Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. Johann Gottfried Herder
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Morgenland, du hiezu recht auserwählter Boden Gottes! Die zarte Empfindlichkeit dieser Gegenden, mit der raschen, fliegenden Einbildung, die so gern alles in göttlichen Glanz kleidet: Ehrfurcht vor allem, was Macht, Ansehn, Weisheit, Kraft, Fußstapfe Gottes ist, und sodann gleich kindliche Ergebung, die sich ihnen natürlich, uns Europäern unbegreiflich, mit dem Gefühl von Ehrfurcht mischet: der wehrlose, zerstreute, ruheliebende, herdenähnliche Zustand des Hirtenlebens, das sich auf einer Ebne Gottes milde und ohn Anstrengung ausleben will – alle das, mehr und weniger von Umständen unterstützt, freilich hat’s in der spätem Folge auch dem Despotismus der Eroberer volle Materialien geliefert, so volle Materialien, dass Despotismus vielleicht ewig in Orient sein wird, und noch kein Despotismus in Orient durch fremde äußere Kräfte gestürzt worden: er musste nur immer, weil ihm nichts entgegenstand, und er sich unermesslich ausbreitete, allein durch eigne Last zerfallen. Allerdings hat dieser Despotismus auch oft die schrecklichsten Würkungen hervorgebracht, und wie der Philosoph sagen wird, die schrecklichste von allen, dass kein Morgenländer, als solcher, noch kaum von einer menschlichen, bessern Verfassung, innigen Begriff haben kann. – Aber alle das später dahingestellt und [15]zugegeben: Anfangs unter der milden Vaterregierung war nicht eben der Morgenländer mit seinem zarten Kindessinne der glücklichste und folgsamste Lehrling? Alles ward als Muttermilch und väterlicher Wein gekostet! Alles in Kindesherzen aufbewahrt und da mit dem Siegel göttlicher Autorität versiegelt! der menschliche Geist bekam die ersten Formen von Weisheit und Tugend mit einer Einfalt, Stärke und Hoheit, die nun – geradeheraus gesagt – in unsrer philosophischen, kalten europäischen Welt wohl nichts, gar nichts ihresgleichen hat. Und eben weil wir so unfähig sind, sie mehr zu verstehen! zu fühlen! geschweige denn zu genießen – so spotten wir, leugnen und missdeuten! der beste Beweis!
Ohne Zweifel gehört hiezu auch Religion, oder vielmehr war Religion »das Element, in dem das alles lebt’ und webte«. Auch von allem göttlichen Eindruck bei Schöpfung und frühester Pflege des Menschengeschlechts, (dem Ganzen so nötig als jedem einzelnen Kinde nach seiner Geburt Pflege der Eltern), von alledem auch den Blick entfernt, wenn Greis, Vater, König so natürlich Gottes Stelle vertrat und sich ebenso natürlich der Gehorsam unter väterlichen Willen, das Ankleben an alte Gewohnheit, und die ehrfurchtvolle Ergebung in den Wink des Obern, der das Andenken alter Zeiten hatte,d mit einer Art von kindlichem Religionsgefühl mischet – musstens denn, wie wir aus dem Geist und Herzen unsrer Zeit so sicher wähnen,e nichts anders als Betrüger und Bösewichter sein, die dergleichen Ideen [16]aufdrangen, arglistig erdichtet hatten und argwüterisch missbrauchten? Mag’s sein, dass dergleichen Religionsgefühl, als Element unsrer Handlungen, für unsern philosophischen Weltteil, für unsere gebildete Zeit, für unsre freidenkende Verfassung von innen und außen äußerst schändlich und schädlich wäre (ich glaube, sie ist, was noch mehr ist, leider! für ihn gar unmöglich), lass es sein, dass die Boten Gottes, wenn sie jetzt erschienen, Betrüger und Bösewichter wären: siehst du nicht, dass es mit dem dortigen Geist der Zeit, des Landes, der Stufe des Menschengeschlechts ganz anders ist? Bloß schon die älteste Philosophie und Regierungsform hat so natürlich in allen Ländern ursprünglich Theologie sein müssen! – – Der Mensch staunt alles an, ehe er sieht: kommt nur durch Verwunderung zur hellen Idee des Wahren und Schönen; nur durch Ergebung und Gehorsam zum ersten Besitz des Guten – so gewiss auch das menschliche Geschlecht. Hast du je einem Kinde aus der philosophischen Grammatik Sprache beigebracht? aus der abgezogensten Theorie der Bewegung es gehn gelernt? hat ihm die leichteste oder schwerste Pflicht aus einer Demonstration der Sittenlehre begreiflich gemacht werden müssen? und dürfen? und können? Gottlob eben! dass sie’s nicht dürfen und können! Diese zarte Natur, unwissend und dadurch auf alles begierig, leichtgläubig und damit alles Eindrucks fähig, zutrauend-folgsam, und damit geneigt, auf alles Gute geführt zu werden, alles mit Einbildung, Staunen, Bewundrung erfassend, aber eben damit auch alles umso fester und wunderbarer sich zueignend – »Glaube, Liebe und Hoffnung in seinem zarten Herzen, die einzigen Samenkörner aller Kenntnisse, [17]Neigungen und Glückseligkeit« – tadelst du die Schöpfung Gottes? oder siehst du nicht in jedem deiner sogenannten Fehler Vehikulum, einziges Vehikulum alles Guten? Wie töricht, wenn du diese Unwissenheit und Bewundrung, diese Einbildung und Ehrfurcht, diesen Enthusiasmus und Kindessinn mit den schwärzesten Teufelsgestalten deines Jahrhunderts, Betrügerei und Dummheit, Aberglaub’ und Sklaverei brandmarken, dir ein Heer von Priesterteufeln und Tyrannengespenstern erdichten willt, die nur in deiner Seele existieren! Wie tausendmal mehr töricht, wenn du einem Kinde deinen philosophischen Deismus, deine ästhetische Tugend und Ehre, deine allgemeine Völkerliebe voll toleranter Unterjochung, Aussaugung und Aufklärung nach hohem Geschmack deiner Zeit großmütig gönnen wolltest! Einem Kinde? O du das ärgste, törichtste Kind! und raubtest ihm damit seine bessre Neigungen, die Seligkeit und Grundfeste seiner Natur; machtest es, wenn dir der unsinnige Plan gelänge, zum unerträglichsten Dinge in der Welt – einem Greise von drei Jahren.
Unser Jahrhundert hat sich den Namen: Philosophie! mit Scheidewasser vor die Stirn gezeichnet, das tief in den Kopf seine Kraft zu äußern scheint – ich habe also den Seitenblick dieser philosophischen Kritik der ältesten Zeiten, von der jetzt bekanntlich alle Philosophien der Geschichte, und Geschichten der Philosophie voll sind, mit einem Seitenblicke obwohl Unwillens und Ekels erwidern müssen, ohne dass ich mich um die Folgen des einen und des andern zu bekümmern nötig finde. Gehe hin, mein Leser, und fühle noch jetzt hinter Jahrtausenden die so lang erhaltne reine morgenländische Natur, [18]belebe sie dir aus der Geschichte der ältesten Zeiten, und du wirst »Neigungen antreffen, wie sie nur in dem Lande, auf die Art, zu den großen Zwecken der Vorsehung aufs Menschengeschlecht hinab gebildet werden konnten« – welch ein Gemälde, wenn ich’s dir liefern könnte, wie es war!
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Die Vorsehung leitete den Faden der Entwicklung weiter – vom Euphrat, Oxus und Ganges herab, zum Nil und an die phönizischen Küsten – große Schritte!
Es ist selten ohne Ehrfurcht, dass ich mich vom alten Ägypten und von der Betrachtung entferne, was es in der Geschichte des menschlichen Geschlechts geworden! Land, wo ein Teil des Knabenalters der Menschheit an Neigungen und Kenntnissen gebildet werden sollte, wie in Orient die Kindheit! Ebenso leicht und unvermerkt als dort die Genese, war hier die Metamorphose.
Ägypten war ohne Viehweide und Hirtenleben: der Patriarchengeist der ersten Hütte ging also verloren. Aber aus Nilschlamm gebildet und von ihm befruchtet, gab’s, beinahe ebenso leicht, den vortrefflichsten Ackerbau: also ward die Schäferwelt von Sitten, Neigungen, Kenntnissen ein Bezirk von Ackermenschen. Das Wanderleben hörte auf: es wurden feste Sitze, Landeigentum. Länder mussten ausgemessen, jedem das Seine bestimmt, jeder bei dem Seinen beschützt werden: jeden konnte man also auch bei dem Seinen finden – es ward Landessicherheit, Pflege der Gerechtigkeit, Ordnung, Polizei, wie alles im Wanderleben des Orients nie möglich [19]gewesen: es ward neue Welt. Nun kam eine Industrie