Die Flüchtlinge sind da!. Armin Himmelrath

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Die Flüchtlinge sind da! - Armin Himmelrath

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fast 40 000 Zuwanderer einen Asylantrag (Staatssekretariat für Migration 2016). Darunter reisten ca. 10 000 minderjährige Flüchtlinge, davon etwa 3000 schulpflichtige, in das Land ein. Das sind 45 Prozent mehr als 2014 (Tagesanzeiger 2016). Die Schweiz hat rund acht Millionen Einwohner.

      →In Österreich wurden 2015 insgesamt 88 151 Asylanträge (davon 85 617 Erstanträge) gestellt. Das waren rund 200 Prozent mehr als 2014. Die meisten Antragsteller und Antragstellerinnen kamen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak (Bundesministerium für Inneres 2016). Wie viele Menschen in Österreich bei der Einreise registriert wurden, das Land jedoch wieder verlassen haben, ist nicht bekannt – Österreich gilt als Durchreiseland auf dem Weg nach Deutschland. Ca. 9300 zählten unter den Antragstellern laut Innenministerium zur Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Insgesamt geht das Bildungsministerium von etwa 8500 bis 9000 schulpflichtigen Zuwanderern aus (Die Presse 2015). Österreich hat rund 8,5 Millionen Einwohner.

      Bei der Betrachtung der Zahlen für Deutschland gibt es zwei Momente, an denen es aufgrund der Bürokratie zu langen Wartezeiten kommt: zwischen der Registrierung und der Antragstellung sowie zwischen der Antragstellung und dem Bescheid. Rund 400 000 Personen warten momentan darauf, einen Asylantrag stellen zu können. Das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BaMF) bestimmt darüber, wann ein Asylbewerber den Antrag stellen kann, nämlich erst dann, wenn Kapazitäten frei sind, diesen zu bearbeiten. Der Zeitraum zwischen Easy-Registrierung und Asylantragstellung wird statistisch nicht erfasst, kann jedoch einige Monate dauern (vgl. Staib 2016). Ist der Antrag gestellt, folgt die zweite Hürde: die Entscheidung darüber, ob der Antragsteller im Land bleiben darf oder abgeschoben wird. Die Zahl der unerledigten Entscheidungen lag im März 2016 bei rund 370 000 Asylanträgen. Selbst Menschen aus Syrien, die in 98,8 Prozent der Fälle Schutz erhalten, warten durchschnittlich 2,4 Monate auf eine Entscheidung, Menschen aus Albanien 6,8 Monate. Afghaninnen und Afghanen hingegen warten 15,4 Monate, Pakistanerinnen und Pakistaner 20,8 Monate. Die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren beträgt nach Angaben des BaMF 5,8 Monate (vgl. Staib 2016). Die Wartezeit verbringen die Asylsuchenden oft in Massenunterkünften – mit unklarer Bleibeperspektive.

      Rund ein Drittel aller Geflüchteten, die derzeit nach Europa kommen, sind minderjährig (Townsend 2016), mehr als die Hälfte ist unter 25 Jahren (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015). Es fliehen eindeutig mehr Männer als Frauen aus ihrem Heimatland – unter den Asylbewerbern in Deutschland 2016 sind in der Gruppe der 16- bis 18-Jährigen 64 Prozent Männer, unter den 18- bis 25-Jährigen 77,3 Prozent und bei den 25- bis 30-Jährigen sind es 72,5 Prozent (statista 2016). Im Februar 2016 waren 71,7 Prozent der Asylerstantragsteller jünger als 30 Jahre. Zwei Drittel aller Erstanträge wurden von Männern gestellt (BaMF 2016).

      Über den Bildungsgrad der Neuankömmlinge lässt sich meist nur spekulieren. Der Bildungsökonom Ludger Wößmann wagt eine Einschätzung anhand der Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus 81 Ländern zur Schulbildung: »Legt man die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudien PISA und TIMSS von 2011 – also für die heute 18-Jährigen – zugrunde, ergibt sich ein niederschmetterndes Bild: In Syrien schaffen 65 Prozent der Schüler nicht den Sprung über das, was die OECD als Grundkompetenzen definiert. In Albanien liegt die Quote bei 59 Prozent – gegenüber 16 Prozent in Deutschland. Das heißt, dass zwei Drittel der Schüler in Syrien nur sehr eingeschränkt lesen und schreiben können, dass sie nur einfachste Rechenaufgaben lösen können. Und das bedeutet, dass diese Schüler in Deutschland, selbst wenn sie Deutsch gelernt haben, kaum dem Unterrichtsgeschehen folgen können« (Wiarda 2015). Wößmann konstatiert: »Den zwei Dritteln der jungen Syrer, die nach internationalen Bildungsstandards als funktionale Analphabeten gelten müssen, wird zumeist die nötige Ausbildungsreife für die hiesigen Betriebe fehlen« (Wiarda 2015). Seine Prognose für die Flüchtlinge: »Aufgrund verschiedener Quellen können wir davon ausgehen, dass rund zehn Prozent [der Asylsuchenden] Akademiker sind. Und zwei Drittel keinen berufsqualifizierenden Abschluss haben« (Wiarda 2015).

      Im Januar 2016 gab das BaMF eine Studie heraus, für die im Jahr 2014 rund 2800 Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge unter anderem aus Afghanistan, Irak und Syrien über ihre Lebenssituation befragt wurden. Auch diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass nur zehn Prozent dieser Flüchtlinge einen höheren Schulabschluss gemacht beziehungsweise ein Hochschulstudium abgeschlossen haben (Worbs/Bund 2016).

      Eine nicht repräsentative, weil auf freiwilliger Selbstauskunft der Befragten beruhende Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zu folgendem Ergebnis: Unter den 2015 interviewten Flüchtlingen haben 13 Prozent eine Hochschule besucht, rund 17 Prozent ein Gymnasium und 30 Prozent eine Haupt- oder Realschule. 24 Prozent der Befragten hatten lediglich eine Grundschule besucht, acht Prozent gar keine Schule (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015: 1). Weiter heißt es in der Studie: »Es kann davon ausgegangen werden, dass die berufliche Qualifikation der Flüchtlinge nicht nur deutlich geringer ist als die des Durchschnitts der Deutschen, sondern auch als die anderer Ausländer oder Migrantengruppen« (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015: 5).

      Aus dieser Bilanz schlussfolgert das Institut: »Das künftige Fachkräftepotenzial der Flüchtlinge wird erheblich von Investitionen in Bildung und Ausbildung abhängen. Angesichts des geringen Alters und der schulischen Voraussetzungen bestehen bei entsprechender Förderung erhebliche Qualifizierungspotenziale« (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015: 6).

      Zugewanderte Kinder und Jugendliche verbringen einen Großteil ihrer Zeit in der Schule. Hier knüpfen sie soziale Kontakte, finden neue Freunde und in Lehrerinnen und Lehrern im Idealfall wichtige Bezugspersonen. Neue Freunde können aus dem gleichen Land stammen und in der gleichen Situation sein, was Zugehörigkeit und emotionale Unterstützung angeht. Hinzugewonnene Freunde aus anderen Kulturkreisen helfen bei der Entdeckung der neuen Umgebung und erleichtern die Integration. Diese kulturelle Mischung findet sich nur an einer Schule.

      Freunde und soziale Bindungen, aber auch der klar strukturierte Unterricht und feste Regeln machen die Schule zu einem sicheren Ort. »Die Flüchtlingskinder wollen keine Extrabehandlung, sie wünschen sich nur ein ganz normales Leben. Und so sollten sie auch angekündigt und behandelt werden: als neue Mitschüler, die jetzt bei uns lernen möchten« (Greiner 2016). So können Kinder und Jugendliche durch die Alltagsnormalität ihre traumatisierenden Erlebnisse im Laufe der Zeit mit positiven Erfahrungen überschreiben. Das erhöht die Selbstsicherheit und das Vertrauen in System und Gesellschaft.

      Eine gute Schule vermittelt Wissen, Sprache und Sozialkompetenz. Nur so ist der spätere Integrationsfaktor Arbeit erreichbar: Die Schule ermöglicht eine Lehre, eventuell ein Studium und/oder eine Hochschullaufbahn. Wer in die Arbeitswelt integriert ist, hat ein festes Einkommen, soziale Kontakte und einen geregelten Alltag. Deshalb ist Schule eine sehr gute Basis für gelingende Integration. Die Kosten dafür machen sich mehrfach bezahlt, wenn Flüchtlinge nicht in prekäre Verhältnisse oder gar Langzeitarbeitslosigkeit verfallen, wie Bildungsökonomen des Ifo-Instituts München für das WDR-Magazin Monitor ausgerechnet haben:

      Von einer Million Flüchtlingen sind nach der 2015 verwendeten Statistik 174 000 schulpflichtig. Ein Schulplatz kostet im Jahr inklusive Fördermaßnahmen 7900 Euro – das macht insgesamt 1,4 Milliarden Euro, was 2,3 Prozent aller Ausgaben für die Schulen (60 Milliarden) entspricht. Wird das Geld im Bildungssystem nicht investiert, muss es an anderer Stelle als Ausgabeposten im Sozialsystem trotzdem veranschlagt werden.

      Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangt, die Bildungsangebote quantitativ und qualitativ auszubauen – von der frühkindlichen über die schulische und berufliche bis zur Hochschulbildung.

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