Green New Deal als Zukunftspakt. Katja Kipping
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3„Ökologische Politik – will sie nicht offen autoritär sein – muss letztlich auch eine soziale Politik sein, weil sie ohne Akzeptanz der vielen zum Scheitern verurteilt ist.“ „Aus Thesen der Redaktion: lieber red als new“, prager frühling, Februar 2010, S. 38–39, hier S. 38.
4Naomi Klein, Die Entscheidung: Kapitalismus versus Klima, Frankfurt a.M.: Fischer 2016.
5Bernd Riexinger, System Change. Plädoyer für einen linken Green New Deal, Hamburg: VSA 2020; Katja Kipping, Bernd Riexinger, „Für einen sozialen Aufbruch und mutigen Klimaschutz“, https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/fuer-einen-sozialen-aufbruch-und-mutigen-klimaschutz/ [Letzter Zugriff: 20.5.2021].
[18] 2. CORONA UND KLIMA: WAS HAT DAS MITEINANDER ZU TUN?
Wake-up call
„Ich sage meinen Aktionären immer: Corona is a wakeup call, also ein Weckruf. Sehen Sie, wie schnell die Regierung im Lockdown in der Lage war, Freiheitsrechte einzuschränken. Glauben Sie ja nicht, dass sie nicht auch ans Eigentumsrecht rangehen würden, wenn es ernst wird mit dem Klimaschutz. Schon deshalb müssen wir jetzt von uns aus auf klimagerechtes Bauen hinwirken.“1 Diese Worte von einem Vertreter eines großen Immobilienkonzerns fielen bei einer digitalen Diskussionsrunde Anfang 2021 an der London School of Economics zum Thema Nachhaltigkeit. Natürlich ging es ihm darum zu verdeutlichen, wie sehr sein Unternehmen auf ökologische Belange achtet. Doch diese Worte lassen auch aus einem anderen Grund aufhorchen. Sie erinnern an die Polemik von Jan Fleischhauer in Reaktion auf den Aufruf #ZeroCovid. Dieser Aufruf aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft schlägt eine europaweite Strategie im Kampf gegen Corona vor. Anstatt die Infektionszahlen nur etwas einzudämmen, sollen sie Richtung null gedrückt werden. [19] Man tritt Fleischhauer nicht zu nahe, wenn man ihn als ausdrücklich Nichtlinken und Anhänger des Marktliberalismus bezeichnet. Aus dieser Position heraus kritisierte er an #ZeroCovid, dass es sich hier um den „Beginn im Kampf um eine neue Wirtschaftsordnung handelt“.2 Dabei findet es Fleischhauer besonders erschreckend, dass „die neue postpandemische Gesellschaft […] eine Gesellschaft sein wird, in der die Profitlogik ausgehebelt ist“.3 Während die gesellschaftliche Linke noch miteinander stritt, wie sie es mit dem Lockdown hält, hatte die andere Seite den Knackpunkt der Sache also längst ausgemacht. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass Fleischhauer und Co. das als Gefahr markieren, was als Chance gesehen werden könnte.
Um den Kollaps von Krankenhäusern und Krematorien zu vermeiden, griff die Regierung während der Coronakrise in alltägliche Abläufe entschieden ein, sogar teilweise in die unternehmerische Freiheit. Nicht jeden dieser Eingriffe heißen wir gut. Besonders die Schlagseite der Infektionsschutzmaßnahmen ist kritikwürdig. Die Hauptlast der Kontaktbeschränkungen wurde den Privathaushalten, dem Einzelhandel, der Kultur und der Gastronomie auferlegt, während die Vorschriften in der restlichen Arbeitswelt, z.B. in den großen Versandzentren von Amazon oder den riesigen Schlachthäusern, die sich schnell als Ansteckungsherde [20] erwiesen, weiterhin mehr oder weniger unverbindlich blieben.
Es zeigte sich aber dennoch deutlich, wie schnell tiefe Eingriffe möglich sind und Milliardenbeträge aktiviert werden können, wenn der politische Wille vorhanden ist. Kann diese kollektive Erfahrung als Ankerpunkt, ja als Ansatzpunkt für das dringend notwendige sozialökologische Umsteuern fungieren? Garantien dafür gibt es keine, bis auf die eine: Wenn wir es nicht versuchen, werden wir definitiv scheitern. Aber wollen wir es den Gegner:innen des sozial-ökologischen Umbaus wirklich so einfach machen? Vor allem angesichts der Komplizenschaft, die sich abzeichnet, wenn man einen Blick auf die organisierte Klimaleugnerszene wirft – und zwar hierzulande wie jenseits des Atlantiks. Besonders gut illustriert das die Geschichte des Heartland Institut.
Komplizenschaft von Corona- und Klimaleugnern im Heartland Institut
„Ein Angriff auf den Kapitalismus der amerikanischen Mittelschicht“, „ein Komplott, um die Amerikaner ihrer Freiheit zu berauben“, „durch nichts gerechtfertigt“, „keine freie Gesellschaft [würde sich] das antun“, „ein Trojanisches Pferd, erdacht, um den Kapitalismus abzuschaffen“, und schließlich die ganz große Nummer: „ein Deckmantel für den Nationalsozialismus“.4 [21] So wird auf den Konferenzen des eng mit der libertärrechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung verwobenen Heartland Institut in den USA über den Klimaschutz gesprochen. Eigenen Angaben zufolge fühlt sich die Heartland-Truppe marktliberalen Lösungen verpflichtet. Die Liste ihrer Geldgeber liest sich wie das Who’s who des Rechtspopulismus und Marktradikalismus: Philip Morris, die R. J. Reynolds Tobacco Company, die Koch Family Foundation, die Mercer Family Foundation und ExxonMobil. In ihrem Buch zum Green New Deal schildert Naomi Klein die Argumentationsmuster, die dieser pseudowissenschaftliche Think-Tank verbreitet. Anfangs handelte es sich um eine kleine Lobbygruppe u.a. für Tabak. Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Passivrauchen krebserregend ist, war wichtig für die Gesundheit und das Leben von Millionen, aber schlecht für die Milliardenprofite der Tabakindustrie. Also versuchte man Zweifel an der Faktenlage zu säen. Dass diese Lobbygruppe sich selbst als Institut bezeichnet, ist eine Beleidigung für alle wissenschaftlichen Institute. Nichtsdestotrotz ist das Heartland Institut inzwischen zu einer einflussreichen Kraft in der Klimawandelleugnerszene aufgestiegen und hat mit gezielten Falschinformationen teilweise erfolgreich die Stimmung zum Klimaschutz in den USA negativ beeinflusst.
Dem Einfluss und massiven Mitteleinsatz von Lobbygruppen wie dieser ist es u.a. geschuldet, dass sich die Republikanische Partei inzwischen komplett vom Thema Klimawandel abgewandt hat. Nun war diese Partei noch nie Vorreiterin der Klimagerechtigkeit, [22] aber immerhin gab es eine Zeit in den USA, wo zumindest rhetorisch der Klimaschutz auch von einigen Republikaner:innen vertreten wurde und man die Hoffnung hegen konnte, dass ein direktes Leugnen des menschengemachten Klimawandels bald der Vergangenheit angehören dürfte. Diese Zeit ist vorbei. Der Clou ist, seit kurzem hat sich das Heartland Institut einem weiteren Ziel verpflichtet: der Untergrabung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Covid-19. Wer also schon eine Weile den Verdacht hatte, dass es eine große Schnittmenge zwischen Coronaleugnern und Klimaleugnern5 gibt, lag damit richtig. Bei der Coronaleugnung wie bei der Klimawandelleugnung geht es letztlich um die Ablehnung der Wirklichkeit, weil einem die möglichen Konsequenzen nicht passen. Die Leugnung des Klimawandels ist dann die vielleicht zugespitzte Form der Verdrängung der Folgen der Externalisierungsgesellschaft, d.h. dem Leben auf Kosten anderer.6 Die Klimaleugnung hat für ihre Anhänger zumindest kurzfristig einen entscheidenden Vorteil: Wenn es den Klimawandel nicht gäbe, müsste man auch nichts infrage stellen. Anzuerkennen, dass die vorherrschende Art der Produktion und [23] Konsumtion die Zukunft des Planeten oder zumindest des Lebens darauf, wie wir es kennen, gefährdet, ist hingegen folgenreich und müsste zu einem entschiedenen Kampf um eine grundlegende Veränderung führen. Das ist eine Konsequenz, die viele in ihrem Alltag schlichtweg nicht ziehen können oder ziehen wollen, was individuell durchaus verständlich sein kann, zumal wenn man schon so nur mit großen Anstrengungen über die Runden kommt. Es versperrt aber den Blick darauf, dass eine solidarischere Organisation des Zusammenlebens nicht nur notwendig ist, um die Krisen zu überwinden – sie hat sogar das Potenzial für die große Mehrheit zu einer lebenswerteren Zukunft zu führen. Der Durchsetzung einer solchen Erkenntnis stellen sich jedoch Lobbygruppen wie das Heartland Institut und die politischen Bewegungen und Parteien, die ihnen folgen, vehement entgegen. So verheerend und rückschrittlich dieser Ansatz ist, in einem tätigt diese Lobbygruppe eine bemerkenswert klare Analyse. Der britische Heartland-Stammgast James Delingpole bringt sie wie folgt auf den Punkt: „Die moderne Umweltschutzbewegung befördert erfolgreich Anliegen, die der Linken viel bedeuten: Umverteilung von Wohlstand, höhere Steuern, mehr Regierungseingriffe,