Prozesspsychologie. Jörg Heidig

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Prozesspsychologie - Jörg Heidig EHP-Organisation

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sind keine Wechsel von einem Zustand in einen anderen, und sie tragen auch nicht den Charakter von Prozessmusterwechseln mit klarem Anfang und Ende. Vielmehr findet Entwicklung dauernd statt, und zwar im Sinne eines zukunftsoffenen Evolutionsprozesses. Innovationen folgen einem Muster aus bewussten Überlegungen einerseits und Trial and Error andererseits (vgl. Sennett 2008, S. 73). Erfolg kann kaum geplant werden (vgl. Chia & Holt 2011; Harford 2011), wenn er aber auftritt, dann wird er mittels Organisation dauerhaft und effizient gemacht. Veränderungen, insbesondere aber Innovationen, können demzufolge nicht im Sinne des Managementbegriffes gesteuert werden, denn Management setzt voraus, dass sich die anstehenden Aufgaben steuern lassen. Doch gerade in Situationen des Wandels wird deutlich: Management kann lediglich steuern bzw. optimieren, was es schon gibt (vgl. Hinterhuber 2007, S. 20 ff.). Die Ausgangssituationen, die den Einsatz von externen oder internen Veränderungs- bzw. Innovationsakteuren nahelegen, sind zu komplex, als dass man sie mit einfachen Modellen und einer gehörigen Portion Entscheidungsfreude zur Lösung führen könnte.

      Unter ›Prozesspsychologie‹ verstehen wir einen Ansatz, der sowohl das Phänomen Organisation mit seinen menschlichen Faktoren als auch die organisationalen Abläufe selbst umfasst. Wir stellen dabei weniger auf Organisationsstrukturen ab, sondern vor allem auf Prozesse, indem wir

      1. die Veränderung von Organisationen als zukunftsoffenen Entwicklungsprozess begreifen, und

      2. Modelle zum Verständnis der menschlichen Faktoren in Veränderungsprozessen auf den drei Interventionsebenen Personal, Gruppe und Organisation zu einer prozessualen Innensicht von Veränderungen integrieren, um damit

      3. die klassischen Prozessmanagementkonzepte um wichtige methodische Elemente zu erweitern mit dem Ziel, einen interdisziplinären Ansatz zu schaffen, der die organisationsentwicklerische und die betriebswirtschaftlichen Denkweisen einander annähert und so der komplexen Realität in vielen Unternehmen und Organisationen gerechter wird.

      Darüber hinaus begreifen wir die Beziehungen zwischen Organisationsanalytikern bzw. -beratern und Organisationen bzw. Führungskräften als Prozess im Sinne Scheins (2010c): Es ist schlicht unmöglich, die Belange einer Organisation so zu verstehen, dass man mithilfe einiger Modelle ›richtige‹ Rezepte anwenden könnte. Vielmehr geht es darum, auf der Grundlage einer »helfenden Beziehung«, wie Schein (ebd.) das Verhältnis zwischen Beratern und den Akteuren in Organisationen genannt hat, den Entwicklungsprozess der Organisation konstruktiv zu begleiten.

      Das vorliegende Buch befasst sich mit einer prozessualen Innensicht von Veränderungen. Diesen zunächst noch nicht näher definierten Begriff klären wir im Zuge unserer interdisziplinären Betrachtungen, wofür wir zunächst die möglichen Grundhaltungen bzw. Rollen von Organisationsberatern auf der Grundlage von Schein (2010c) darstellen (Kapitel 2), um dann brauchbare und praxiserprobte Konzepte aus den Perspektiven Organisationspsychologie und Organisationskultur (Kapitel 2) sowie Prozessmanagement (Kapitel 3) und Wissen (Kapitel 4) miteinander zu verbinden.

      Was bisher beschrieben wurde, hat zwingend auch eine ethische Dimension (Kapitel 5). Auf der ›offiziellen‹ Ebene werden zumeist gute Absichten postuliert, auf der ›inoffiziellen‹ Ebene geht es aber – oftmals unbewusst – um Gewinnen oder Verlieren (Argyris 1999). Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei dieser Diskrepanz um evolutionäre Rudimente handelt, aber solche biologischen Erklärungsmodelle sind für die Praxis der Unternehmensveränderung kaum von Wert. Es geht vielmehr um die Frage, wie die ›inoffizielle‹ Ebene versteh- und verhandelbar gemacht werden kann, ohne dass Abwehrmechanismen (Lazar 2004, Mucchielli 1980) und defensive Routinen (Argyris 1985, 1999) doch wieder zu Kämpfen und Verzerrungen führen. Es soll deshalb hier auch um die Frage gehen, welche Konzepte, Haltungen und Methoden aus unternehmensethischer Sicht zu einer ›guten‹ – will heißen: im Interesse humanistischer Werte und einer nachhaltigen Entwicklung gelingenden – Beratung in Veränderungsprozessen beitragen. Beratung entfaltet ihre Wirkung durch bereits erwähnte helfende Beziehung zwischen Beratern und Führungskräften (Schein 2010c). Dabei kommt es vor allem auf die Werte und Überzeugungen auf beiden Seiten an. Insofern stellt die Ethik ein alle Dimensionen des prozesspsychologischen Ansatzes verbindendes Element und den Maßstab beraterischen Handelns dar.

      Erstes Verständnis der Gestaltung von Veränderungen: Generalisierte Modelle

      Viele Veränderungsexperten folgen mehr oder weniger komplexen Modellen ihrer jeweiligen Disziplin und wenden fertige ›Produkte‹ an. In der betriebswirtschaftlich dominierten Fachberatung ist es ausreichend, wenn der Kunde weiß, (a) welcher Natur sein Problem ist und (b) welches Beratungsfach, welche Methoden und welche Berater helfen. Problematisch wird es dann, wenn bei der Umsetzung von Vorhaben der Faktor Mensch zu wenig berücksichtigt wird bzw. die Vorstellungen über die Veränderbarkeit von Organisationen einschließlich ihrer menschlichen Systemanteile insgesamt zu einfach sind. Sobald generalistische Machbarkeitsillusionen am Werk sind, werden zu viele Aspekte der Situation vor Ort außer Acht gelassen, und der größte Teil der durchgeführten Maßnahmen bleibt ebenso teuer wie wirkungslos. Selbst aufwändige Anpassungen der jeweils verwendeten Modelle greifen zu kurz, weil die tiefer liegenden Funktionsmechanismen in den betreffenden Organisationen zumeist grundlegend andere sind als die vom jeweiligen Modell berücksichtigten.

      Eindrucksvolle Beispiele dafür liefern fehlgeschlagene Reformvorhaben in der öffentlichen Verwaltung. Unter dem Begriff ›New Public Management bzw. ›Neues Steuerungsmodell‹ wurden in den vergangenen rund fünfzehn Jahren in vielen Behörden umfangreiche Veränderungen vorgenommen. Motor dieser Anstrengungen war hauptsächlich der Konsolidierungsdruck auf die öffentlichen Haushalte. Das vermeintlich wirksame Mittel sah man in der Übertragung betriebswirtschaftlicher Funktionsprinzipien auf die öffentliche Verwaltung. Mit dem Ziel, Verwaltung effizienter zu machen, wurde budgetiert und dezentralisiert. Heute lässt sich feststellen, dass diese Bemühungen im Kern gescheitert sind (vgl. Bogumil 2007, S. 39). Die Ursachen dafür sind im Konzept selbst zu suchen (vgl. Holtkamp 2007, S. 48) bzw. darin, dass die tiefer liegenden Funktionsprinzipien bzw. die Kultur in Verwaltungen eine grundlegend andere ist als in Unternehmen und betriebswirtschaftliche Instrumente daher nicht funktionieren können, ganz gleich wie gut sie an den Verwaltungskontext angepasst werden.

      Andere Experten verabschieden sich von der Vorstellung der Steuerbarkeit und legen zunächst eine Organisationsdiagnose nahe, um auf dieser Grundlage gemeinsam mit den Akteuren im System Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Viele Ansätze aus den Bereichen der Organisationsentwicklung (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 160 ff. oder Bokler 2004, S. 115 ff.) und der systemischen Beratung (vgl. Ellebracht et al. 2009) folgen dieser Denkweise, wobei wir zugeben, hier ein sehr breites Spektrum mit einer großen methodischen Binnendifferenzierung zusammenzufassen. Ein prototypisches Verlaufsmodell bietet der Survey-Feedback-Ansatz (vgl. Kals 2006, S. 54). Viele Autoren grenzen dieses Beratungsverständnis von der betriebswirtschaftlich dominierten Fachberatung ab, indem sie den prozeduralen Aspekt der Vorgehensweise (Problemanalyse, Erarbeitung eines Soll-Zustands, Bestimmung von Maßnahmen zur Erreichung des Solls usw.) betonen. Im Unterschied zur reinen Fachberatung muss der Kunde wissen, dass er ein Problem hat, aber nicht zwingend wissen, welche Dimensionen es hat und wie damit umzugehen ist. Vorteil dieser Ansätze ist, dass bei richtiger Durchführung die Lösungen von den Akteuren im System selbst bzw. mit den Beratern gemeinsam erarbeitet werden. Die Schwäche dieser Ansätze ist, dass sie Grenzen haben, wenn die Probleme sehr tief

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