Bemerkenswert normal. Eva Bilhuber
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Was als Ausgleich zur einseitigen Kopflastigkeit der Arbeit in einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft gefördert und gepredigt wird, nutzen viele mittlerweile als weitere Leistungs- und Wettbewerbszone. Als Feld, auf dem die Jagd nach Überbietung nach Feierabend weitergeht. Dabei zahlt sich das bewusste und dosierte «Weniger» auch in dieser originärsten Wettbewerbsdomäne offensichtlich als bessere Erfolgsstrategie aus. Die Pause macht den Erfolg. Die Sportwissenschaft weiß mittlerweile, dass die Regenerationsfähigkeit für Unterschiede zwischen Spitzensportlern verantwortlich ist, weniger ein exzessives Training.30 Und auch bei längeren sportlichen Wettbewerben, wie zum Beispiel einem Marathonlauf, ist offensichtlich das Erfolgsgeheimnis, nicht zu viel zu wollen, sich eher zu mäßigen und zu bremsen und sich vor allem nicht von anderen pushen zu lassen.31
► Werbung: back-to-normal. Marketing und Werbung spielen vermutlich eine ganz maßgebliche Rolle, unseren Selbstoptimierungstrieb immer weiter anzustacheln. Ob in Zeitschriften, Fernsehen oder im Internet, Werbung versteht es auf ganz subtile Weise, den unlöschbaren Durst unseres Egos nach Vollkommenheit jeden Tag aufs Neue zu befeuern und uns zu animieren, unsere Grenzen grenzenlos zu verschieben. Umso erstaunlicher, dass sich auch hier eine Verschiebung von perfekt gestyltem Hochglanz zur lebendig unordentlichen Imperfektion abzuzeichnen scheint. Zurückhaltung statt Verblendungstaktik scheint also als Erfolgsstrategie auch im Marketing und der Werbung wieder im Kommen.
Während wir früher mit Superlativen überzeugt werden sollten, hören wir heute auch schon mal Sätze wie: «Es geht nicht ums Gewinnen. Es geht nicht darum, der Beste zu sein. Ich snowboarde, weil es mein Leben ist.»32 Mit dieser Anti-Wettbewerbs-Formel scheint Samsung genauso den Zeitgeist zu treffen wie Schöffel mit seiner «Ich bin raus»-Werbung33 oder Mercedes mit der Frage: «Wann haben Sie das letzte Mal gemacht, was sie wollten – nicht, was sie sollten?»34
Das prominenteste und konsequenteste Beispiel einer Produktwerbung, die bereits seit einigen Jahren auf den Antitrend zur hysterischen Statussymbollogik setzt, ist wohl die Automarke Dacia. Mit Sätzen wie «Alle die, die ganz nach oben wollen, die nach Bewunderern suchen, um mit ihrem Erfolg zu glänzen, die haben hier nichts verloren» wird hier sogar versucht, das Nichtprestigeträchtige selbst zum neuen Statussymbol zu erheben.35
Am liebsten aber würde ich es der Firma Valser Wasser aus dem Valser Tal in der Schweiz zuschreiben wollen, die mutigen Pioniere in der Propagierung der Gegenthese zum Optimierungstrend gewesen zu sein. Bereits 1990 bewarb die Firma ihr Wasser mit dem Slogan «Alles wird besser – Valser bleibt gut».36 Jüngste Bemühungen, im Valser Tal nun das höchste Hotel der Welt als Luxusurlaubsdomizil der Superlative für Superreiche zu erbauen,37 stimmen mich allerdings nachdenklich, ob nicht vielleicht doch eher mein Wunsch Vater des Gedankens war, in diesem jahrhundertealten Bergdorf den weisen Propheten eines gesellschaftlichen Wertewandels sehen zu wollen.
Anders? Ja, normal!
Klingt ja alles schön und gut. Das Normale scheint also doch nicht ganz so unattraktiv, wie wir das gemeinhin denken. Aber jetzt mal ehrlich: Ist es nicht ziemlich gewagt, daraus ein Lebensideal abzuleiten? Können wir es uns überhaupt leisten, ein normales Leben zu führen? Was passiert, wenn wir tatsächlich akzeptieren, nur normal, nur Mittelmaß zu sein? Landen wir dann nicht aussortiert auf dem Ausverkaufstisch der Nation und verkommen zum Ramsch, zur zweiten Wahl, zum Auslaufmodell der Gesellschaft? Sind wir dann nicht automatisch die Ewiggestrigen, gehören zu jenen, die hinten runtergefallen und raus aus dem Spiel sind, wie es Heinz Bude in Gesellschaft der Angst so treffend umschreibt?38 Diese Frage muss am Ende jeder für sich selbst beantworten, denn jeder Mensch und jedes Leben ist einzigartig und verdient auch eine individuelle Antwort.
Ich hatte das wunderbare Privileg, Menschen zu treffen, für die sich der Mut zum Normalsein ausgezahlt hat. Es war nicht ganz einfach, diese Menschen und ihre Lebensgeschichten zu finden, denn es liegt in der Natur einer normalen Lebensführung, dass sie ohne großes Aufmerksamkeitspotenzial auskommt, wenig auffällig, unaufgeregt und unscheinbar ist.
Die Geschichten, die ich aufgespürt habe und auf den folgenden Seiten erzähle und kommentiere, beherbergen für mich alle den Sound eines bemerkenswert normalen Lebens. Mit ihrer Hilfe durfte ich lernen, wie sich «bemerkenswert normal» im konkreten Leben Ausdruck verleiht. Bei großen Lebensentscheidungen genauso wie in ganz alltäglichen kleinen Dingen. Ich durfte nachvollziehen, wie sich diese Menschen gerade in auswegloser Lage oder angesichts größter Versuchungen zu einem Bekenntnis zum Normalen, zum Gemäßigten durchgerungen haben. Für sie alle hat sich das Wagnis «Normalsein» gelohnt.
Ihre Geschichten können uns vielleicht inspirieren, darüber nachzudenken, wie es gelingen kann, sich dem Optimierungsprimat zumindest ein bisschen unwilliger zu unterwerfen.
Spurensuche
«Gewinnen können statt siegen müssen»
Peter Gruber
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