Liebesbrief an Unbekannt. Thomas Brezina
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Patricia hatte grünen Matcha-Tee gewählt. Er war von einem sehr ernsthaften Studenten mit dicken Brillen aufgeschlagen und gebracht worden.
»Zeig her«, verlangte Patricia. Sie nippte am heißen Tee und gönnte sich schnell einen Bissen von ihrem Vollkorncroissant.
Emma wischte sich die Hände ab. Sie hatte fettige Finger, denn ihr schmeckte nur ein Croissant, das »Speck an der Hüfte« heißen sollte, wie sie manchmal dachte. Vorsichtig holte sie den Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Patricia. Seit der Entdeckung des Rauchgeruchs war Emmas Neugier und Begeisterung etwas abgeflaut.
Patricia war ungeschminkt, was ihr Gesicht ungewohnt erscheinen ließ. Sie betrachtete den Umschlag prüfend von beiden Seiten und zog ein Messer aus dem Ständer auf dem kleinen Tisch.
»Soll ich, oder willst du?«
»Nein, ich.« Emma nahm ihr den Brief wieder ab und Patricias drängender Blick ließ gar nichts anderes zu, als die Klinge in die kleine Öffnung an der Seite der Flappe zu stecken und das Papier zu zerschneiden. Ihre Hand zitterte, als sie einen gefalteten Briefbogen herauszog. Es war leicht gelbliches Papier, nicht dick und teuer, aber auch nicht einfach Druckerpapier. Emma atmete ein und öffnete den Brief. Ihre Augen zuckten über die wenigen Zeilen. Danach schüttelte sie den Kopf leicht und ihre Augenbrauen wanderten hoch.
»Darf ich auch?« Es war keine Frage, sondern ein Befehl von Patricia.
Emma beugte sich zu ihr und las leise vor:
Liebe Emma,
es gibt einen Satz, der nicht von mir ist, sondern von einem Yogi am Himalaya. Dank dir ist er mir wieder eingefallen. Ich will ihn unbedingt mit dir teilen. Allein der Gedanke daran hat mir geholfen, wieder freudig nach vorne zu sehen. Vielleicht geht es dir auch so.
Die Weisheit des Yogi lautet:
In Wahrheit ist es einfach Liebe.
Es klingt so einfach und ist doch so schwierig.
Ich hoffe, ich habe mich jetzt nicht aufgeführt wie ein Elefant im Porzellanladen und du findest diesen Satz aufdringlich. Vor langer Zeit einmal habe ich ihn gelesen und er hat mich beruhigt und gestärkt. Vielleicht hat er auf dich die gleiche Wirkung.
Ein Mann, der gerne ein Traummann wäre, aber mehr ein Alptraummann ist
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Romantisch.« Patricia nahm einen weiteren Schluck ihres Matcha-Tees. Ein kleiner grüner Schaumbart blieb auf ihrer Oberlippe zurück.
»Das habe ich auch so geschrieben in meinem ersten Brief. Deine zukünftige Traumfrau, die allerdings derzeit eine Alptraumfrau ist.« Emma las den Brief immer wieder, weil sie den Wortlaut der Zeilen nicht glauben konnte. Wenn sie in der Nacht auch alle Funken von Verliebtheit in einen Unbekannten in sich erstickt hatte, so glommen sie nun wieder voll auf.
In Wahrheit ist es einfach Liebe.
Einfach Liebe.
»Ist es nicht sehr früh, wenn er jetzt schon von Liebe spricht?«, fragte Emma.
»Schätzchen, er schreibt nicht, dass er dich liebt. Er schreibt von der Kraft der Liebe, der Wahrheit und der Einfachheit.«
»Aber es klingt, als hätte er meine Briefe gelesen. Meine Briefe an Unbekannt. Wie?«
»Das kannst nur du wissen.«
Aber Emma wusste es nicht.
»Wer ist er?« Emma wackelte mit dem Umschlag vor Patricias Gesicht.
»Hast du wirklich niemandem von den Briefen erzählt?«
»Wie oft noch? Nie-man-dem. Außer mir weiß niemand, dass ich mich Alptraumfrau genannt habe und zukünftige Traumfrau. Genau wie er in seinem Brief.« Emma sah Patricia flehentlich an. »Wenn du etwas weißt, dann sag es. Bitte!«
»Hier geht es nicht um Wissen.«
»Sondern?«
»Um mehr.«
»Was soll das wieder heißen?«
»Ich habe von so einem Antwortbrief noch nie gehört. Das Universum, der Himmel, die Macht, die uns umgibt, sie senden uns Botschaften. Manche versteckt, manche offen. Aber schriftlich sind sie mir noch nie untergekommen.«
Es war Patricia anzuhören, dass sie es genau so meinte, wie sie es sagte.
»Was mache ich jetzt?«
»Nichts.«
»Wie bitte?«
»Du lebst.«
»Aber ich will wissen, wer den Brief geschickt hat. Welcher Mann schreibt so etwas? – In Wahrheit ist es einfach Liebe?«
»Wenn die Zeit reif ist, wirst du ihn treffen.«
»Und bis dahin?«
»Verwendest du viel Liebe für dich selbst. Du verdienst sie nämlich. Statt zu warten, dass dich jemand liebt, tu es einmal selbst. Es wird dir guttun.«
Emma spürte, wie die Wut in ihr aufwallte. Sie wollte wissen, wer der Briefschreiber war, und Patricia mit ihren seherischen Kräften wusste vielleicht schon mehr. Sie hätte Patricias Tasse packen und ihr das grüne Zeug ins Gesicht schütten können.
»Ich weiß, was du jetzt tun willst. Aber es bringt dir auch keine Klarheit«, sagte Patricia seelenruhig.
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Emma machte im Kopf eine kleine Liste:
Ruhige Minuten an diesem Tag: null
Ruhig gesessen an diesem Tag: nullmal
Pulsschlag: gefühlte zweihundertmal in der Minute
Schweißausbrüche trotz des kühlen Windes: mindestens zehn Mal
Zum Briefschlitz nachsehen gegangen, ob ein weiterer Brief eingeworfen worden war: geflunkerte 99-mal, in Wirklichkeit wahrscheinlich dreihundertmal
Gutes Gefühl, weil das viele Laufen durch das Haus auch eine Art Fitness-Training ist: durchaus
An Eric gedacht: dauernd
Mich gefragt, ob er den Brief geschrieben hat: dauernd
Mich schrecklich gefühlt, weil ich eine Alptraumfrau bin und bleibe: ständig
Mich als blöd beschimpft, weil ich so viele Lügen erzählt habe: gefühlte unendlich viele Male
Mich in den Spiegel geschaut und hässlich gefunden: viermal, danach habe ich den Spiegel abgehängt und zur Wand gedreht.
Um sich zu beschäftigen und abzulenken,