Die permanente Krise. Marc Chesney
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Meine tiefste Dankbarkeit gilt jedoch meinen Eltern. Ihre Persönlichkeit, ihr Mut und ihre Bildung haben meine Feder geleitet. Aus tiefstem Herzen widme ich dieses Buch im Gedenken an meine Mutter und an meinen Vater.
Zusammenfassung
Wie lässt sich die aktuelle Situation verstehen, die Zukunft unserer Gesellschaft antizipieren und gestalten, ohne die Geschichte und insbesondere die kritischen Perioden von Kriegen und Krisen zu analysieren, die uns vorausgegangen sind? Es ist besonders lehrreich, sich mit dem Ersten Weltkrieg zu befassen. Ein Jahrhundert ist vergangen seit der Opferung der europäischen Jugend – vor allem der französischen und deutschen – in den Massengräbern jenes Krieges. Heute sind die Schützengräben im Herzen Europas glücklicherweise verschwunden; aber die heutige Generation leidet unter einer tiefgreifenden Krise, deren Verästelungen in die Wirtschaft und die Finanzwelt reichen – was in diesem Buch behandelt wird –, sich aber ebenso auf das Gesellschaftliche, die Umwelt und die Politik erstrecken.
Damals hat die Mehrheit der Bevölkerung nicht an den Ausbruch eines Krieges geglaubt, oder wenn, dann glaubte sie, dass der Krieg nur kurze Zeit dauern würde. Jener Krieg hat jedoch vier lange Jahre gedauert. Heute beschleunigt sich der Bankrott des Systems immer mehr, trotz zahlreichen Interventionen der Regierungen, welche alle behaupten, sie könnten Lösungen gegen die Unterbeschäftigung und die zunehmende Verarmung finden. Dieses Buch untersucht die Gründe dieser Situation; es zeigt Parallelen zwischen der Gesellschaft von 1914 und der heutigen auf, und es skizziert Lösungen für das Problem der zu einem Kasino verkommenen Finanzsphäre.
Einleitung
Der Untergang der Zivilisation unter dem Vorwand ihrer Rettung
Am Abend des 1. August 1914, einem Samstag, bereiten sich französische wie deutsche Familien auf eine schmerzliche Trennung vor. Soeben wurde die allgemeine Mobilmachung durch Aushänge angeordnet. Lange läuten die Glocken in den Städten und Dörfern. Sie verkünden die gefürchtete Nachricht des Kriegsausbruchs und werfen bereits die Schatten künftiger Ängste und Leiden voraus. Der erste Tag der Mobilmachung wird Sonntag, der 2. August, sein. Schon am frühen Morgen wird der Gare de l’Est in Paris voller Soldaten in Begleitung ihrer Familien sein. Das gleiche Bild bietet sich am Anhalter Bahnhof in Berlin. Unter dem Vorwand der Rettung der Zivilisation werden die Soldaten zu Vollstreckern und Opfern ihres Untergangs.
Am Freitag, dem 1. August 2014, also hundert Jahre später, bereiten sich viele französische und deutsche Familien auf ihren Urlaub vor. Am nächsten Tag werden der Gare de Lyon in Paris und der Berliner Hauptbahnhof mit TGVs und ICEs vollkommen überlaufen sein. In Frankreich wird die Autobahn nach Süden wie gewöhnlich verstopft sein. Diesmal zieht es die Menschenmengen gen Süden zu den Stränden, und nicht mehr an die Ostfront die einen und an die Westfront die anderen, wie vor einem Jahrhundert. An die Stelle des Albtraums vom langen Weltkrieg tritt der Traum von Sonne und Meer. Es geht nicht mehr um das Wohl der Zivilisation, sondern eher prosaisch um eine wohltuende Auszeit, während die finanzielle und ökonomische Lage weiterhin instabil bleibt. In der Sommersaison dominiert in Europa nunmehr das Tourismusbusiness; das lenkt die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von den wirtschaftlichen Ungleichgewichten ab, welche das Finanzkasino schafft, und es baut vorübergehend die Spannungen ab, die damit einhergehen. Die Massengräber des Ersten Weltkriegs verschwinden aus dem kollektiven Gedächtnis, die Erosion ist am Werk.
Das monumentale Gemälde im Pariser Gare de l’Est erinnert uns an die Tragödien des Ersten Weltkriegs. Ist es vergleichbar mit den Wandmalereien in der Höhle von Lascaux – Spuren einer fernen Vergangenheit, deren Einfluss sich bereits in grauer Vorzeit verliert?
Die Höhle von Lascaux, die sich im französischen Departement Dordogne befindet, ist eine der bedeutendsten Fundstätten prähistorischer Höhlenmalerei.
Kapitel 1
Gestern und heute
Ein Jahrhundert ist es nun schon her, seitdem die europäische Jugend auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs geopfert wurde. Hundert Jahre, das scheint eine lange Zeit zu sein – obwohl es sich eigentlich nur um wenige Generationen handelt.
Die Gesellschaft von 1914 ist der heutigen sehr ähnlich mit ihren Universitäten, Bibliotheken, Opernhäusern, Theatern und ihrer Literatur, mit ihren Parlamenten, ihren Gerichten und nicht zuletzt mit ihren Großunternehmen und Banken. Der Westen konnte sich damals seiner wirtschaftlichen, sozialen, wissenschaftlichen sowie demokratischen Errungenschaften durchaus rühmen.
Natürlich war dies lange bevor es das Internet gab, doch das Radio war bereits erfunden und die Printmedien waren schon weit entwickelt, vermutlich vielseitiger und weniger kontrolliert als heute. Kommerzielle Flüge existierten noch nicht, aber man war dank Zügen und Autos bereits sehr mobil. Es war eine gebildete und zivilisierte Gesellschaft, in der zwei Länder in ihrer Blütezeit, Frankreich und Deutschland, beide christlich geprägt und mit den gleichen Grundprinzipien, einen verheerenden Krieg unter Einsatz der Massenvernichtungswaffen jener Zeit begannen. Die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand, dem Thronfolger Österreich-Ungarns, am 28. Juni 1914 in Sarajewo war der Funke, der Europa in Brand setzte und es in ein Räderwerk der Zerstörung stürzte, in dem eine ganze Generation geopfert wurde. Nicht nur materiell, sondern auch moralisch wurde die Zivilisation zugrunde gerichtet, und das zu ihrem angeblichen Wohl. Eine großangelegte Manipulation riss die Massen in die Barbarei, alles unter dem Vorwand der Rettung der Demokratie oder der Nation. Dies bezeugt insbesondere eines der wichtigsten Werke jener Zeit, Die Thibaults, in dem der Autor Roger Martin du Gard seinen Helden sagen lässt:
«Nie zuvor ist die Menschheit so tief erniedrigt, ihre Intelligenz so rücksichtslos unterdrückt worden!»1
Ebenso aufschlussreich für diesen Niedergang der Menschheit ist folgendes Zitat aus dem Roman Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque. Der Protagonist seines Romans, ein deutscher Soldat, erzählt:
«Wir sind verbrannt von Tatsachen, wir kennen Unterschiede wie Händler und Notwendigkeiten wie Schlächter. […] Wir sind fürchterlich gleichgültig. […] Wir sind roh und traurig und oberflächlich – ich glaube, wir sind verloren.»2
Verloren waren sie in ihren Schützengräben – in einem grauenvollen und sinnlosen Kampf. Sind wir es heute nicht auch? Gleichgültigkeit, Verrohung, Tristesse und Oberflächlichkeit können ebenfalls die heute lebenden Generationen charakterisieren, besonders die Söldner des Finanzkrieges.
Der Trader, Söldner des 21. Jahrhunderts
Der nachfolgende SMS-Dialog zwischen zwei dieser jungen Söldner unserer Zeit ist in dieser Hinsicht lehrreich:
– hallo
– hallo
– wir sind tot
– David von CS hat wegen der skew trades angerufen
– Ich sage dir, die werden uns fertig machen […], heute Abend hast du minimum 600m
Was kann wohl diese sowohl kriegerische als auch fast schon derbe Sprache zwischen zwei vorgeblich gebildeten Personen bedeuten? Wird hier auf den Tod angespielt? Wessen Tod? Steht 600m für 600 Mordopfer? Nein, es geht um den finanziellen Tod. Die 600m stehen für 600 Millionen Dollar Verlust, der aber im vorliegenden Fall letztendlich