Green New Deal als Zukunftspakt. Katja Kipping

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Green New Deal als Zukunftspakt - Katja Kipping

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die Linken hätte den Klimawandel erfunden, ist so absurd, dass sie hier keiner Widerlegung bedarf. Sie [24] lässt jeden wissenschaftlichen Standard vermissen. Sie ist genauso absurd wie die in der Coronaleugnerszene verbreitete Verschwörungstheorie, Bill Gates hätte Corona erfunden, um allen beim Impfen einen Chip einspritzen zu können. Doch in der Tat erfordert eine erfolgreiche Strategie zur schnellen Senkung der Infektionszahlen, wie sie beispielsweise bei #Zero-Covid entworfen wurde oder mit einem solidarischen Lockdown8 eingefordert wurde, das Anerkennen der Bedrohungslage und die Bereitschaft, auch gegenüber den Konzernen verbindliche Vorschriften zum Infektionsschutz durchzusetzen. Ebenso erfordert konsequenter Klimaschutz Regulierung, Umverteilung und Begrenzung von Reichtum. Denn je reicher ein Haushalt, desto größer ist im Durchschnitt sein ökologischer Fußabdruck. Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht bringt das erneut auf den Punkt: Der Energieverbrauch der reichsten zehn Prozent ist fast drei Mal so groß wie der Energieverbrauch der ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung.9 Man wünschte sich, die gesellschaftliche Linke und die Umweltbewegung in all ihrer Breite würden den – wenn auch nicht spannungsfreien – Zusammenhang von Umverteilung und Klimaschutz stärker realisieren. Immer noch verschwenden [25] zu viele Linke und Ökolog:innen unnötig Zeit und Energie damit, einen Widerspruch zwischen Klimaschutz und sozialen Fragen stark zu machen und dann je nach eigener Priorität gegeneinander in Stellung zu bringen. Glücklicherweise schrumpft die Zahl derer, die das tun. Immer mehr setzen auf eine gemeinsame sozialökologische Agenda. Davon zeugen beispielsweise die gemeinsame Kritik des Paritätischen Sozialverbandes und des BUND Umweltverbandes am Konjunkturpaket der Bundesregierung oder die Annäherung zwischen der Gewerkschaft ver.di und Fridays for Future beim Streik um bessere Löhne für Busfahrer:innen10 sowie die von Sozialverbänden und Umweltinitiativen gegründete Sozialplattform Klimaschutz „Sozial-ökologische Wende für alle“.11 Um es noch einmal zusammenzufassen: Nicht nur Klima- und Coronaleugner weisen Gemeinsamkeiten auf, auch beim Kampf gegen die Coronapandemie und gegen den Klimawandel ist dies der Fall. Wer die globale Erwärmung aufhalten will und die Infektionszahlen gegen null drücken möchte, braucht den Mut zur Regulation und die Bereitschaft, steuernd in die Wirtschaft einzugreifen. Wenn der Kampf gegen die globale Erwärmung und gegen das Virus dem Markt überlassen wird, wird er scheitern. Dann wird er zu einem Warten auf Godot, und der kam – zumindest in [26] dem Theaterstück von Samuel Beckett12 – bekanntlich nie. Doch je länger das Notwendige verschleppt oder durch die Arbeit von Lobbygruppen hinausgezögert wird, umso härter und abrupter wird das Umsteuern ausfallen müssen. Es ist jetzt schon höchste Zeit zu handeln.

       Gemeinsame Ursachen

      Welche Konsequenzen sind aus einem epochalen Ereignis wie der Coronakrise zu ziehen? Die Deutungskämpfe haben begonnen. Zu den irrlichternden Versuchen gehörte die gleich im ersten Lockdown gestreute Behauptung, die Klimafrage müsse man nun hintanstellen, immerhin gäbe es jetzt wirklich wichtigere Probleme. Offensichtlich hofften einige darauf, dass sie das ihnen lästige Thema Klimaschutz loswerden könnten, das ihnen nicht nur in Talkshows, sondern auch zu Hause am Frühstückstisch von den eigenen Kindern immer wieder aufs Butterbrot geschmiert wird. Die Gefahren von Covid-19 mögen zumindest derzeit in Deutschland deutlich näher wirken als die Folgen des Klimawandels, doch das Schmelzen der Pole und Gletscher hört ja nicht auf, weil ein neues Virus wütet. Vielmehr gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen unserem Umgang mit der Natur, unserer Art zu wirtschaften und dem Auftreten neuer [27] sogenannter zoogenetischer Erreger und den Krankheiten, die sie auslösen: „Mehr als zwei Drittel der Erreger, die Epidemien wie Ebola, Zika oder die Vogelgrippe auslösten, stammen ursprünglich von Wildtieren, die in tropischen Regionen heimisch sind. Werden diese Lebensräume zerstört, ‚führt das zu einem Verlust der Artenvielfalt und verändert die Zusammensetzung der Säugetierpopulationen‘, erklärt die Virologin Sandra Junglen[.] […] ‚Wenn mehr Tiere einer Art im selben Lebensraum vorkommen, können sich Infektionskrankheiten zwischen den Tieren einer Art besser verbreiten.‘ Die verbliebenen Tiere verlagern außerdem ihre Lebensräume und nähern sich denen der Menschen an.“13 Je enger der Lebensraum für Wildtiere wird, je geringer die Biodiversität ist, umso eher kann ein Erreger auf den Menschen übergehen. Die Vernichtung von Ökosystemen macht unsere Welt krisenanfälliger. Und so gesehen können auch Pandemien, nicht nur Finanzkrisen, in die Kategorie der Krisen fallen, die durch das Wirtschaftssystem befeuert werden, auch wenn für die aktuelle Pandemie keine Bad Bank oder toxische Kreditgeschäfte direkt verantwortlich sind. Es ist also kein Zufall, wenn von heute aus betrachtet die Nachrichten der letzten 15 Jahre wie der Vorspann eines dystopischen Films wirken: Erst Finanzkrise, dann die zunehmenden weltweiten Fluchtbewegungen, die Gefährdung der [28] Demokratie von rechts, schließlich die in das öffentliche Bewusstsein brechende Klimakatastrophe, dazwischen immer wieder militärische Eskalationen und Aufrüstung – und nun solch eine massive Gesundheitskrise. Diese Ereignisse hängen auf komplexe Art zusammen und verstärken sich gegenseitig. Ohne die chronische Unterfinanzierung der Gesundheitssysteme wäre das Virus nicht so eine Gefahr. Ohne weltweiten Handel und Tourismus hätte es sich nicht so schnell verbreitet.

      Die Corona- und die Klimaleugner haben also in einem recht: Wer nachhaltig den Klimakollaps vermeiden und Corona bekämpfen will, kommt an einer Jahrhundertaufgabe nicht vorbei – die Überwindung der herrschenden Wirtschaftsweise,14 die auf der doppelten Ausbeutung von Mensch und Natur basiert. Wenn die Gesellschaft krisenfester ausgestaltet werden soll, muss das an den Wurzeln der Probleme geschehen. Das ruft naturgemäß Gegenwehr und Gegenwind hervor. Rechtspopulisten, Klimawandelleugner und Verschwörungstheoretiker zeugen davon, ebenso die Beharrungskräfte der Kapitalseite und des politischen Establishments, die es sich in ihrem Schatten bequem machen können. Das erfordert Mut zum [29] Konflikt.15 Die gute Nachricht ist, dass wir uns dabei von einem historischen Beispiel inspirieren lassen können.

      1Seminar an der London School of Economics am 2. Februar 2021 mit Prof. Schellnhuber, Katja Kipping und Vertretern von Vonovia zu „Balancing Environmental and Social Sustainability: Real Estate and Housing Markets in Transition“. [Fremdsprachige Zitate sind, wenn nicht anders angegeben, von den Verf. übersetzt.]

      2Jan Fleischhauer, „Das Covid-Kommando“, https://www.focus.de/politik/deutschland/schwarzer-kanal/die-focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-das-covid-kommando-corona-bringt-ans-licht-wie-autoritaer-deutschlands-linke-ist_id_12900536.html [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

      3Ebd.

      4Zit. nach Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, S. 85ff.

      5Im Fall dieser beiden Begriffe verzichten wir auf das Gendern, schließlich sind diese Szenen männlich dominiert. Natürlich sind dort auch viele Frauen aktiv. Doch da diese Szene der gendergerechten Sprache feindlich gegenübersteht, bedeutet das Engagement dort auch die Entscheidung dagegen, als Frau grammatikalisch in Erscheinung zu treten.

      6Dieser Begriff wurde wesentlich von Stephan Lessenich in seinem Buch Neben uns die Sintflut (Berlin: Hanser 2016) geprägt, dessen zentrale These lautet: „Kapitalistische Gesellschaften sind Externalisierungsgesellschaften, allerdings in historisch wechselnder Gestalt und in immer wieder sich wandelnden Mechanismen.“ (S. 26). Und dies hat seinen Preis.

      7Zitiert nach Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, S. 93.

      8Katja Kipping, Bernd Riexinger, Dietmar Bartsch u.a., „Für einen solidarischen Lockdown“, https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/fuer-einen-solidarischen-lockdown/ [Letzter Zugriff: 20.5.2021].

      9Lebenslagen

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