Natürlich heilen mit Bakterien - eBook. Anne Katharina Zschocke

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Die durchschnittlich höhere Lebenserwartung, die überwiegend der besseren Säuglingshygiene und geringeren Kindersterblichkeit zu verdanken ist, bedeutet ja nicht etwa, dass wir gleichzeitig weniger krank geworden wären. Das Gegenteil ist der Fall.

      Um dies besser zu verstehen, hilft ein Blick in die Zeit, aus der die Idee der Bakterienbekämpfung stammt: ins 19. Jahrhundert. Damals traf einiges zusammen: Europa wurde immer wieder von Kriegen überzogen, an denen zwangsläufig auch Ärzte beteiligt waren. Die damaligen Militärkrankenhäuser waren exzellente Ausbildungsstätten für Ärzte, auch solche, die wissenschaftlich forschten. So unterstand das königliche Charité-Krankenhaus in Berlin, an dem viele Ärzte arbeiteten und forschten, dem Kultur- und dem Kriegsministerium. Kriegsdenken und kämpferische Strategien waren folglich in ihnen verinnerlichte Lebensprinzipien, und viele von ihnen dienten in den Kriegen als Soldaten an der Front. Auch die führenden Mikrobiologen von damals hatten diese Erfahrungen entweder selbst gemacht oder bei den Vätern miterlebt. Es war Teil des gesellschaftlichen Daseins. Wie tief sich dies in die Seele einschreibt, ist aus Sicht eines Menschen, der Krieg nicht erlebt hat, kaum einfühlbar.

      Nicht einmal das Verhältnis der Forscher untereinander und ihrer Arbeit blieb dabei von Kampfgedanken frei. Es gab um die Entdeckung von Krankheitserregern und Heilmethoden geradezu einen Wettbewerb, weil davon Ehre und gutbezahlte Stellungen abhingen. Ironisch wurde diese Stimmung skrupellosen Strebens um Berühmtheit im Jahr 1905 vom spanischen Arzt und Nobelpreisträger Ramón y Cajal (1852–1934) mit der Erzählung Die Rache des Professors Max von Forschung literarisch aufgearbeitet.13

      Obendrein sah man sich als Vertreter der Nation im Kampf um Entdeckungen. Noch bis zur Ernüchterung nach den beiden Weltkriegen las man Sätze wie: »Die beiden Männer haben einen ehrlichen Forscherkampf miteinander ausgefochten, aus dem Koch als Sieger hervorging. Dieser Kampf war im Grunde nichts anderes als der dramatische Ausbruch einer neuen Epoche unseres biologischen und ärztlichen Denkens.«14 Rückblickend sehen wir die so gepriesene Epoche allerdings als eine Sackgasse.

      Charles Darwin (1809–1882) hatte darüber hinaus mit seinem »Kampf ums Dasein«15 etwas veröffentlicht, was allgemein so aufgefasst wurde, als ob Bekämpfung von Lebendigem eine Grundlage natürlicher Lebensentwicklung sei. Damit wurde das Töten quasi legitimiert. Dass das Gegenteil zutrifft, wurde übersehen und erst mithilfe der Gehirnforschung ab Ende des 20. Jahrhunderts gründlich und eindeutig widerlegt.16

      Überhaupt brachte das 19. Jahrhundert eine Weichenstellung in der Betrachtung des Lebens mit sich – mit zunehmender Entfremdung von ihm. Die Naturwissenschaften erhoben den Anspruch, eine »objektive« Wissenschaft zu sein, in der subjektive Erfahrungen, Intuition oder Sinneseindrücke beim forschenden Menschen keine Rolle spielen sollten. Deren Bedeutung ging verloren, und messbare Werte aus rational wiederholbaren Versuchen traten in den Vordergrund. Von Empfindungen beim Forschen wie Staunen, Ehrfurcht und Liebe, wie sie frühere Gelehrte ganz natürlich äußerten, darf seither in den Naturwissenschaften nicht mehr geredet werden, so als müsste sich selbst der Forscher auf seine Stofflichkeit reduzieren. Nicht mehr die Betrachtung, sondern die Analyse wurde zur wissenschaftlichen Methode der Wahl. Zur üblichen Forschungstechnik wurde es, Dinge in immer kleinere Teile zu zerlegen und mit diesen Teilstücken zu experimentieren. Man verstand die Welt fortan als die Summe dieser Teile: Lebensmittel als Summe von Kohlenhydraten, Fetten, Eiweißen, Mineralien et cetera, Bodenfruchtbarkeit als die Summe von Mineralsalzen wie Phosphor, Stickstoff und Kalium, den Menschen als Summeseiner Organe. Und diese Teile ließen sich beliebig trennen und unabhängig voneinander nicht nur beschreiben, sondern scheinbar auch wie Bausteine benutzen. Lebensvorgänge in Zellen betrachtete man als die Summe chemischer Gesetzmäßigkeiten, die man bloß kennenlernen musste und dann beeinflussen konnte. Essen wurde auf Stoff- und Kalorienaufnahme reduziert. Vereinzelung galt als Methode zum Erkenntnisgewinn. Der Widerspruch, dass sich Teilstücke aus etwas Lebendigem nie wieder in dessen Ursprung zusammensetzen lassen, aus Nährstoffen beispielsweise weder wieder Birne noch Brötchen werden, gesundes Leben folglich aus mehr bestehen muss als bloß der Summe seiner Teile, wurde geflissentlich übersehen.

      In der Forschung ebenso wie im Alltagsleben begann eine Technisierung. Mit aller Ernsthaftigkeit folgten daraus später Texte wie beispielsweise in einem Buch über Landwirtschaft: Die Kuh – eine chemische Fabrik.17 Oder folgender: »An dem Tage, an welchem man die entsprechend billige Kraft bekomme, werde man mit Kohlenstoff aus der Kohlensäure, mit Wasserstoff und Sauerstoff aus dem Wasser und mit Stickstoff aus der Atmosphäre Lebensmittel aller Art erzeugen. Was die Pflanzen bisher taten, werde die Industrie tun, und zwar vollkommener als die Natur. Es werde die Zeit kommen, wo jedermann eine Dose mit Chemikalien in der Tasche trage, aus der er sein Nahrungsbedürfnis an Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten befriedige, unbekümmert um Tages- und Jahreszeit, um Regen und Trockenheit, um Fröste, Hagel und verheerende Insekten. Dann werde eine Umwälzung eintreten, von der man sich jetzt noch keinen Begriff machen könne: Fruchtfelder, Weinberge und Viehweiden werden verschwinden; der Mensch werde an Milde und Moral gewinnen, weil er nicht mehr von Mord und der Zerstörung lebender Wesen lebe. Die Erde werde ein Garten, in dem man nach Belieben Gras und Blumen, Busch und Wald wachsen lassen könne, und das Menschengeschlecht werde im Überflusse und der sagenhaften Freude des goldenen Zeitalters leben.«18

      Man muss diesen Zeitgeist kennen, um die Irrwege in der Geschichte der Mikrobiologie zu verstehen. Heute wissen wir, dass diese Entwicklung uns weltweit Not und Krankheiten einbrachte, Mangel und Armut und statt eines »Gartens« eine geplünderte, missachtete und verschmutzte Erde. Auf Gewinn an Milde und Moral warten wir noch.

      Diese Zeit der Technisierung brachte Fortschritte in der Mikroskopie mit sich. Einzeller konnten nun bequem einzeln vergrößert dem menschlichen Auge sichtbar gemacht werden, und durch chemische Färbung ließen sie sich unterscheiden, sodass man fasziniert begann, diese neue Welt im Kleinsten vermehrt zu erforschen.

      Auch politisch wurde Neuland erobert: Mit Schiffsflotten und Exkursionen machten Delegationen der europäischen Länder sich auf, um in anderen Kontinenten Land zu besetzen und dies zu Kolonien zu erklären. Prompt erklärte man Bakterien, die auf einer Nährlösung wachsen, ebenfalls zu einer Bakterien»kolonie«.

      In dieser Zeitenstimmung wurde mikrobiologische Forschung betrieben und Neues beobachtet. Und die Forscher dachten dazu, so gut sie konnten, doch offensichtlich konnten sie – jedenfalls die führenden, deren Meinungen beherrschend wurden – dabei nicht aus ihrer Haut. Vielleicht setzten sie sich gerade deshalb gegenüber anderen durch, weil ihre Ansichten sich bequem mit der allgemeinen Zeitenströmung deckten. Mikrobiologische Forschung wurde durch diese Geistesbrille hindurch gedeutet, und diese Brille war nicht paradiesisch rosa, sondern militärisch und vereinzelnd imprägniert.

      Bis zum heutigen Tage kann man dies allein bereits am Sprachgebrauch ablesen, der sich in Zusammenhang mit Einzellern eingebürgert hat. Da ist von »angreifenden« Bakterien und der »Verteidigung« durch ein wachsames Immunsystem die Rede. »Eindringlinge« müssen durch »Antikörper« in Schach gehalten werden, und wenn diese »Verteidigungslinie« zu schwach ist, kommt es zur »Invasion«. »Heerscharen« irgendwelcher »Killer« »lauern« in der Umgebung und »bedrohen« den Menschen. Stoffwechselprodukte von Bakterien wurden als »Kampfstoffe« bezeichnet,19 und Mikroskopieren galt als Betrachten der Bakterien mit »bewaffnetem Auge«.

      Typischerweise klingt es dann so: »Der Eroberungsfeldzug unserer Körpergenossen beginnt in der ersten Lebensminute.«20 Oder: »Die bakterielle Landnahme geht schrittweise voran.« Beides ist im Übrigen falsch. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, strotzen selbst Texte von renommierten Instituten, in Fachbüchern und akademischen Forschungsberichten, sobald es um Einzeller geht, von verbalem Kriegsgeklapper.21

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