Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie. Группа авторов

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Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie - Группа авторов EHP-Praxis

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sich bemerkbar, dass bzw. ob jemand in der Lage ist, auf eine solche »elastische Identität« zurückzugreifen?

      Konsequenzen aus der Integration von Polaritäten

      Betrachtet man allein das Verhalten (beschränkt sich also nach dem Quadrantenmodell von Wilber auf die beiden rechten Quadranten), so kann man erkennen, was jemand tut, aber man erfährt nichts über seine Motive. Für eine Zuordnung zu den aktiven WMemen ist jedoch nur letzteres ausschlaggebend, also die Frage nach dem »Warum«? Das gilt, wie gesagt, für alle WMeme (vgl. Beck & Cowan 2011, 64, 67). Entsprechend ist auch beim Umgang mit Polaritäten nicht allein durch äußere Beobachtung zu erkennen, ob jemand dies aus einem gelben WMem heraus tut oder ob dies aus einem WMem erster Ordnung resultiert. Da das gelbe WMem darüber hinaus ja per Definition über alle Möglichkeiten der vorherigen WMems verfügen kann, wäre äußere Beobachtung ohnehin nicht hilfreich.

      So bleibt man auf das Erforschen der Motive angewiesen, doch heißt das auch, dass beispielsweise ein Therapeut oder Berater (wenn wir von einem professionellen Kontext ausgehen) selbst mindestens seinen eigenen Entwicklungsschwerpunkt auf GELB haben muss. Denn sonst fehlt die Einsicht in die Phänomenologie gelber WMeme. Es kann daher zusätzlich irritierend und auch verletzend sein, wenn Klienten, die bei einem Therapeuten oder Berater Orientierung suchen, aufgrund bestimmter Entscheidungen oder Verhaltensweisen auf einem WMem erster Ordnung angesiedelt werden und ihnen möglicherweise ein »Rückschritt« attestiert wird, sie tatsächlich aber gerade erste Erfahrungen mit der integralen Ebene machen. Wilber stellt sogar fest,

      »dass die Entwicklung des Denkens des zweiten Ranges mit viel Widerstand von seiten des Denkens des ersten Ranges konfrontiert ist. In der Tat hat … eine Version des postmodernen grünen Mems mit seinem Pluralismus und Relativismus aktiv das Auftauchen von mehr integrativem und holarchischem Denken bekämpft.« (Wilber 2006, 70).11

      Was die innere Realität von jemandem auf integraler Stufe betrifft, so stellt sich bald ein deutliches Empfinden von Freiheit ein angesichts der gleichwertigen Wahlmöglichkeiten, die nun zur Verfügung stehen. Damit verbunden ist auch eine wesentliche Transformation, was die Ängste betrifft. Beck und Cowan zitieren dazu noch einmal ihren Mentor Clare W. Graves:

      »Nachdem die menschliche Erkenntnis von begrenzten, tierähnlichen Bedürfnissen und den zwingenden Überlebensforderungen [BEIGE], von der Angst vor Geistern [PURPUR] und anderen räuberischen Menschen [ROT], von der Angst, die geheiligte Ordnung zu verletzen [BLAU], von der Angst vor seiner Gier [ORANGE] und von seiner Angst vor sozialer Ablehnung [GRÜN] eingeengt war, ist sie nun plötzlich frei. Da seine Kräfte jetzt frei für eine Aktivierung des Denkens sind, kann sich der Mensch auf sein Selbst und seine Welt konzentrieren [GELB, TÜRKIS usw.].« (Beck & Cowan 2011, 103)

      Integration von Polaritäten – eine unendliche Geschichte

      Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man nun meinen, mit spätestens der integralen Ebene bzw. GELB habe sich mit der Integration von Polarität dieses Phänomen sozusagen ein für allemal erledigt. Das stimmt jedoch nur zum Teil. Denn wenn wir uns an den holarchischen Charakter der Entwicklungsmodelle erinnern, folgt auch eine transzendierte Polarität diesem Prinzip, d. h. auch transzendierte Polarität ist nicht nur Ganzes, sondern wieder Teil eines höheren Ganzen! Man könnte also sagen, dass die Polaritäten erster Ordnung mit Auftreten der zweiten Ordnung (also beginnend mit GELB) transzendiert werden, um auf den Ebenen zweiter Ordnung nun einen Pol einer neuen Polarität einzunehmen. Wäre das nicht der Fall, wäre GELB bereits eine Ebene der vollkommenen Erleuchtung, wovon natürlich nicht die Rede sein kann.

      Dass sich auf den Ebenen der zweiten Ordnungen auch die Herausforderungen gewissermaßen wiederholen, um auf den neuen Ebenen wiederum mit neuen Möglichkeiten bewältigt zu werden, dafür stehen auch die grundlegenden Überlegungen von Beck & Cowan über Prinzipien ihres Entwicklungsmodells. So stellen sie fest, dass die WMeme in Sechser-Ordnungen auftreten, und führen dazu aus:

      Gelb, die erste Seinsebene (und keine Überlebensebene mehr), eröffnet die zweite Ordnung … der WMeme mit einer Reprise der sechs Grundthemen unserer Geschichte – erneut geht es zuerst ums Überleben, aber diesmal im Kontext der hochmobilen Informationsgesellschaft des globalen Dorfs. Das achte (türkise) System ist eine Wiederholung des zweiten, aber in einer komplexeren Größenordnung – Megastämme, Megatrends und Megaschocks, die mit allem angefüllt sind, was in der ersten Ordnung (First Tier) geschehen ist. Hält dieser eigenartige Sechs-auf-sechs-Aspekt weiter an, dann wird die neunte Ebene (Koralle) eine Version der roten dritten Ebene sein.« (Beck & Cowan 2011, 105).

      Schlussfolgerungen

      Die grundlegende Lehre der Gestalttherapie ist die der Wesensdifferenzierung und der Integration. Die Differenzierung als solche führt zu Polaritäten. Als Dualitäten werden diese Polaritäten leicht in Streit kommen und sich gegenseitig paralysieren. Indem wir gegensätzliche Züge integrieren, machen wir die Menschen wieder ganz und heil. Zum Beispiel Schwäche und tyrannisches Verhalten integrieren sich als ruhige Festigkeit (Perls 1980).12

      In diesen vier Sätzen von Frederick S. Perls ist im Grunde alles ausgedrückt, was den therapeutischen bzw. persönlichkeitsentwickelnden Prozess im Gestalt-Ansatz beschreibt, und welche zentrale Rolle in diesem Prozess den Polaritäten zukommt, denn:

      In der für die Gestalttherapie wesentlichen Phase der Differenzierung treten zwangsläufig Polaritäten zu Tage, die jedoch nicht selten zunächst als Dualitäten (widerstreitende Impulse, Gefühle, Bedürfnisse, Überzeugungen etc.) zum Ausdruck kommen und sich dadurch behindern. Das Friedlaendersche Konzept der Polaritäten liefert hier nichts weniger als den theoretischen Hintergrund für das, was diese destruktive Wirkung der Dualitäten aufheben kann, weil die Philosophie der Polaritäten gerade darin besteht, dass sie Gegensätze integriert.

      Im Integralen Gestalt-Ansatz, der sich vorrangig der Persönlichkeitsentwicklung von Erwachsenen widmet, werden dieses gestalttherapietheoretische Prozessverständnis und die Philosophie der Polaritäten explizit durch die Entwicklungsholarchie (auf Grundlage der Arbeiten von Ken Wilber u. a.) sowie den Spiral Dynamics von Beck und Cowan (basierend auf den Arbeiten Clare W. Graves) ergänzt bzw. weitergeführt und stellt ebenfalls ein zentrales Moment darin dar.

      Die Ausführungen zum Integralen Gestalt-Ansatz haben hoffentlich deutlich machen können, dass das Erkennen, Akzeptieren und schließlich Transzendieren von Polaritäten für die Begleitung und Unterstützung von Persönlichkeitsentwicklung bei Erwachsenen eine wesentliche Rolle spielen. Darüber hinaus sind Polaritäten eine angemessene Möglichkeit, Phänomene zu beschreiben und multiperspektivische Konzepte und Modelle dar- und bereitzustellen.

      Insofern bietet der Integrale Gestalt-Ansatz in Theorie und Praxis eine Orientierung, den komplexen Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht zu werden. Denn er stellt ein gleichermaßen offenes wie differenziertes und auch pragmatisches Orientierungsmodell für das Feld bereit, in dem wir uns gegenwärtig befinden: einer Welt, die vor Aufgaben steht, für die sie grundlegend neue Herangehensweisen benötigt. Das heißt nicht, dass damit schnell neue Antworten gefunden werden, aber es kann heißen, dass uns ein solches Orientierungsmodell helfen kann, uns in den Turbulenzen dieser Zeiten des Umbruchs immer wieder neu zurecht zu finden, sodass wir uns nicht auf einen Pol einer Polarität versteifen müssen, sondern dass wir (erinnern wir uns an den bereits zuvor zitierten Part von Frambach über Friedlaender):

      »… elastisch identisch bleiben und aus einer »Totalität des Erlebens« heraus frei beweglich auf die jeweilige Anforderung der Situation angemessen zornig oder sanft reagieren. (vgl. Frambach 2001, 301)

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