Was am Ende bleibt. Marija Barisic

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Was am Ende bleibt - Marija Barisic

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fing meine Ausbildung bei einem Automechaniker an, weil ich schon fahren konnte, ließ er mich sofort ohne Führerschein ans Steuer. Mit dem neuen Amerikaner, dem Chevrolet, fuhren wir zusammen auf die Autobahn. »Ist das schon alles?«, sagte mein Chef zu meinem Hunderter. »Komm, steig drauf!« Und ich beschleunigte auf 150. Als ich jung war, fuhr ich oft Rallyes im Wald, mit 18 durfte ich dann endlich den Führerschein machen. So bin ich Fernfahrer geworden.

      Kinder hatte ich viele im Leben, und Männer noch mehr. Mein erster Mann war drogensüchtig, der hat den Putz von den Wänden gekratzt, wenn er nichts bekommen hat. Der zweite war Alkoholiker. Mein erstes Kind nahm mir die Jugendfürsorge weg, das zweite die Schwiegermutter. Beim dritten Kind stand die Frau von der Fürsorge wieder über dem Krankenhausbett. »Wenn du unterschreibst, dass du ihn weggibst, dann gibt dir der Arzt eine Spritze, damit es schneller geht.« Wissen Sie, wie sich eine Steißgeburt anfühlt? Jedenfalls habe ich unterschrieben. Erst über fünfzig Jahre später sah ich das Kind wieder, als es mir, Andi getauft und mittlerweile erwachsen, einen Brief schrieb. Dieser Andi ließ nämlich nachforschen, wer seine leibliche Mutter war. Er will sich mit mir treffen, am Westbahnhof, schrieb er. Ich stand beim Ausgang oben, dann kam plötzlich ein Mann auf mich zu, der sah ein bisschen mir ähnlich und ein bisschen seinem Vater. »Ich bin der Andi«, sagte er.

      Und ich darauf: »Ich bin dei Mutti.«

      Wir umarmten uns und ich konnte nur noch weinen. Zusammen gingen wir essen und redeten und redeten, am meisten über seinen Vater.

      Behalten habe ich nur das vierte Kind, meine Tochter Monika. Eigentlich wollte ich sie abtreiben, wollte ich auch bei den Kindern davor, aber im Spital wiesen sie mich immer wieder ab. »Sie müssen erst viele gesunde Kinder auf die Welt bringen, dann können wir eine Abtreibung machen«, sagte der Arzt zu mir. Ich nahm zwar die Pille, aber nach einem Jahr musste man damals noch aussetzen. Kaum hatte ich die Pille abgesetzt, war ich wieder schwanger.

      Monikas Vater war auch Alkoholiker. Er wollte mich heiraten, aber ich sagte: »Zeig mir erst einmal, dass du ohne Flasche auskommst. Ich bin doch keine Wäscherin für einen Besoffenen, und schon gar nicht für einen, der zwei Packerl Zigaretten am Tag braucht. Die Flasche oder wir«, sagte ich, als Monika sechs war. Er wählte die Flasche. Sechs Jahre später stand ich gerade in der Küche, als es wieder an der Tür läutete. Schnell wischte ich mir die Hände am Geschirrtuch ab und ging zur Tür. Verdammt. Mal wieder stand ein Polizist davor, diesmal hatte er meine Tochter am Ellbogen nach Hause gebracht. »Wir haben Ihre Tochter beim Stehlen erwischt«, sagte er und ließ sie los. Ich nahm sie am Handgelenk und zerrte sie bei der Tür herein. »Sie können Ihre Tochter nicht erziehen. Das ist ein Fall fürs Jugendamt.« Ich grinste ihn an. Monika war kein einfaches Kind. Mit elf hatten sie sie mir aus dem Puff gebracht, sie wollte sehen, warum dort so viele Lichter waren. Aber ein kluges Kind. »Sie können mir die Monika wegnehmen, ich kann Sie ja doch nicht aufhalten. Aber dann lass ich ganz Wien abbrennen.« Ich konnte sehen, wie ihn das aufregte, er plusterte sich gleich auf noch fünf Zentimeter mehr auf. »Das ist eine gefährliche Drohung, Madame, ich zeig’ Sie an dafür.« Ich lachte, ich glaube, ich habe ihn ausgelacht. »Wieso? Ich hab Ihnen ja nicht persönlich gesagt, dass ich Sie abbrenn’.« Damit machte ich die Tür zu, riss Monika am Handgelenk herum, und holte sie mit drei, vier Schlägen wieder in die Realität zurück. Aber immer nur auf den Hintern, nie ins Gesicht.

      Mit meinem LKW war ich in ganz Europa. Moskau, Sibirien, Frankreich, England. Aber Sibirien war am schlimmsten. In Moskau kaufte ich mir zwei Waffen und fuhr los. Minus siebzig Grad und ich hatte nur einen Arbeitsmantel. Im Wagen ging es, da hatte ich eine Heizung, aber manchmal musste ich raus und einen Reifen wechseln. Aber da biss ich einfach die Zähne zusammen, zog den Mantel aus, um die Arme bewegen zu können, wechselte den Reifen und weiter ging es. Einmal geriet ich in eine Schneeweh, die war so hoch, dass ich den Laster oben mit der Plane abdecken konnte. Zum Glück hatten sie mir an der Grenze eine Nummer gegeben, für den Notfall. Am anderen Ende der Leitung war eine Kaserne. »Zwei Panzer bitte, ich stecke fest.« Zum Glück sprach einer von ihnen ein bisschen Deutsch, geschickt hat er mir aber trotzdem nur einen. Der zweite kam dann später, als sie merkten, mit einem kriegen sie mich nicht raus. Am schlimmsten waren aber die Eisbären. Ich erinnere mich noch, wie ich mal zwei auf der Straße sah. Um sie nicht anzufahren, blieb ich stehen. Ich schaue den Eisbären an, der Eisbär schaut mich an, auf einmal steht er auf und kommt auf mich zu. Plötzlich haut er mit der Pranke die Scheibe ein, reißt die Tür am Rahmen auf und langt mit der Tatze zu mir herein. Zum Glück hatte ich das Gewehr. Bumm, erschossen, und den zweiten mit dazu, als er seinem Kumpel zu Hilfe kam. Beim nächsten Telefon rief ich meine Frau an. »Glück gehabt«, sagte sie.

      So sah ich die ganze Welt. In England schaute ich mir die Tower Bridge an, in Frankreich den Eiffelturm – und egal wo ich war, immer rief ich meine Frau an. Am Anfang, bevor ich Fernfahrer wurde und oft für ein ganzes Jahr weg war, sprachen wir darüber. »Willst du mich trotzdem?«, fragte ich. »Und kannst du damit leben?« Selbst wenn ich in Wien war, sah ich nicht meine Frau am öftesten, sondern die Zollbeamten. Bei jedem Zollpunkt musste man mit ihnen trinken, sonst verzollten sie nicht. Glauben Sie mir, da habe ich mit dem Trinken angefangen, aber so richtig. Eine Flasche Wodka allein, ohne irgendwas. Danach ging ich aber ins Hotel und schlief mich zwei, drei Tage aus. Dann erst teilte ich die Waren auf die Greißler auf, bevor ich zu meiner blonden Greißlerin nach Hause kam. Aber sie wollte mich trotzdem. Von überall her rief ich sie an und schrieb ihr eine Karte, egal wie teuer das war. »Ich bin gerade in Moskau, mir geht’s gut, ich liebe dich. Ich bin in Paris, alles ist gut gelaufen, ich liebe dich.« In Frankreich waren die nettesten Leute. Aber auch die schlimmsten Mädchen, die sind einem sofort über den Weg gelaufen. Ich habe aber nie eine angefasst. Ich war immer treu.

      Meinen dritten Ehemann lernte ich kennen, da war Monika acht Jahre alt. Er hat sie kaum miterzogen. »Es ist dein Kind«, sagte er immer, meine Tochter akzeptierte ihn auch nie als Stiefvater. Er war 18 Jahre älter als ich, gegen Ende wurde er blind und fast taub, aber er war ein Engel. Er hätte alles für mich getan. Reich wurde ich aber auch mit ihm nicht.

      Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet, entweder in Wien oder in St. Pölten. In Wien habe ich in einer Gärtnerei angefangen, jeden Abend die Paradeiser zu gießen, hat mir gefallen. Wenn ich in St. Pölten war, habe ich meistens wieder gekellnert. Eine Zeit lang war ich dort in einem Nachtlokal. Nicht in so einem mit nackten Frauen, einem normalen. Das hätte gar nicht funktioniert, die Polizei war ja ständig da, um nach dem Rechten zu sehen. Unser Lokal wurde in der Früh oft von Fernfahrern besucht, die sich ihr Frühstück holten und dann weiterfuhren. Er war einer davon.

      Sie erinnerte sich nicht gleich an mich, aber ich wusste sofort, das war die Kellnerin von damals. Ich hätte schon damals gewollt, aber das hätte ich nie gemacht, ich war ja verheiratet. Ins Heim kam ich, als ich schon längst verwitwet war. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns wieder treffen, und das auch noch in einem Heim in Wien, wo sie doch aus St. Pölten kommt?

      Nachdem seine Frau gestorben war, hatte er kurz eine Freundin hier im Heim. Die war aber dement, die hat nichts geredet, nur gelacht und verkehrte Antworten gegeben. Aber als wir uns kennenlernten, entschied er sich sofort für mich. Er ist meinem dritten Mann ähnlich, beim Handkuss zum Beispiel oder bei den Küsschen auf die Wange. Heiraten werden wir nicht, sonst verliere ich meine Witwenpension. Aber in zwei Monaten ist die Verlobungsfeier.

      Nähe und Distanz

      Alexander W. (nicht anonymisiert) ist 83 Jahre alt und hat eine tiefe, raue Stimme. Er klingt wie ein Mensch, der sein Leben am Theater auf der Bühne verbracht hat und das hat er auch. Allerdings nicht auf, sondern hinter der Bühne, als Dramaturg. Seit drei Monaten liegt er im Diakonie-Hospiz Lichtenberg in Berlin und kann nicht alleine aufstehen, weil eine Metastase auf zwei Wirbel seines Rückgrats drückt und seinen Unterkörper lähmt. Auf dem Fensterbrett steht ein Bild von seiner Frau.

      Aufgeschrieben von: Marija Barišic

      Als

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