Was am Ende bleibt. Marija Barisic
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Mit der Psychotherapie brach ich ein weiteres Tabu meiner Zeit, was in einer Zeit voller Tabus nicht schwierig war. »Du musst deppert sein, dass du einen Psychologen brauchst!«, haben sie alle zu mir gesagt, aber ihrer Meinung nach war ich ja auch deppert, dass ich mich freiwillig von meinem Mann geschieden hatte, also fiel es mir nicht schwer wegzuhören. Die Therapie war gleich nach der Scheidung die beste Entscheidung meines Lebens: Ich sage es Ihnen, der hat mich da heil herausgeholt, dieser Psychologe. Zu allen Menschen, die heute überlegen, ob sie eine Therapie machen sollen oder nicht, sage ich: im Zweifel immer ja. Es ist unglaublich, was man da alles über sich lernt. Ohne die Therapie und meine Mutter, die am Wochenende immer auf meinen Sohn aufgepasst hat, wäre damals gar nichts gegangen.
Die Alimente habe ich mir dann mühsam mit der Hilfe eines Freundes, der Rechtsanwalt war, erstritten, weil mein Mann, gekränkt in seinem Stolz, sich wochenlang weigerte zu zahlen. Letztlich musste er sogar noch mehr Alimente zahlen, als wir ursprünglich vereinbart hatten, weil er leider, leider zu viel verdient hat. Natürlich habe ich ihm das gegönnt! Dieses Neidigsein seinem eigenen Kind gegenüber habe ich ihm nicht so leicht verziehen.
Nach dem Scheidungsdrama schaffte ich mir ein kleines Auto an und lernte, nur das zu kaufen, was ich wirklich brauchte. Mit diesen Rabattgutscheinen hätten Sie mich quer durch die Stadt jagen können, die haben mich nicht interessiert, wir hatten ja alles, was wir brauchten. Jahre später sagte mein Sohn, mittlerweile ein erwachsener Mann, zu mir: »Mama, du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der sparen kann, ohne zu sparen.«
Ihn lieferte ich am Wochenende und in den Ferien immer bei meiner Mutter im niederösterreichischen Wieselburg ab, was mir Zeit und Raum zum Atmen verschaffte. So konnte ich dann nachts durch die Innenstadt ziehen, das Leben und meine wiedererlangte Freiheit genießen. Ich war ja noch jung, hatte eine recht gute Figur und war auch wirklich nicht hässlich. Nach meinem Mann hatte ich noch mehrere andere Beziehungen, die aber nicht länger als drei Jahre dauerten. Damals alleinerziehend zu sein, war nicht nur aus finanzieller Sicht schwierig, sondern vor allem auch, was andere Männer betraf. Wir unverheirateten Alleinerzieherinnen wurden ja wie Freiwild behandelt. Einmal, ich kann mich noch gut erinnern, hat ein Mann zu mir gesagt: »Du bist ja jetzt frei, du kannst ja zu mir sagen.« Ich habe mich damals nur umgedreht und gemeint: »Stell dir vor, ich bin sogar so frei, dass ich nein sagen kann.« Die dachten, wir wären offen für jeglichen Sex, nur weil wir zu Hause niemanden hatten, der auf uns wartete.
Zweimal ging das sogar so weit, dass ich auf der Straße überfallen wurde. Beim ersten Mal habe ich nur meinen Hut verloren, sonst bin ich glimpflich davongekommen. Der andere Mann wollte in meine Wohnung einbrechen, hat es aber Gott sei Dank nicht geschafft, weil ich mich rechtzeitig aus seinen Armen befreien und flüchten konnte. Der hätte mich sonst sicher vergewaltigt. Und wissen Sie, was mein Vater dazu gesagt hat? »Was hast du denn um neun am Abend alleine auf der Straße gemacht?« Das war sein Kommentar dazu, dass seine Tochter fast vergewaltigt worden wäre. Und er war damals nicht der Einzige mit dieser Meinung. Die Schuld wurde immer bei uns Frauen gesucht, das hat eine ganz lange Tradition. Einen Partner zu finden, der einen auf Augenhöhe behandelt hat, war alles andere als leicht. Und doch habe ich es immer irgendwie geschafft.
Einen, den wollte ich vor dreißig Jahren unbedingt heiraten, habe ich im Cats kennengelernt, ein Lokal im ersten Wiener Gemeindebezirk. Ich hatte gerade einen hitzigen Streit mit dem Barkeeper am Laufen, als der besagte Mann sich einmischte, Herbert ist sein Name. Meine Güte, keine Ahnung mehr, worum es da ging. Wahrscheinlich um Frauen und die Hierarchie. Wie so oft konnte ich meinen Mund nicht halten und Herbert hatte damals Angst, dass ich eine aufgelegt bekomme von diesem Riesenbarkeeper. Und so hat er mich dann zu seinem Tisch gezogen, um mich aus der Situation zu retten. Dort habe ich ihn kennengelernt und mich gleich Hals über Kopf in ihn verliebt. Fragen Sie mich nicht, wie er damals ausgesehen hat, ich bin kein Vergangenheitsmensch. Blond war er sicher nicht, das weiß ich, weil ich nie auf blonde Männer gestanden bin. Ich glaube, er hatte braune Haare, war nicht wahnsinnig viel größer als ich, aber zehn Jahre älter.
Es muss März oder April gewesen sein, der Frühling hatte gerade angefangen und Herbert war eigentlich verheiratet. Eine Zeit lang hatten wir eine Beziehung, dann wollte er sich von seiner Frau trennen und hat’s nicht gemacht. Das Problem war aber nicht seine Ehe, sondern seine Beziehungsunfähigkeit. Der war einfach ein beziehungsunfähiger Mensch! Ich kann mich noch gut daran erinnern, wir sind im Auto gesessen und auf der Donaubrücke gefahren, als er mir gesagt hat, dass er sein Leben mit mir teilen möchte. Nach der Brücke hat’s plötzlich geheißen, dass er sich jetzt von mir trennen muss. Ich bin ausgestiegen und musste mich erst einmal übergeben, so verletzt war ich. Irgendwann hat er sich dann wirklich von seiner Frau getrennt. Dann war zwei Monate Pause, bis er mich wieder angerufen hat und alles von vorne losgegangen ist. Dreimal habe ich dieses Spielchen mitgemacht, bis ich gesagt habe: »Herbert, nie wieder. Wir können Freunde bleiben, o.k.? Aber eine Beziehung: Nie wieder.« Davor habe ich gedacht, ich könnte ihn heilen, ihn von mir überzeugen. Die typischen Gedanken, die man als verliebter, dummer, junger Mensch halt so hat. Die Antwort auf die Frage, ob man jemanden heilen oder von sich überzeugen kann, ist übrigens Nein.
Seine Antwort auf mein Schlussmachen war: »Wenn du fünfzig bist und ich sechzig, heiraten wir.« Er hat mich dann auch wirklich gefragt, als ich fünfzig wurde, aber ich habe nur gesagt: »Herbert, du weißt ganz genau, dass du jetzt nur deswegen willst, weil du weißt, dass ich Nein sagen werde.« Das war’s dann, ab diesem Zeitpunkt waren wir wirklich nur noch Freunde und hatten als solche mal mehr, mal weniger Kontakt. Er hat immer wieder angerufen, dann haben wir ein bisschen telefoniert und das war’s dann auch schon. Zu dem Zeitpunkt war mir das alles schon egal, ich war ja längst wieder verliebt.
Diesmal aber so richtig, der war eigentlich meine große Liebe. Ich habe mir fest vorgenommen, heute nicht über ihn zu sprechen, das geht mir immer noch viel zu nahe. Ich habe ihn kurz nach Herbert kennengelernt, er hatte aber eine Freundin, die dann schwanger wurde und ich musste ihr den Weg freiräumen. Dreißig Jahre später sucht dieser Mann meine Nummer im Telefonbuch heraus und ruft mich an. Ohne dass auch nur ein Wort in der Zwischenzeit gefallen ist. Er meinte damals, er hätte zufällig eine Videokassette gefunden, auf der ich zu sehen bin und verspürte den starken Drang, mich anzurufen. Ich bin damals aus allen Wolken gefallen, habe mich mit ihm zum Essen getroffen, wo er meinen Kopf in seine Hände nahm und mich küsste. Nach dreißig Jahren.
Um mich war’s sofort wieder geschehen und so begann eine Affäre, die fünf Jahre dauerte, ohne dass seine Frau jemals was davon erfuhr. Jeden Dienstag oder Donnerstag ist er zu mir gekommen, als sie in der Arbeit war, – sie hat viel gearbeitet –, und verbrachte fünf Stunden mit mir, danach ist er wieder nach Hause gefahren. Ich habe nie von ihm erwartet, dass er sich trennt, das kann man von einem 65-jährigen Mann nach dreißig Jahren Beziehung nicht einfordern. Ich traue mich nicht zu beurteilen, wer wen mehr geliebt hat. Einmal hat er einen Stoß Zettel vom Tisch in die Luft geworfen und laut geschrien: »Was willst du eigentlich von mir? Ich kann ohne dich nicht leben!« Aber natürlich konnte er ohne mich leben, er ist ja am Ende des Tages immer wieder zurück zu seiner Frau gegangen.
Irgendwann ist er bei mir tot umgefallen. Der Rettungsmann hat mich noch gefragt, ob ich mit ins Spital fahren will, aber natürlich habe ich Nein gesagt. Und auch zur Beerdigung bin ich nicht gekommen, das konnte ich seiner Familie, vor allem seiner Frau, nicht antun. Und so musste ich alleine trauern und mich selbst trösten. Über diesen Verlust werde ich nie hinwegkommen, wenn das heute noch wehtut, dann wird’s immer wehtun.
Herbert ist in all dieser Zeit nicht von meiner Seite gewichen. Er hat immer wieder angerufen, war die letzten