Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie. Группа авторов

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Friedlaender / Mynona und die Gestalttherapie - Группа авторов EHP-Praxis

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Modus der schöpferischen Indifferenz mit dem Wu-wei des Daoismus verglichen wird (Portele 1992, 105 ff.), das oft paradox mit »Handeln durch Nicht-Handeln« übersetzt wird.« (Frambach 2010, 44 f.)

      »Der mittlere Modus ist somit die grundlegende innere Haltung, die dem Respekt vor der Selbstorganisation alles Lebendigen im Wechselspiel von Chaos und Ordnung gemäß ist.« (Fuhr/Gremmler-Fuhr 1995, 160)

      Gerade das kreative Denken und Erkennen ist nach meiner Selbstwahrnehmung ein Prozess, der sich im Mittleren Modus vollzieht. Man beschäftigt sich aktiv und intensiv mit einem Thema einer Frage, bis man passiv auch unbewusst damit beschäftigt wird. Der Geist pendelt und oszilliert zwischen einem aktiven und passiven Modus, die sich gegenseitig durchdringen.

      7. Das Motiv von schöpferischer Indifferenz und polarer Differenzierung ist geeignet, auch andere gestalttherapeutische Aspekte psychischer Dynamik grundlegender zu verstehen.

      Das gilt z. B. für die neurotischen Vermeidungsmechanismen von Perls (1976, 48 ff.), die Introjektion und die Projektion, sowie die Konfluenz und die Retroflexion, die ich polar als »Verinnerlichen« und »Veräußerlichen«, sowie als »Auflösen« und »Verdichten« begreife, als »je zwei polar-gegensätzliche Möglichkeiten, die reale Auseinandersetzung an der realen Kontaktgrenze zu vermeiden und damit der Realität aus dem Wege zu gehen.« (Frambach 1994, 82)

      »Bei der psychisch ›gestörten‹ Persönlichkeit, die aus dem seelischen Gleichgewicht geraten ist, hat sich gleichsam wie bei einer Wippe die balancierende Mitte verschoben, weil man sich zu einseitig und überwiegend mit nur einem Pol einer psychischen Gegensatzeinheit, wie z. B. Freude und Trauer, identifiziert. Dadurch kippt die innere Balance und es entsteht eine Schieflage, auf der man sich nur in einer anstrengenden Weise aufrechthalten kann, nämlich durch die Ausgleichsbewegung neurotischer Vermeidungsmechanismen. Der existentiell eigentlich ›schwerwiegendere‹ Pol, von dem man aus irgendwelchen Ängsten abgerückt ist, sinkt unter das Bewußtheitsniveau, in den Schatten des Hintergrunds, und der für einen ›leichtere‹ wird vordergründig pseudo-dominant. Die/der eigentlich ›überwiegend‹ Traurige ›neigt‹ dazu, kompensativ eine vordergründig heitere Fassade zu zeigen. Der Weg der Heilung besteht daher grundsätzlich in einem ›Prozeß der Zentrierung‹, in der ›Aussöhnung von Gegensätzen … zu einem produktiven Zusammenspiel« (Perls 1980, 95).

      Diese Aussöhnung geschieht im Finden der Mitte, der schöpferischen Indifferenz, die den »Magnetismus der Extreme« (F 1926, 32) bewirkt, der widerstreitende Dualitäten zu komplementären Polaritäten integriert. Wendet man Friedlaenders polaren Denkansatz konsequent an, dann ist davon auszugehen, dass die Psyche, wie jedes andere Phänomen auch, prinzipiell polar, paarig, komplementär strukturiert ist. Es gibt keine einzelnen, für sich isolierten psychischen Phänomene, sondern es ist von Gegensatzeinheiten auszugehen, wie z. B. Zuneigung und Abneigung, Freude und Trauer, Durchsetzten und Nachgeben usw. Perls hat diese polare Sicht der Psyche nicht in einer systematischen Weise entfaltet, sie aber doch immer wieder zum Ausdruck gebracht:

      »Wie jedes psychologische Phänomen wird das Selbstwertgefühl als Polarität erfahren. Während oben ein hohes Selbstwertgefühl, Stolz, Ruhm und sich großartig fühlen steht, steht unten: sich schlecht, wertlos, niedrig und klein fühlen.« (Perls 1969, 4)

      Polarität ist für das Verstehen der Psyche von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist insbesondere in allen Ansätzen, die von der Psychoanalyse ausgehen (Jung, Adler, Reich, Szondi u. a.) mehr oder weniger deutlich aufzuzeigen, und vielleicht »eröffnet die Lehre von der Psychodynamik der Polarität die Möglichkeit, eine Gemeinsamkeit in der Neurosenpsychologie verschiedener tiefenpsychologischer Richtungen zu formulieren.« (Schlegel 1982, 275) Eventuell nicht nur dieser. Die polare Ausrichtung von Perls ist eindeutig auf Friedlaender zurückzuführen, der ihm außer dem Prinzip der polaren Differenzierung noch die zentrale Bedeutung der integrierenden Indifferenz vermittelte, und mit diesem Motiv die Denkbewegung seines gestalttherapeutischen Ansatzes anfänglich und entscheidend prägte. Ziel des gestalttherapeutischen Prozesses ist es aus dieser Perspektive, aus einseitiger Fixierung auf Vordergründiges zunehmend zum Grund zu führen, von der Peripherie zu Mitte und Zentrum, indem starre Dualitäten zu flexiblen Polaritäten integriert werden.« (Frambach 1996, 15)

      Schlussüberlegungen

      Wenn es um die Bedeutung von Friedlaenders Philosophie für die Gestalttherapie geht, stellt sich schließlich noch eine Frage: Was hat Fritz Perls wirklich davon verstanden? Wie gut hat er sich in diesen philosophischen Ansatz von schöpferischer Indifferenz und polarer Differenzierung vertieft? Was hat er gelesen? Wenn man einen normalen wissenschaftlichen Maßstab anlegt, dann ist das ausgesprochen dürftig. Perls hat Friedlaender kein einziges Mal wörtlich zitiert. Er hat die meisten Zusammenhänge, die ich anführe, wie den von der 4. Phase im »Fünf-Schichten-Modell« oder des Grundes mit der Schöpferischen Indifferenz, nicht explizit formuliert, geschweige denn ausgearbeitet. Aber das hat er mit seinen anderen Quellen, sei es Gestaltpsychologie, Holismus, Psychoanalyse, Organismustheorie von Goldstein, Phänomenologie, Existenz-Philosophie, Zen, usw. auch nicht getan! An normalen wissenschaftlichen Maßstäben gemessen ist Perls ein oberflächlicher Dilettant. Von Friedlaender hat er wahrscheinlich nur die Schöpferische Indifferenz gelesen. Wie genau, das kann niemand sagen. Was bedeutet es da, dass er sich von seiner ersten bis zu seiner letzten Veröffentlichung einige Male so prägnant und klar zu Friedlaenders Bedeutung für ihn bekennt? »Die Orientierung an der schöpferischen Indifferenz ist einleuchtend für mich. Ich habe dem ersten Kapitel von Das Ich, der Hunger und die Aggression nichts hinzuzufügen.« (1969, 80) Worin besteht der »tremendous impact« (Perls 1969, 74), den Friedlaender auf ihn hatte? Mit normalen wissenschaftlichen Kriterien wird man Perls nicht gerecht. Er war kein Wissenschaftler, kein systematisch gründlich denkender Mensch. Er war vor allem ein psychotherapeutischer Praktiker, ein »Aktionstyp« (Naranjo in diesem Band). Und er hatte ein ausgeprägtes Gespür, einen »Riecher« (Frambach 1996a, 41), »a keen nose« (Stoehr 1994, 81) für fruchtbare geistige Konzepte und Ideen.

      »Fritz war ein ungeduldiger Genius. Sein Gründen in Ideen war niemals tief, aber er wusste augenblicklich was er von einer Theorie anderer nutzen konnte. Er vertraute seiner eigenen Intuition um Dinge auszusortieren, und scherte sich wenig darum die Einsichten zu systematisieren, die er aus anderen Gärten gepflückt hatte.« (Stoehr 1994, 52; Übers. LF)

      Er hat sich intuitiv, fast möchte ich sagen instinktiv, mit diesen verschiedenen Ansätzen befasst, sie aber nie systematisch durchgearbeitet und integriert. Er ist der Typus eines charismatischen Praktikers, aber durchaus nicht ohne einen breiten intellektuellen Hintergrund. Seine provokativ anti-intellektuellen Äußerungen sind nicht als pauschal grundsätzliche Kritik zu verstehen, sondern sind »gegen eine erfahrungsferne Vermeidungs-Intellektualität gewandt, gegen eine entfremdende, aufgesetzte akademische Sprach- und Denk-Dressur.« (Frambach 1996a, 45) Perls war ein schwieriger Charakter, spannungsreich, widersprüchlich und unruhig. Das spiegelt sich auch in seiner Theoriebildung. Vieles steht relativ unverbunden nebeneinander. Man muss Perls besser verstehen, als er sich selbst verstanden hat. Ein Anspruch, der auf den ersten Blick vermessen klingt, auf den zweiten aber schlicht notwendig ist. Alle Gesamtdarstellungen der Gestalttherapie sind in hohem Maße Interpretationen, konstruieren Verbindungen zwischen unverbundenen Theorieaspekten. Für mich besteht die wichtigste Klammer, um diese Theorieaspekte zu verbinden, in Friedlaenders Philosophie schöpferischer Indifferenz und polarer Differenzierung. Um Friedlaenders Einfluss auf die Gestalttherapie zu erkennen, muss man strukturell denken, dieses Grundmuster in den Konzepten entdecken. Dass Perls Friedlaender auch in seiner Tiefendimension zumindest ansatzweise erfasst hat, das scheint für mich besonders in seinen Bemerkungen zur Leere und zum Nichts auf, die natürlich auch von anderen Quellen gespeist sind. »Nichts kommt Wirklichkeit gleich.« (Perls 1974, 65) Man kann das natürlich auch anders sehen. Mit seinen eher aphoristischen Äußerungen lässt Perls viel Spielraum für Interpretationen.

      Für mich persönlich ist die Philosophie von Friedlaender

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