1975. Wolfram Hanel

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1975 - Wolfram  Hanel

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       Impressum

       Sommer 1975

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Kapitel 11

       Kapitel 12

       Kapitel 12 1/2

       30 Jahre später

       Nachwort zur Neuveröffentlichung

       Über den Autor

       Weitere Bücher

       Eigentlich fing der Sommer genau an dem Tag an, an dem Buchmann einen Sonnenstich hatte und Lepckes Zelt vollkotzte …

      1

      Sie waren gerade alle durchs Abitur gefallen, Buchmann, Lepcke, Kerschkamp, Ratte und Appaz. Kollektiv sozusagen. Was zweifellos nicht nur an ihrer nahezu totalen Verweigerung gegenüber Leminhalten lag, die sie sowohl als überflüssig als auch als grundsätzlich reaktionär erkannt zu haben glaubten. Sondern vielmehr an solchen Aktionen wie dem Bestreiken des Unterrichts, solange sie nicht endlich ein festes und angemessenes Schülergehalt bekämen.

      Zugegeben, ihre Begründung dafür war zumindest fragwürdig gewesen. Da sie die Vorteile einer staatlichen und daher für sie unentgeldlichen Ausbildung nur genießen würden, um später als qualifizierte Fachkräfte zum allgemeinen und in höchstem Maße verabscheuungswürdigen Profitwachstum beizutragen, sei es ja wohl nur recht und billig, sie auch dementsprechend zu bezahlen, so hatten sie der örtlichen Presse gegenüber lautstark argumentiert.

      Im Gegenzug hatte der stellvertretende Schulleiter ihres »mathematisch-naturwissenschaftlichen und neusprachlichen Gymnasiums für Knaben« ihnen nun mitgeteilt, dass sie ganz offensichtlich noch lange nicht die Reife erlangt hätten, die gemeinhin mit dem Reifezeugnis belohnt wird.

      »Meine Herren«, hatte er die Entscheidung des Kollegiums zusammengefasst und sich dabei eines süffisanten Grinsens nicht erwehren können, »meine Herren, ich denke, Sie haben jetzt begriffen, dass letztendlich doch immer noch wir am längeren Hebel sitzen.«

      Und Frau Doktor A. hatte mit zitternder Stimme hinzugesetzt: »Die Diktatur des Proletariats ist noch lange nicht angebrochen, zum Glück!«

      Woraufhin Buchmann nichts Besseres eingefallen war, als aus seinen fast zwei Metern Höhe eine Zeile von Atomic Rooster zu grölen: »Death walks behind you …« Damit war er frohgemut aus der Aula marschiert, auf geradem Wege hinüber zu Tengelmann, um eine Flasche Tequila für sechs fünfundneunzig zu klauen und sich das widerlich-warme Zeug unverzüglich in großen Zügen einzuverleiben.

      Trotzdem hielt er sich den Nachmittag über gar nicht so schlecht. Sie lungerten an dem Kiesteich zwischen den Kartoffelfeldern hinter Lepckes Haus herum und halfen Buchmann dabei, zunächst mal den Tequila zu vernichten. Danach rauchten sie so ziemlich alles, was sich nur irgendwie in Zigarettenpapier wickeln und anzünden ließ. Und irgendwann waren sie so weit, dass das vermasselte Abitur für sie ungefähr die Bedeutung hatte wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in China angeblich immer wieder mal umfällt. Bis Buchmann plötzlich mit kaltem Schweiß auf der Stirn und glasigem Blick irgendwas von Sonnenstich lallte und Lepckes Zelt vollkotzte.

      Irgendwann später kam dann auch noch Hansi dazu. Aber da redete Kerschkamp schon davon, dass der Kiesteich aussehen würde wie die Ostsee, wo er letzten Sommer mit seiner Kreidler zum Camping gewesen war. Und Ratte wollte sich mit dümmlichem Grinsen an Biggi ranmachen, die die Schwester von Lepcke war und schon seit Monaten ziemlich fest mit Hansi liiert. Deshalb stieß Hansi also Ratte rückwärts in den Teich, wo er auch glatt liegen geblieben wäre, das Gesicht halb unter Wasser, kichernd und Blasen blubbernd.

      Zum Glück waren auch Sabine und Anette mit dabei. Anette war Appaz’ Freundin, mehr oder weniger jedenfalls. Ohne dass sie darüber geredet hätten, war für beide klar, dass es so lange gehen würde, wie es eben ging. Aber weil Anette so gut wie keine Brüste hatte und ziemlich kurze Haare, behauptete Ratte bei jeder Gelegenheit, mit Appaz würde irgendwas nicht ganz stimmen. Dass Anette unter ihren bunten Wickelröcken grundsätzlich keinen Slip trug, hatte Appaz Ratte nie erzählt, sonst hätte er wahrscheinlich anders darüber gedacht.

      Jedenfalls holten die Mädchen Ratte aus dem Wasser. Kerschkamp und Appaz machten Feuer, und die Mädchen zogen Ratte nackt aus und wendeten ihn vor dem Feuer hin und her, bis seine Haut von allen Seiten krebsrot war und er plötzlich einen steifen Schwanz bekam. Woraufhin Sabine kichernd ihre Parkajacke über seinen Steifen hängte, als wäre Rattes Schwanz der Garderobenhaken in irgendeiner Kneipe.

      Hansi hatte inzwischen die Kaffeemühle aus seinem Rucksack geholt, und die Tüte mit den Getreidekörnern. Er lernte Gärtner in einem Dorf irgendwo hinter Laatzen und schleppte immer diesen Rucksack mit sich herum, mit der Kaffeemühle von seiner Oma und einer hoffnungslos verrosteten Bratpfanne. Er hatte auch immer irgendwelche Getreidekörner dabei und natürlich sein selbst gezogenes Gras. Die Fladen, die er jetzt mit einem Becher Teichwasser zusammenmatschte, schmeckten genauso mies, wie Hansis Fladen immer schmeckten, und waren auch wieder mal halb verbrannt, aber sie machten schön breit. Noch breiter, als sie alle ohnehin schon waren. Und um nichts anderes ging es.

      Eigentlich hatten sie zusammen mit Hansi gleich zu Beginn der Sommerferien nach Frankreich fahren wollen. Hansi hatte auch den Bus besorgt, einen rot-weißen VW-Bus, Baujahr 1964, mit 34 PS und geteilter Windschutzscheibe und Klapptüren an der Seite. Der Bus hatte dem Dorfschlachter gehört, und Hansi hatte ihm die Karre mit viel Hin und Her für 750 Mark abgeschwatzt, was sie

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