Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde. Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen, Literaturhinweisen und Nachwort. E. T. A. Hoffmann
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Von diesem Augenblick begann Peregrinus das seltsame Leben, wie es gleich anfangs angedeutet. Zurückgezogen von aller Gesellschaft, lebte er mit seiner alten Aufwärterin [22]in dem großen gräumigen Hause, in tiefster Einsamkeit, erst ganz allein, bis er später ein paar Zimmer einem alten Mann, der des Vaters Freund gewesen, mietweise abtrat. Dieser Mann schien ebenso menschenscheu wie Peregrinus. Grund genug, warum sich beide, Peregrinus und der Alte, sehr gut vertrugen, da sie sich niemals sahen.
Es gab nur vier Familienfeste, die Peregrinus sehr feierlich beging, und das waren die beiden Geburtstage des Vaters und der Mutter, der erste Osterfeiertag und sein eignes Tauffest. An diesen Tagen musste Aline einen Tisch für so viele Personen, als der Vater sonst eingeladen, und dieselben Schüsseln, die gewöhnlich aufgetragen worden, bereiten, sowie denselben Wein aufsetzen lassen, wie ihn der Vater gegeben. Es versteht sich, dass dasselbe Silber, dieselben Teller, dieselben Gläser, wie alles damals gebraucht worden, und wie es sich noch unversehrt im Nachlasse befand, auch jetzt nach der so viele Jahre hindurch üblichen Weise gebraucht werden musste. Peregrinus hielt strenge darauf. War die Tafel fertig, so setzte sich Peregrinus ganz allein hinan, aß und trank nur wenig, horchte auf die Gespräche der Eltern, der eingebildeten Gäste und antwortete nur bescheiden auf diese, jene Frage, die jemand aus der Gesellschaft an ihn richtete. Hatte die Mutter den Stuhl gerückt, so stand er mit den Übrigen auf und empfahl sich jedem auf die höflichste Weise. – Er ging dann in ein abgelegenes Zimmer und überließ seiner Aline die Verteilung der vielen nicht angerührten Schüsseln und des Weins an Hausarme, welches Gebot des Herrn die treue Seele gar gewissenhaft auszuführen pflegte. Die Feier der Geburtstage des Vaters und der Mutter begann Peregrinus schon am frühen Morgen damit, dass er, wie es sonst zu seiner [23]Knabenzeit geschehen, einen schönen Blumenkranz in das Zimmer trug, wo die Eltern zu frühstücken pflegten, und auswendig gelernte Verse hersagte. – An seinem eignen Tauffeste konnte er sich natürlicherweise nicht an die Tafel setzen, da er nicht längst geboren, Aline musste daher alles allein besorgen, d. h. die Gäste zum Trinken nötigen, überhaupt, wie man zu sagen pflegt, die Honneurs der Tafel machen; sonst geschah alles wie bei den übrigen Festen. – Außer denselben gab es aber noch für Peregrinus einen besondern Freudentag oder vielmehr Freudenabend im Jahre, und das war die Weihnachts-Bescherung, die mehr als jede andere Lust sein junges Gemüt in süßem frommen Entzücken aufgeregt hatte.
Selbst kaufte er sorgsam bunte Weihnachtslichter, Spielsachen, Naschwerk ganz in dem Sinn ein, wie es die Eltern ihm in seinen Knabenjahren beschert hatten, und dann ging die Bescherung vor sich, wie es der geneigte Leser bereits erfahren. – –
»Sehr unlieb«, sprach Peregrinus, nachdem er noch einige Zeit gespielt, »sehr unlieb ist es mir doch, dass die Hirsch- und wilde Schweinsjagd abhandengekommen. Wo sie nur geblieben sein mag! – Ach! – sieh da!« Er gewahrte in dem Augenblick eine noch ungeöffnete Schachtel, nach welcher er schnell griff, die vermisste Jagd darin vermutend; als er sie indessen öffnete, fand er sie leer und fuhr zurück, als durchbebe ihn ein jäher Schreck. – »Seltsam«, sprach er dann leise vor sich hin, »seltsam! was ist es mit dieser Schachtel? war es mir doch, als spränge mir daraus etwas Bedrohliches entgegen, das mit dem Blick zu erfassen, mein Auge zu stumpf war!«
Aline versicherte auf Befragen, dass sie die Schachtel [24]unter den Spielsachen gefunden, indessen alle Mühe vergeblich angewandt hätte, sie zu öffnen; geglaubt habe sie daher, dass darin etwas Besonderes enthalten und der Deckel nur der kunstverständigen Hand des Herrn weichen werde. »Seltsam«, wiederholte Peregrinus, »sehr seltsam! – Und auf diese Jagd hatte ich mich ganz besonders gefreut; ich hoffe nicht, dass das etwas Böses bedeuten dürfte! – Doch wer wird am Weihnachts-Abende solchen Grillen nachhängen, die doch eigentlich gar keinen Grund haben! – Aline, bringe Sie den Korb!« – Aline brachte alsbald einen großen weißen Henkelkorb herbei, in den Peregrinus mit vieler Sorglichkeit die Spielsachen, das Zuckerwerk, die Lichter einpackte, dann den Korb unter den Arm, den großen Weihnachtsbaum aber auf die Schulter nahm und so seinen Weg antrat. –
Herr Peregrinus Tyß hatte die löbliche, gemütliche Gewohnheit, mit seiner ganzen Bescherung, wie er sie sich selbst bereitet hatte, um sich ein paar Stunden hinüberzuträumen in die schöne vergnügliche Knabenzeit, hineinzufallen in irgendeine bedürftige Familie, von der ihm bekannt war, dass muntre Kinder vorhanden, wie der Heilige Christ selbst mit blanken, bunten Gaben. Wenn dann die Kinder in der hellsten, lebendigsten Freude, schlich er leise davon und lief oft die halbe Nacht über durch die Straßen, weil er sich vor tiefer, die Brust beengender Rührung gar nicht zu lassen wusste und sein eignes Haus ihm vorkam wie ein düstres Grabmal, in dem er selbst mit allen seinen Freuden begraben. Diesmal war die Bescherung den Kindern eines armen Buchbinders bestimmt, namens Lämmerhirt, der, ein geschickter fleißiger Mann, für Herrn Peregrinus seit einiger Zeit arbeitete und dessen drei muntre Knaben von fünf bis neun Jahren Herr Peregrinus kannte.
[25]Der Buchbinder Lämmerhirt wohnte in dem höchsten Stock eines engen Hauses in der Kalbächer Gasse, und pfiff und tobte nun der Wintersturm, regnete und schneite es wild durcheinander, so kann man denken, dass Herr Peregrinus nicht ohne große Beschwerde zu seinem Ziel gelangte. Aus Lämmerhirts Fenstern blinkten ein paar ärmliche Lichterchen herab, mühsam erkletterte Peregrinus die steile Treppe. »Aufgemacht«, rief er, indem er an die Stubentüre pochte, »aufgemacht, aufgemacht, der Heilige Christ schickt frommen Kindern seine Gaben!« –
Der Buchbinder öffnete ganz erschrocken und erkannte den ganz eingeschneiten Peregrinus erst, nachdem er ihn lange genug betrachtet.
»Hochgeehrtester Herr Tyß«, rief Lämmerhirt voll Erstaunen, »hochgeehrtester Herr Tyß, wie komm ich um des Herrn willen am Heiligen Christabend zu der besondern Ehre –« Herr Peregrinus ließ ihn aber gar nicht ausreden, sondern bemächtigte sich, laut rufend: »Kinder – Kinder! aufgepasst, der Heilige Christ schickt seine Gaben!« des großen Klapptisches, der in der Mitte des Stübchens befindlich, und begann sofort die wohlverdeckten Weihnachtsgaben aus dem Korbe zu holen. Den ganz nassen tropfenden Weihnachtsbaum hatte er freilich vor der Türe stehen lassen müssen. Der Buchbinder konnte noch immer nicht begreifen, was das werden sollte; die Frau sah es besser ein, denn sie lachte den Peregrinus an mit Tränen in den Augen, aber die Knaben standen von ferne und verschlangen schweigend mit den Augen jede Gabe, wie sie aus der Hülle hervorkam, und konnten sich oft eines lauten Ausrufs der Freude und der Verwunderung nicht erwehren! – Als Peregrinus nun endlich die Gaben nach dem Alter jedes [26]Kindes geschickt getrennt und geordnet, alle Lichter angezündet hatte, als er rief: »Heran – heran, ihr Kinder! – das sind die Gaben, die der Heilige Christ euch geschickt!«, da jauchzten sie, die den Gedanken, dass das alles ihnen gehören solle, noch gar nicht fest gefasst hatten, laut auf und sprangen und jubelten, während die Eltern Anstalten machten, sich bei dem Wohltäter zu bedanken.
Der Dank der Eltern und auch der Kinder, das war es nun eben, was Herr Peregrinus jedes Mal zu vermeiden suchte, er wollte sich daher wie gewöhnlich ganz still davonmachen. Schon war er an der Tür, als diese plötzlich aufging und in dem hellen Schimmer der Weihnachtslichter ein junges, glänzend gekleidetes Frauenzimmer vor ihm stand.
Es tut selten gut, wenn der Autor sich unterfängt, dem geneigten Leser genau zu beschreiben, wie diese oder jene sehr schöne Person, die in seiner Geschichte vorkommt, ausgesehen, was Wuchs, Größe, Stellung, Farbe der Augen, der Haare betrifft, und scheint es dagegen viel besser, demselben ohne diesen Detailhandel die ganze Person in den Kauf zu geben. Genügen würde es auch hier vollkommen, zu versichern, dass das Frauenzimmer, welches dem zum Tode erschrockenen Peregrinus entgegentrat, über die Maßen hübsch und anmutig war, käme es nicht durchaus darauf an, gewisser Eigentümlichkeiten zu erwähnen, die die kleine Person an sich trug.
Klein und zwar etwas kleiner als gerade recht, war nämlich das Frauenzimmer in der Tat, dabei aber sehr fein und zierlich gebaut. Ihr Antlitz, sonst schön geformt und voller Ausdruck, erhielt aber dadurch etwas Fremdes und Seltsames, dass