Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

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Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg

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er laut, als Susanne wieder auf ihren Füßen stand. Frank war so ungestüm, so überglücklich, er hätte die ganze Welt umarmen können.

      Rosi machte ein paar zaghafte Schritte in seine Richtung, zweifelnd in kindlichem Ernst, ob sie sich auch dazu melden dürfe und flüsterte: „Ich, ich möchte auch mit dir fliegen.“ Also nahm Frank die Kleine hoch und drehte sich mit ihr durch die Küche, hinaus auf die Terrasse und weiter in den Garten. Rosi breitete die Arme aus und legte ihren Kopf in den Nacken, sie lachte und quietschte, sie quietschte beinahe identisch wie Wedekind‘s Gartentürchen. Frank war derartig aufgedreht, auch das Stillsitzen am Kaffeetisch fiel ihm schwer. Er alberte herum wie ein hyperaktives Kind. In einer Hand die Tasse mit Kaffee, in der anderen ein Stück Kuchen, so lief er hin und her, alles gleichzeitig, essen und trinken, sprechen und, stolpern! Der heiße Kaffee spritzte in hohem Bogen über Rosi und Susanne, wonach beide laut aufschrien. Das brachte Frank Hauff wieder auf den Boden der Gegenwart zurück, er ließ sich auf einen Stuhl fallen, stellte vorsichtig die fast leere Tasse ab und wurde plötzlich sehr still – und blass.

      Brigitta, die eilig ein Tuch aus der Küche geholt hatte, mit welchem sie den Kaffee aufwischen wollte, wo immer er auch hin gekleckert war, sah es zuerst. „Was ist denn? Frank, was hast du denn?“, rief sie erschreckt.

      Gerade sahen noch alle fasziniert auf die Kaffee- und geröteten Hautflecke auf Rosis Arm und Susannes Handrücken, jetzt flogen die Köpfe herum, alle Augen richteten sich auf Frank, der sich gerade wie in Zeitlupe langsam vom Stuhl zur Seite neigte, mit geschlossenen Augen, ohne auch nur einen Ton von sich zu geben. Das war kein Spiel mehr! Soeben noch rechtzeitig konnten Michael und Helene ihn auffangen. Mit etwas Anstrengung gelang es auch, Frank wieder einigermaßen aufrecht auf den Stuhl zu setzen, aber er war zweifelsfrei weggetreten, ohnmächtig. Helene und Michael hielten ihn fest.

      Von Susanne fiel augenblicklich jede Aufregung der letzten Stunden ab, sie war mit einem Male die Ruhe selbst. Nachdem er sich nicht aufwecken ließ, griff sie zum Telefonhörer. Wie in Trance wählte sie den Notruf 112 und berichtete völlig gefasst von Franks Zusammenbruch. Alle schwiegen, niemand getraute sich auch nur ein Wörtchen von sich zu geben. Es kam ihnen fast so vor, als sollten sie für die ausgelassene Freude der letzten Stunde bestraft werden. Inzwischen hatten sie Frank vorsichtig auf den Boden gelegt. Susanne feuchtete ein Handtuch an und breitete es über seine Stirn, den Hals, auf seine linke Schulter und den Oberarm aus. Sie arbeitete langsam und präzise, schien auch genau zu wissen, was zu tun war. Die anderen sahen ihr wie gelähmt zu. Erst, als Rettungsdienst und Notarzt vorfuhren, kam wieder Leben in die Gesellschaft.

      Michael riss die Haustür auf, ließ Arzt und Helfer herein und führte schweigend die kleine Rosi zu ihrem Blumenbeet. Er lenkte sie mit allerlei Fragen zu den seltsamen Pflanzen ab und Rosi fiel ein: „Papa zog immer Handschuhe bei der Arbeit im Garten an, jetzt weiß ich auch warum!“ Sie sah auf ihre Hände und zeigte Michael, als wäre es das Wichtigste auf der ganzen Welt, dass ihre Fingernägel von zwei Mal waschen immer noch nicht richtig sauber geworden waren.

      „Wenn es weiter nichts ist, nachher zeige ich dir wie man mit der Nagelbürste die Nägel sauber bekommt, okay?“ Michael streichelte beruhigend Rosis Hände und sie nickte zustimmend. Bei einem Blick zurück, sahen sie niemand mehr auf der Terrasse und rannten zum Haus zurück. Alle Türen standen offen. Eben wurde Frank, der jetzt laut protestierte, mit einer Liege in den Krankenwagen geschoben. Brigitta und Helene blieben am Fußweg stehen und Susanne stieg zu Frank ein, sie fuhr demnach mit ins Krankenhaus.

      Michael fragte: „Was hat der Arzt gesagt?“

      „Herzinfarkt.“

      Brigitta legte ihre Arme um die Kinder. „Dann bleibe ich hier, bei den Kindern, einverstanden?“

      „Ich helfe“, bot Helene an. „Wir räumen zuerst den Tisch ab und spülen das Geschirr, oder mag noch jemand etwas essen?“

      Ein allseitiges schweigendes Kopfschütteln war die Antwort.

      In Brigittas Hand lag nun die weitere Koordination und sie fand: „Michael, du machst am besten deine Schulaufgaben fertig“ und hielt Rosi zurück, die ihm nachgehen wollte. „Weißt du was, Rosi, du malst an deinem angefangenen Bild weiter, was soll das eigentlich werden?“

      „Unser Garten, so sieht es da aus“ und nach kurzem Stocken, sehr leise: „Wenn Papa lange auf Montage war.“

      Sie sprachen kaum noch, jeder schien mit eigenen Gedanken beschäftigt. Der arme Frank, er war so voller Freude gewesen. Niemand ahnte, dass sein Herz Einhalt gebieten würde.

      Aber dann kam einer, der sie allesamt vom Ort der Trauer wegholte, und sie gingen gerne mit ihm.

       19

      Susanne wartete, auf was eigentlich? Sie saß in diesem kleinen Wartezimmer im Krankenhaus, während Frank behandelt wurde. Sie empfand die Wartezeit wie Stunden und irgendwie beschlich sie das Gefühl, man habe sie sowieso längst vergessen. Das leise Sprechen anderer Wartender erinnerte sie an das Plätschern und Murmeln des Flusses. Sie nahm sich vor, nur noch fünf Minuten abzuwarten, dann würde sie nachfragen, oder sich wenigstens bemerkbar machen. Diese fünf Minuten nahm sie sich mehrmals vor. Sie fühlte Angst, Angst vor dem Ergebnis der Untersuchung, obwohl doch längst ein Herzinfarkt diagnostiziert worden war. Angst vor ihrer Frage nach seinem Befinden, hinauszögern einer endgültigen Antwort, als könnte es sich alleine dadurch nur um einen Irrtum handeln.

      Irgendwann steckte eine Krankenschwester den Kopf zur Tür herein und fragte: „Ist eine Frau Schnells hier?“

      Erschreckt erhob sich Susanne und ging ihr entgegen. Die Knie zitterten und ihre Stimme hörte sich heiser an als sie antwortete: „Ja, das bin ich.“

      „Dann kommen Sie mit. Ihr Lebensgefährte wartet auf Sie.“

      Mein Lebensgefährte, Susanne atmete auf, hört sich gut an, und sie lief der vor ihr hereilenden Schwester nach.

      Frank lag in einem schmalen Bett und lächelte ihr entgegen, streckte seine freie Hand nach ihr aus und bat: „Komm setz dich ein wenig zu mir. Tut mir leid, wenn ich euch den Rest des Tages verdorben habe. Wie du siehst, hat man mich gerade an einen Tropf gefesselt. Ich soll mich für heute Nacht verabschieden von dir, dann bekomme ich ein Schlafmittel, angeblich ist morgen alles wieder gut. Ich hätte Glück gehabt, sagte man mir, es war nur mein Kreislauf, also kaum der Rede wert.“

      „Nur? Schlimm genug“, fand Susanne. Erleichtert drückte sie ein Kuss auf seine Stirn und strich zärtlich durch sein Haar. „Dann ist’s ja gut. Bleib aber lieber einen Tag länger hier als zu kurz, lass dich gründlich untersuchen. Ich habe dich gerade erst gefunden, da möchte ich dich nicht schon wieder verlieren!“

      „Keine Chance, Susilein!“ Frank lachte und Susanne stimmte ein. Schnell noch eine innige Umarmung und sie verabschiedete sich: „Dann fahre ich jetzt nach Hause und komme morgen wieder her, schlaf gut.“

      Nachdenklich entfernte sich Susanne vom Klinikgelände. Ein Taxi, ich brauche ein Taxi, erkannte sie und sah im nächsten Moment, es waren nur wenige Schritte bis zum Taxistand. Sie stieg in den ersten Wagen ein und nannte dem Fahrer ihre Adresse.

      Während der Fahrt im Taxi kam ihr mit einem Mal ihre Kinderzeit in den Sinn, wie es war, als ihr Vater eine neue Arbeitsstelle angenommen hatte und die kleine Familie von Worms nach Kiel umzog. Wieso sie gerade jetzt daran denken musste? Sie war noch klein gewesen, trotzdem gefiel es ihr in der neuen Gegend nicht und musste das wohl auch damals lautstark zum Ausdruck gebracht haben. Selbstverständlich nahm niemand darauf Rücksicht,

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