Die Bewohnbarkeit der Erde (E-Book). Helmut Schreier

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Die Bewohnbarkeit der Erde (E-Book) - Helmut Schreier

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der Zerstörung abzuwenden. Die Methoden der Schule spiegeln bis zu einem Grade stets die innere Verfassung der Gesellschaft. Es wäre interessant, den alten Weg von der Erfahrung der Dinge im «händischen» Umgang hin zur begrifflichen Vorstellung mit dem neuen Weg der Informationsverarbeitung im Hinblick auf die verschiedenen Lebenswelten miteinander zu vergleichen, die sie jeweils ausdrücken: Welche gesellschaftlichen Erwartungen, welche Bildungsideen erscheinen als jeweils massgebliche?

      Ganz unabhängig von den jeweiligen Vorstellungshorizonten schreitet die Zerstörung der Biosphäre und die Degradation (Qualitätsabbau des Bodens und der Wälder) und Toxifikation (Vergiftung von Organismen oder Substraten wie Luft oder Wasser) weiter fort. Anscheinend, jedenfalls bisher, unaufhaltsam. Die notwendige Veränderung der Produktions- und Verbrauchsmuster setzt einen Sinneswandel voraus, den das Bildungswesen nicht allein bewirken kann, solange «Bildung» mit «Schule» gleichgesetzt wird. Das Problem ist viel zu gross für den Schulunterricht, diese Vermittlungsinstanz von Kompetenzen, die immer schon von politischer Seite definiert worden sind. Und in der Tat wurden die wesentlichen gewissermassen bildungsträchtigen Momente, bei denen eine breite Öffentlichkeit im Lauf der vergangenen sechzig Jahre mit dem Problem der Erdzerstörung und der Notwendigkeit einer Änderung konfrontiert wurde, von allgegenwärtigen Medien in den öffentlichen Diskurs getragen, was dann in einigen Fällen tatsächlich zu weitreichenden Änderungen im politischen und rechtlichen Rahmen führte und auch den Schulunterricht – etwa in Gestalt eines Lernangebots namens «Bildung für nachhaltige Entwicklung» – erreicht hat.

      Vielleicht ist es im Fall der drohenden Zerstörung unserer eigenen Lebensgrundlagen deshalb eher angebracht, an so etwas wie «Volksbildung» zu denken, sofern diese nicht als eine nationale Angelegenheit gilt, sondern als nationenübergreifende, wahrhaft globale und menschheitsbildende Angelegenheit. Der Schule käme dabei weniger die Rolle des Vorreiters zu als die eines «Backstoppers», das heisst einer Instanz, die sicherstellt, dass einmal gewonnene Einsichten nicht wieder in Vergessenheit geraten.

      Foto vom Erdaufgang: Bewusstseinsbildung auf einen Blick

       Erdaufgang über dem Mond, aufgenommen von dem Astronauten William Anders aus der Raumkapsel Apollo 8 am 24. Dezember 1968 bei der vierten Umkreisung des Mondes (Quelle: NASA)

      Heiligabend 1968 hatte das Fernsehen die Weihnachtsbotschaft der drei Astronauten übertragen, die den Mond in einer engen Raumkapsel umkreisten. Ihre Worte klangen in unseren Ohren ein wenig pathetisch, wir verstanden, dass der Triumph im Wettrennen mit den Russen auch eine Art Weihnachtsgeschenk an die Amerikaner war, das über die Turbulenzen des Jahres – Tet-Offensive der Vietcong in Vietnam, Studentenrevolte, die Ermordung erst Martin Luther Kings, dann die Robert Kennedys, Aufstand in den schwarzen Ghettos – hinwegtrösten sollte. Damals, in vordigitalen Zeiten, erschien das Foto aus dem Fenster der Raumkapsel erst Tage später, das Magazin «Life» veröffentlichte es in der Neujahrsausgabe auf einer Doppelseite, der «Whole Earth Catalog»1 der sog. Gegenkultur Kaliforniens setzte es auf die Titelseite, die NASA stellte das Bild lizenzfrei zur Verfügung, und es wurde überall tausendfach abgedruckt. Dass es ikonische Bedeutung erlangte und zu einem der verbreitetsten Fotos der Geschichte wurde, liegt nicht nur an der kaskadenartigen Verbreitung, sondern auch daran, dass es unsere Welt in ungewohnter, ganz neuer Perspektive zeigt. Man sieht die Erde zugleich auf besonders realistische und besonders poetische Weise: Die Staatsgrenzen und Zonen, die beim Anblick jeder Weltkarte und jedes Schulglobus ins Auge fallen, sind wie auch die geometrischen Spuren der Längen- und Breitengrade unsichtbar. Man begreift, dass die Erde ein einziger Körper ist, ein zusammenhängender Organismus, und man ist von ihrer Schönheit überrascht. Sie schwebt über der kahlen Mondfläche in der Finsternis und scheint sich ins Sonnenlicht zu wenden. Etwas mehr als ihre Hälfte ist in Licht getaucht. Bis auf einen braunbeigen Fleck (mitten in Afrika) trägt sie blauweiss verquirlte Schmuckbänder: weiss die Wolken aus Wasser in der dünnen Schicht Gas über Land und Meer, blau das von Himmel und See gestreute Licht. Bei genauem Hinschauen nimmt man die dünne Schicht unserer Atmosphäre wahr, die bläulich über der Wölbung des Erdkörpers liegt und die das bisschen Luft abbildet, das uns am Leben hält.

      Die Kopie der Aufnahme an der Wand meines Schreibzimmers ist immer noch ein Hingucker, der mich daran erinnert, dass unser Mutterplanet, schön wie ein Juwel, in der unendlichen Schwärze des sogenannten Alls treibt, ein winziges Inselchen im ungeheuren Universum. Der Whole Earth Catalog machte die Redewendung vom Raumschiff Erde populär, und einer der drei Astronauten von Apollo 8 sprach beim fünfzigjährigen Jubiläum des Fluges von der Bühne, auf der wir Menschen unser Stück aufführen.

      Worum geht es in dem Stück? Und welche Rolle spielen wir? Auf solche Fragen gibt es viele Antworten, da ist nur ein Rauschen vernehmbar. Man möchte wünschen, dass das Skript wenigstens nicht auf die vollständige Demolierung der Erde hinausläuft. Schliesslich ist sie die einzige Heimat, die wir haben.

      «Erdaufgang» kam gerade zur rechten Zeit, um zur Ikone der internationalen Bewegung zum Schutz der Umwelt zu werden, die sich in den 1960er- und 1970er-Jahren formierte. Das Bild führte genau die Einsichten vor Augen, die sich eben erst ins öffentliche Bewusstsein drängten – Einsichten in die wechselseitige Abhängigkeit der Lebewesen und ihres Zusammenwirkens mit der Umwelt. Indem die Atmosphäre als Medium dieser Lebensvorgänge sichtbar wurde, war es ein Beleg für das sprichwörtliche Bild, das mehr sagt als tausend Worte.

      Und es traf auf eine Öffentlichkeit, die sich mitten in der Diskussion über Umweltprobleme befand.

      Der stumme Frühling. Ein globales Lernprojekt

      1962 war Rachel Carsons Buch «Der stumme Frühling» in den USA und fast gleichzeitig in der Bundesrepublik Deutschland erschienen. In den USA war damit eine heftige Kontroverse ausgelöst worden, die sich über die gesamten sechziger Jahre hinzog und schliesslich im Jahre 1972 zum Verbot der Produktion und Anwendung von DDT führte. Die meisten westlichen Staaten schlossen sich wie die Bundesrepublik diesem Verbot an.

      Es lohnt sich, jene Auseinandersetzung in Erinnerung zu rufen, weil sie aus heutiger Sicht gewissermassen als Prototyp gelten kann für Lernprozesse der Öffentlichkeit, die eine Änderung der vorherrschenden Sichtweise einschliessen. Rachel Carson hatte in ihrer Studie nicht nur das Verschwinden der Singvögel erklärt, die von dem Insektengift umgebracht wurden – meist DDT –, das sie mit ihrer Nahrung aufnahmen und in ihrem Organismus speicherten, sondern auch dargelegt, dass Menschen keineswegs vor dem Gift gefeit waren. Auch sie nahmen es mit ihrer Nahrung auf – in Gemüse, Salat, im Fleisch von Schlachttieren –, und das in ihrem Fettgewebe angespeicherte DDT erwies sich als karzinogen, hatte also auch auf Menschen eine fatale Wirkung. Carson schilderte eine Reihe von bestens untersuchten Fällen, die diese Konsequenz in ihrer ganzen Bösartigkeit belegten. Vermutungen in ähnlicher Richtung waren bereits Jahre vorher hier und da geäussert worden, und es gab amtliche Empfehlungen zum Umgang mit Insektiziden, die Schutzmassnahmen für Menschen aufführten. Aber der systematische Zusammenhang einer Verkettung der Lebewesen miteinander und der Mechanismus der Akkumulation von Giftstoffen war dem breiten Publikum der Nichtfachleute noch weitgehend neu. Rachel Carsons Informationen brachten die Unausweichlichkeit der Vergiftungsprozesse zu Bewusstsein.

      Leser mit einer Neigung zur Satire hätten sich nach der Lektüre des Buches bemüssigt sehen können, das Foto vom Erdaufgang auszumalen, etwa durch den Auftrag einer toxisch anmutenden Farbgebung.

      Mächtige Chemiekonzerne – DuPont, Monsanto – suchten die Verfasserin des «Stummen Frühlings» zu diskreditieren und investierten beträchtliche Mittel in die Auseinandersetzung (Monsanto allein soll dafür 250000 USD ausgegeben haben), aber Carson hatte unter Wissenschaftlern einen guten Ruf als hervorragende Biologin, spezialisiert auf die Lebewesen der Meeresküste. Und sie hatte das Manuskript in enger Zusammenarbeit mit Fachleuten verfasst, die ihr detaillierte

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