Bemerkenswert normal. Eva Bilhuber
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Wenn die servierten Gerichte ständig kommentiert werden mit «Also, wenn ihr wirklich mal etwas Gutes essen wollt, dann müsst ihr …» und wir hoffen, dass wenigstens die Ikea-Herkunft unseres Geschirrs unentdeckt bleibt. Genau wie das fehlende Label der 15-Euro-Bluse aus dem H&M-Ausverkauf, die wir gerade tragen. Wenn wir mit Gefühlen der Scham oder mindestens des Unbehagens kämpfen, weil wir mit den nur durchschnittlichen schulischen Leistungen unseres pubertierenden Sohnes beim Wer-hat-das-beste-Kind-Poker nicht mehr mithalten können.
Spätestens aber, wenn andere uns erzählen, wie sie ihren spektakulären Management-Job, bei dem sie dauernd um die Welt jetten, ganz locker mit ihrer Familie unter einen Hut bringen und es gleichzeitig auch noch schaffen, ein weltrettendes Start-up zu gründen, ihre Triathlonleidenschaft zu pflegen, und sich aufopferungsvoll für ein Afrika-Projekt zu engagieren, packt uns plötzlich der Selbstzweifel, ob nicht vielleicht doch wir der Geisterfahrer auf der falschen Spur sind. Und so hoffen wir insgeheim auf eine baldige Ausfahrt, die uns eine schnelle Flucht aus dieser Superhelden- und Superheldinnen-Community ermöglicht.
Wenn wir am Abend dann tapfer erschöpft aufatmen und glauben, endlich für einen Moment dieser permanenten Jagd nach gegenseitig überbietender Selbstdarstellung entkommen zu sein, reicht ein kurzer prüfender Blick in den Spiegel, den wir leider immer noch nicht zu vermeiden gelernt haben. Der Anblick unseres schwächelnden Bindegewebes im peinigenden Licht des Badezimmers ruft sie gleich schon wieder auf den Plan, die schmerzvolle Angst vor unserer Unzulänglichkeit. Es sind die Momente, in denen wir unweigerlich erkennen, dass es leider keinen Exit, kein Entrinnen gibt: Willkommen im Zeitalter der Selbstoptimierung!
XXL-Me
Wir fühlen uns wie im Dauer-Casting. Denn der Immer-besser-schöner-klüger-erfolgreicher-Imperativ unserer Selbstoptimierungsgesellschaft beschränkt sich nicht mehr nur auf die klassischen Bereiche von Ausbildung und Beruf. Kein Fleckchen auf unserem Körper, keine Hochzeit, kein Kindergeburtstag, kein Urlaub, kein Hobby, kein ehrenamtliches Engagement bleibt heute ungenutzt, um es nicht zum Jagdgebiet gegenseitiger Überbietung zu erklären. Egal, um was es geht, das Motto heißt mit inbrünstiger Kampfbegeisterung: «Da geht noch was».
Der Wettbewerb ist nicht mehr nur Motor unseres wirtschaftlichen, sondern mittlerweile auch unseres gesellschaftlichen Lebens geworden. In der Folge avancieren Hitlisten zu unserem Lebenselixier, völlig wurscht, ob in Form von «Mein Haus, mein Auto, mein Boot» oder «Meine Followers, meine Likes, mein Game-Level».
Fast unbemerkt frisst sich unser hochgeschraubter Selbstoptimierungsdrang gerade Stück für Stück in all unsere Lebensbereiche und überträgt sich durch die gesteigerte Wettbewerbsorientierung besorgter Eltern auch gleich noch auf die Kinder. Es ist also nur eine logische Konsequenz, dass wir uns heute von der Wiege bis zur Bahre an den Exzessen dieser Optimierungsspirale messen lassen müssen, die uns mit sich selbst verstärkendem medialem Echo tagtäglich in den Ohren dröhnen: Sollten wir unser Kind nicht doch lieber in einen englischsprachigen Kindergarten schicken? Oder vielleicht gleich chinesisch? Sollte ich nicht doch noch einen Auslandsaufenthalt machen? Sollte ich mir nicht auch endlich einen «gezippten» Schlafmodus angewöhnen, um vier Uhr aufstehen, meinen Bizeps trainieren, meditieren oder Yoga machen …?
Je mehr in unserer Gesellschaft nach dem Marktprinzip entschieden wird, desto mehr wird ein Sich-im-Wettbewerb-behaupten-Können zur überlebenswichtigen Kernkompetenz. Dazu gehört in erster Linie, gekonnt herauszustechen und auf sich aufmerksam zu machen. Denn nur, wenn man uns beachtet, sind wir auch gefragt. Für einen Job, als Lebenspartner, als Dienstleister für unsere Kunden oder als Freund. Aufmerksamkeit ist die neue Währung für Anerkennung, Status und Ansehen und damit auch Geld und Macht.
Wir müssen uns also heute vor allem auf eines verstehen: aufs Auffallen und den eigenen Vorteil. Technik sei Dank haben wir dabei mit der Digitalisierung einen sehr potenten Verbündeten gefunden. In einer Welt, in der wir schon fast mehr medial als real (er)leben, reicht es nämlich häufig schon aus, wenn andere uns für den Besten oder Hipsten halten. Wir müssen es – uff! – nicht mal mehr zwingend faktisch auch sein. Ein bombastischer Jobtitel, ein cooles Foto, ein krasses Video – mit ein wenig algorithmischem Glück haben wir sie dann ruckzuck in unserem Wohnzimmer, die gewünschte soziale Beachtung.
Wie gut wir im Trimmen unseres Marktwertes und im Wettbewerb um Aufmerksamkeit sind, können wir jederzeit in real-time mit einem Klick zu Hause auf dem Sofa überprüfen: Spieglein, Spieglein … Social Media, App & Co. sei Dank, können wir uns im Push-Takt aus jeder erdenklichen Perspektive selbst vermessen. Kein Wunder also, fühlen wir uns unter Dauerbeobachtung. Wenn nicht durch ein unsichtbares Geisterpublikum, dann in jedem Fall durch den strengen Blick von uns selbst.
Ob wir das nun gut finden oder nicht – wir haben begriffen: Wer heute noch in den vorderen Rängen mitmischen will, der kommt wohl oder übel nicht darum herum, sich der Rekordjagd des realen wie digitalen Dauer-Hochsprung-Wettbewerbs unserer Gesellschaft zu stellen.
«Must Do» statt «Just Do»
Also retten wir uns ins Getöse. Wie die rosa Plüschhäschen in der legendären Duracellwerbung trommeln wir uns für ein bisschen Beachtung bis zur Besinnungslosigkeit durchs Leben, ständig unter Strom und mit voller Voltzahl, gespeist von der Hoffnung, dass wir nicht vor den anderen schlappmachen und unser Trommeln irgendwie, irgendwo, irgendwann von irgendwem gehört wird.
Aber während wir uns hypnotisiert vom akustischen King-Kong-Terror des «Me-Kults» auf dem Sofa täglich die Finger wund twittern, dämmert uns langsam, dass die von uns kultivierte Optimierungsobsession nicht spurlos an unserem Seelenfrieden vorbeigeht.
Mindestens gefühlt haben wir den Eindruck, dass der Leistungs- und Anpassungsdruck zugenommen hat, weil es keinen Lebensbereich mehr gibt, der von der Wettbewerbslogik unberührt bleibt. Trotz der vielfältigen Lebenschancen, die unsere Gesellschaft heute bietet, fühlen wir uns paradoxerweise eher wie in einer Zwangsjacke denn frei.
Nicht nur, weil uns die permanenten Benzinpreisvergleiche oder die Frage nach Currywurst oder Tofuschnitzel stressen würden. Sondern – wie es einer der führenden deutschen Soziologen, Heinz Bude, so treffend beschreibt1 – weil wir entdeckt haben, dass auch wir selbst zum Wahlgegenstand geworden sind. In dem Maße, in dem wir für uns nämlich ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen, zu wählen, was wir konsumieren, wo wir arbeiten oder mit wem wir leben wollen, tun das die anderen natürlich auch. Wir müssen also in gleicher Weise darum fürchten – oder besser davor zittern –, von anderen gewählt zu werden.
Was, wenn ich auf dem Arbeitsmarkt nicht (mehr) gefragt bin? Was, wenn ich nicht mehr als Lieferant oder Dienstleister von meinen Kunden selektiert werde? Was, wenn ich zu durchschnittlich, zu mittelmäßig bin? Was, wenn ich nicht mehr attraktiv oder hip genug bin, um von jemandem als Lebenspartner oder Freund gewählt zu werden? Was, wenn ich zu normal bin? Und damit unsichtbar oder bedeutungslos werde, gar ganz in Vergessenheit gerate?
Ohne es richtig zu merken, leben wir mit einer Art unterschwelliger Dauerparanoia im Nacken, ein falscher Schritt, eine falsche Entscheidung könnte uns zur bedeutungslosen Randnotiz verkommen lassen oder gar ins soziale Aus befördern. Es ist diese stetig «rieselnde Angst» – um mit Heinz Bude zu sprechen –, die unser Dasein in einen rastlosen Kampf um die Pole-Position verwandelt. Sie befeuert uns unaufhörlich, alle sich bietenden Möglichkeiten auszuschöpfen, um dem «gefährlichen schwarzen Loch» des Normalen zu entkommen.
Nebenwirkungen der Me-Inflation
Mindestens intuitiv ist uns klar, dass eine Gesellschaft, die durch und durch nach dem Wettbewerbsprinzip funktioniert,