Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. Johann Gottfried Herder

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Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit - Johann Gottfried Herder Reclams Universal-Bibliothek

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aller Schöne, Grazie und Einfalt! Jugendblüte des menschlichen Geschlechts – o hätte sie ewig dauren können!

      Ich glaube, der Stand, in den ich Griechenland stelle, trägt auch bei, »den ewigen Streit über die Originalität der Griechen oder ihre Nachahmung fremder Nationen« etwas zu entwirren: man hätte sich wie überall, also auch hier, lange vereinigt, hätte man sich nur besser verstanden. Dass Griechenland Samenkörner der Kultur, Sprache, Künste und Wissenschaften anderswoher erhalten, ist, dünkt mich, unleugbar, und es kann bei einigen, Bildhauerei, Baukunst, Mythologie, Literatur, offenbar gezeigt werden. Aber dass die Griechen dies alles so gut als nicht erhalten, dass sie ihm ganz neue Natur angeschaffen, dass in jeder Art das »Schöne« im eigentlichen Verstande des Worts ganz gewiss ihr Werk sei – das, glaube ich, wird aus einiger Fortleitung der Ideen ebenso gewiss. Nichts Orientalisches, Phönizisches und Ägyptisches behielt seine Art mehr: es ward Griechisch, und in manchem Betracht waren sie fast zu sehr Originale, die alles nach ihrer Art um- und einkleideten. Von der größten Erfindung und der wichtigsten Geschichte an, bis auf Wort und Zeichen – alles ist davon voll: von Schritt zu Schritt, bei allen Nationen ist’s ebenfalls so – wer weiter System bauen oder über Namen streiten will, streite!

      Es kam das Mannesalter menschlicher Kräfte und Bestrebungen – die Römer. Gegen die Griechen hat Virgil auf einmal sie geschildert, jenen schöne Künste und Jugendübungen überlassen:

      tu regere imperio populos, Romane, memento.

      [32]Ungefähr damit auch gegen die Nordländer ihren Zug geschildert, die es ihnen vielleicht an barbarischer Härte, Stärke im Anfalle und roher Tapferkeit zuvortaten; aber –

      tu regere imperio populos –

      Römertapferkeit idealisiert: Römertugend! Römersinn! Römerstolz! Die großmütige Anlage der Seele, über Wollüste, Weichlichkeit und selbst das feinere Vergnügen hinwegzusehen und fürs Vaterland zu würken: der gefasste Heldenmut, nie tollkühn zu sein und sich in Gefahr zu stürzen, sondern zu harren, zu überlegen, zu bereiten und zu tun: es war der unerschütterte Gang, durch nichts, was Hindernis heißt, sich abschrecken zu lassen, eben im Unglück am größten zu sein und nicht zu verzweifeln: es war endlich der große, immer unterhaltene Plan, mit nichts wenigerm sich zu begnügen, als bis ihr Adler den Weltkreis deckte. – – Wer zu allen diesen Eigenschaften ein vielwichtiges Wort prägen, darin zugleich ihre männliche Gerechtigkeit, Klugheit, das Volle ihrer Entwürfe, Entschließungen, Ausführungen und überhaupt aller Geschäfte ihres Weltbaus begreifen kann, der nenne es. – Gnug, hier stand der Mann, der des Jünglings genoss und brauchte, für sich aber nur Wunder der Tapferkeit und Männlichkeit tun wollte; mit Kopf, Herz und Armen!

      Auf welcher Höhe hat das römische Volk gestanden, welchen Riesentempel auf dieser Höhe erbaut! Sein Staats- und Kriegsgebäude, dessen Plan und Mittel zur Ausführung – Kolossus für alle Welt! Konnte in Rom ein Bubenstück begangen werden, ohne dass Blut in drei Erdteilen [33]floss? und die großen würdigen Leute dieses Reichs, wo? und wie? würkten sie hinaus! was für Glieder dieser großen Maschine fast unwissend mit so leichten Kräften bewogen! wohin alle ihre Werkzeuge erhöht und befestigt: Senat und Kriegskunst – Gesetze und Zucht – Römerzweck und Stärke, ihn auszuführen – ich schaure! Was bei den Griechen Spiel, Jugendprobe gewesen war, ward bei ihnen ernsthafte, feste Einrichtung: die griechischen Muster auf einem kleinen Schauplatze, einer Erdenge, einer kleinen Republik, auf der Höhe und mit der Stärke aufgeführt, wurden Schautaten der Welt.

      Wie man auch die Sache nehme: es war »Reife des Schicksals der alten Welt«. Der Stamm des Baums zu seiner größern Höhe erwachsen, strebte, Völker und Nationen unter seinen Schatten zu nehmen, in Zweige. Mit Griechen, Phöniziern, Ägyptern und Morgenländern zu wetteifern, haben die Römer nie zu ihrer Hauptsache gemacht; aber indem sie alles, was vor ihnen war, männlich anwandten – was wurde für ein römischer Erdkreis! Der Name knüpfte Völker und Weltstriche zusammen, die sich voraus nicht dem Laut nach gekannt hatten. Römische Provinzen! in allen wandelten Römer, römische Legionen, Gesetze, Vorbilder von Sitten, Tugenden und Lastern. Die Mauer ward zerbrochen, die Nation von Nation schied, der erste Schritt gemacht, die Nationalcharaktere aller zu zerstören, alle in eine Form zu werfen, die »Römervolk« hieß. Natürlich war der erste Schritt noch nicht das Werk: jede Nation blieb bei ihren Rechten, Freiheiten, Sitten und Religion; ja, die Römer schmeichelten ihnen, eine Puppe der letzten selbst mit in ihre Stadt zu bringen. Aber die Mauer lag. Jahrhunderte von Römerherrschaft – [34]wie man in allen Weltteilen, wo sie gewesen sind, siehet – würkten sehr viel: Sturm, der die innersten Kammern der Nationaldenkart jedes Volks durchdrang: mit der Zeit wurden die Bande immer fester, endlich sollte das ganze römische Reich gleichsam nur Stadt Rom werden – alle Untertanen Bürger – bis es selbst sank.

      Auf keine Weise noch von Vorteil oder Nachteil geredet, allein von Würkung. Wenn alle Völker unter dem römischen Joche gewissermaße die Völker zu sein aufhörten, die sie waren, und also über die ganze Erde eine Staatskunst, Kriegskunst und Völkerrecht eingeführt wurde, wovon voraus noch kein Beispiel gewesen war: da die Maschine stand, und da die Maschine fiel, und da die Trümmern alle Nationen der römischen Erde bedeckten – gibt’s in aller Geschichte der Jahrhunderte einen größern Anblick! Alle Nationen von oder auf diesen Trümmern bauend! Völlig neue Welt von Sprachen, Sitten, Neigungen und Völkern – es beginnet eine andre Zeit – Anblick, wie aufs weite offenbare Meer neuer Nationen. – Lasset uns indessen noch vom Ufer einen Blick auf die Völker werfen, deren Geschichte wir durchlaufen sind.

      *

      I. Niemand in der Welt fühlt die Schwäche des allgemeinen Charakterisierens mehr als ich. Man malet ein ganzes Volk, Zeitalter, Erdstrich – wen hat man gemalt? Man fasset aufeinanderfolgende Völker und Zeitläufte, in einer ewigen Abwechslung, wie Wogen des Meeres, zusammen – wen hat man gemalt? wen hat das schildernde Wort getroffen? – Endlich, man fasst sie doch in nichts als [35]ein allgemeines Wort zusammen, wo jeder vielleicht denkt und fühlt, was er will – unvollkommenes Mittel der Schilderung! wie kann man missverstanden werden! –

      Wer bemerkt hat, was es für eine unaussprechliche Sache mit der Eigenheit eines Menschen sei, das Unterscheidende unterscheidend sagen zu können? wie er fühlt und lebet? wie anders und eigen ihm alle Dinge werden, nachdem sie sein Auge siehet, seine Seele misst, sein Herz empfindet – welche Tiefe in dem Charakter nur einer Nation liege, die, wenn man sie auch oft gnug wahrgenommen und angestaunet hat, doch so sehr das Wort fleucht und im Worte wenigstens so selten einem jeden anerkennbar wird, dass er verstehe und mitfühle – ist das, wie? wenn man das Weltmeer ganzer Völker, Zeiten und Länder übersehen, in einen Blick, ein Gefühl, ein Wort fassen soll! Mattes, halbes Schattenbild vom Worte! Das ganze lebendige Gemälde von Lebensart, Gewohnheiten, Bedürfnissen, Landes- und Himmelseigenheiten müsste dazu kommen oder vorhergegangen sein; man müsste erst der Nation sympathisieren, um eine einzige ihrer Neigungen und Handlungen, alle zusammen zu fühlen, ein Wort finden, in seiner Fülle sich alles denken – oder man lieset – ein Wort.

      Wir glauben alle, noch jetzt väterliche und häusliche und menschliche Triebe zu haben, wie sie der Morgenländer: Treue und Künstlerfleiß haben zu können, wie sie der Ägypter besaß: phönizische Regsamkeit, griechische Freiheitliebe, römische Seelenstärke – wer glaubt nicht zu dem allen Anlage zu fühlen, wenn nur Zeit, Gelegenheit – – und siehe! mein Leser, eben da sind wir. Der feigste [36]Bösewicht hat ohne Zweifel zum großmütigsten Helden noch immer entfernte Anlage und Möglichkeit; aber zwischen dieser und »dem ganzen Gefühl des Seins, der Existenz in solchem Charakter« – Kluft! Fehlte es dir also auch an nichts als an Zeit, an Gelegenheit, deine Anlagen zum Morgenländer, zum Griechen, zum Römer in Fertigkeiten und gediegne Triebe zu verwandeln – Kluft! nur von Trieben und Fertigkeiten ist die Rede. Ganze Natur der Seele, die durch alles herrscht, die alle übrigen Neigungen und Seelenkräfte nach sich modelt, noch auch die gleichgültigsten Handlungen färbet – um diese mitzufühlen, antworte nicht aus dem Worte, sondern gehe in das Zeitalter, in die Himmelsgegend, die ganze Geschichte,

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