Entfremdung zwischen Schulmedizin und Patienten. Die Schwachstellen auf den Bildern aus dem Inneren eines Körpers können nur noch Spezialisten erkennen. Die Patienten sitzen meist eher ratlos daneben und sehen Bilder von sich, die ihnen fremd sind und die ihnen niemand wirklich erklärt.
Auch die voranschreitende Spezialisierung in der Schulmedizin sorgt für Unbehagen. Patienten wollen als Ganzes gesehen werden. Die Fachärzte sehen jedoch vor allem den Teilaspekt an ihnen, der in ihr Fach gehört.
Verständlich, dass sich immer mehr Patienten in großen medizinischen Einrichtungen schlecht aufgehoben fühlen. Die Aufenthalte in Krankenhäusern und die langen Wartezeiten in den Ambulanzen sind für sie ja auch tatsächlich eine Zumutung. Wohlgemerkt sind daran nicht die einzelnen Schulmediziner schuld. Auch für sie ist der schulmedizinische Betrieb längst zu einer argen Zumutung geworden.
Abgemildert werden diese Probleme auch durch die Hausärzte nur unzureichend. Die kennen ihre Patienten meist seit Jahren, und die Vertrautheit zwischen Hausarzt und Patient lässt sich auch bei kurzen Konsultationen leicht und schnell auffrischen. Doch gegen die neue Flut an Patienten und den großen Frust über das klassische Gesundheitswesen kommt auch die sinkende Zahl an