Unabwendbare Zufälligkeiten. Inge Borg

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Unabwendbare Zufälligkeiten - Inge Borg

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zu malen. Dabei war immer wieder etwas in ihren Bildern vorgekommen, welches ihre Eltern und Großeltern für schlichtweg recht einseitige Kinder-Fantasien hielten. Rosa Gras und grüne ziemlich hohe, fast Säulen ähnliche Gebilde, die sie ganz stur als Bäume bezeichnete. Eben Fantasien, wie sie wohl nur ein Kind entwickeln kann. Fantasien, die mit der dazugehörigen laschen Handbewegung als erledigt abgetan waren. Da Opa und Oma weiterhin in Worms wohnten, durfte sie zweimal im Jahr, später in den Sommerferien, für einige Wochen zu ihren Großeltern reisen. Opa war es dann auch, der eines Tages glaubte, ihre Bilder sollten altersgemäß berichtigt werden: ‚Du malst sehr gut für dein Alter, wirklich, nur es gibt kein rosa Gras, Gras ist grün und das weißt du auch, also male es zukünftig auch grün!‘ Susanne liebte ihren Opa und so gehorchte sie. Außerdem fand er diese immer wieder kehrenden merkwürdigen Bäume seltsam und zeigte ihr eine Tanne. Es war anscheinend im Winter gewesen, denn ab da fehlte in ihren Bildern nie mehr mindestens eine teilweise mit Schnee bedeckte Tanne. So vergingen einige Jahre und diese Fantasie-Gemälde gerieten ganz allmählich in Vergessenheit. Doch bevor dies geschehen konnte, löste sich durch einen besonders denkwürdigen Zufall das Rätsel auf erstaunliche Weise. Eines Tages, Susanne war inzwischen elf Jahre alt, besuchten die Großeltern die kleine Familie für zwei Wochen in Kiel. In diese Zeit fiel eine Einladung der Nachbarn, zwei Häuser weiter wohnend, zum Geburtstags-Kaffee des Hausherrn. Für Susanne war es das erste Mal, dass sie mit ihren Eltern zu diesen Nachbarn ging. Es war eher umgekehrt, diese netten Nachbarn kamen öfter zu ihren. Aber an diesem besagten Tag betrat Susanne erstmalig deren Wohnzimmer und dort fiel sofort ihr Blick auf ein Ölbild in einem prächtig verzierten goldfarbenen Rahmen, eine Landschaft mit rosa Gras und Säulenbäumen! Sie war davor stehen geblieben und minutenlang nicht ansprechbar gewesen, völlig vertieft in dieses Bild, in diese Landschaft. Rosa Gras? Oh nein! Es war Heidekraut, und Säulenbäume, das waren ganz einfach hochgewachsene, schlanke Lebensbäume, Zypressen, Thujas, was auch immer. Später konnte sie sich nur noch daran erinnern, dass ein lautes Stimmengewirr von Opa unterbrochen worden war: ‚Lasst das Kind in Ruhe!‘ Ihrer Familie war es geradezu unheimlich erschienen, es lag auf der Hand, sie versuchte offenbar immer wieder eine solche Heidelandschaft zu malen. Das war eindeutig! Aber woher kannte sie von klein auf eine derartige Landschaft, in die nie jemand mit ihr gereist war? Spekulationen, Verständnislosigkeit der Familie! Schließlich, nach Opas barschen Worten, nannte man es ihre ‚besondere Vorliebe‘ und ‚vielleicht hat sie mal irgendwo solch ein Bild gesehen‘. Immerhin bekam sie damals die Erlaubnis der Nachbarn, das Bild zu malen. Dazu durfte sie sich in deren Wohnzimmer an den Tisch setzen, direkt dem Bild gegenüber. Einen ganzen Nachmittag hatte sie dafür gebraucht, nicht ohne diverse Änderungen bei ihrem Gemälde vorzunehmen, weil die Landschaft ihrer Erinnerung nicht mit dieser Vorlage identisch war, auch nicht sein konnte. Die Entdeckung dieses Bildes hatte zwar eine Sehnsucht ihrer Kindheit erfüllt, doch gleichzeitig blieb unbewusst eine unbeantwortete Frage offen.

      Als ihr Opa starb, war sie vierzehn und sie brauchte sehr lange, um damit fertig zu werden. Weiterhin reiste sie zu ihrer Oma in den Ferien. So war es auch vor ihrem letzten Schuljahr gewesen, den letzten Sommerferien. Soeben war ihre erste Woche bei der Großmutter vergangen, da erhielten sie ein Telegramm aus Kiel, von jenen befreundeten Nachbarn mit dem Heidebild. Ein Telegramm, welches knapp und allzu deutlich vom Bootsunglück ihrer Eltern berichtete, mit tödlichem Ausgang. Fast wortlos packten sie die Koffer. Susannes Erinnerung war hier nur noch extrem bruchstückhaft vorhanden, vieles verdrängte sie offenbar. Nur die Bahnfahrt war ihr unendlich lange vorgekommen. Und die schwarz gekleideten Menschen am Grab bei der Beerdigung, die sie heute noch wie eine Bedrohung vor ihrem geistigen Auge sah, verfolgten sie wochenlang in ihren Träumen. Oma war eine starke Frau, sie regelte alles, von Beerdigung bis Auflösung der Wohnung. Es hatte auch nie der kleinste Zweifel für sie bestanden, sie würde ihre Enkelin für immer mit nach Worms nehmen. Die Schule beendete Susanne deshalb mit sechzehn, sie wäre auch zu dieser Zeit nicht fähig gewesen, noch für ein Jahr eine fremde Schule in Worms zu besuchen. Oma wusste auch wieder Rat und mit ihren Beziehungen bekam Susanne eine Anstellung in der großen Kunsthandlung, nur wenige Straßen entfernt. Das Malen selbst gab sie lange schon auf, sie fand nicht mehr die nötige Zeit dazu. Und irgendwie war es auch mit der Erkenntnis über jene Heidelandschaft und dem bewussten Festhalten im eigenen Gemälde ein beruhigender Abschluss gewesen. Mit achtzehn Jahren bezog sie ihre erste kleine Wohnung im Dachgeschoss eines alten fünfgeschossigen Stadt-Hauses, nicht weit von Großmutters Wohnung entfernt. Ihr Chef, Herr Bosch, war es gewesen, der sie eines Tages zu einer Auktion nach Hamburg einlud. Dort wollte sie versuchen bei der Ausstellung ein Heidebild zu finden, aber es gab keines. Dann geschah etwas völlig Unvorhersehbares auf der Rückfahrt: Eine Raststätte, irgendwo an der Autobahn und Herr Bosch brauchte unbedingt eine Pause. Ob es Absicht war, weil er Susannes sogenannte Vorliebe kannte, oder wirklich nur Zufall, konnten Chef und Angestellte später nie klären. Der Rastplatz lag in der Lüneburger Heide. Nach einer Pause bei Getränken, Broten und Obst, war sie plötzlich wie von einem inneren Impuls gelenkt, wofür sie bis heute keine Erklärung fand, beinahe wie von einem Magnet angezogen, zwischen den Büschen und Birken hindurch gegangen und da war dieser Blitz gewesen. Ein Blitz in ihrem Kopf, so empfand sie es, der ihr die augenblickliche Erkenntnis brachte: Hier war ich schon einmal, alles kenne ich, hier habe ich gelebt! Und so, als hätte dieser Blitz in ihrem Inneren eine bisher verschlossene Türe aufgestoßen, war dieses plötzliche Wissen des wieder ‚Gefundenen‘ da gewesen. Ein Wissen ohne Zweifel, ein wahnsinnig starkes Empfinden, von einer Sekunde zur anderen verspürt. Niederkniend verstand sie, es war immer da gewesen, tief in ihrem Unbewussten, von Anfang an und solange sie denken konnte suchte sie wohl unwissend danach. Es war keine Fantasie, keine besondere Vorliebe, wie es nach der Bewunderung des Ölgemäldes bei den Kieler Nachbarn genannt worden war. Sie empfand es auch heute noch als ein Wunder, was es ihrer Meinung nach war. Aber auch als Trost für die Jahre nach dem Verlust ihrer Eltern. Ihre Seele konnte eine schöne Erinnerung tief verschlossen im Innern aufbewahren. Wer immer sie auch gewesen sein mochte, es spielte keine Rolle, aber dieses Wissen, dieses Wunder würde ihr in diesem Leben nie mehr verloren gehen! Jetzt, auf dieser Taxifahrt, fiel ihr alles in Kurzfassung wieder ein und so wie ihr dieses Wissen: ‚Unsere Seele stirbt nicht‘, auch Stärke nach dem Tod ihres Mannes gab, so würde sie immer wieder daraus schöpfen können. Längst war ihr bewusst, die Lüneburger Heide musste es nicht unbedingt gewesen sein, aber doch ein Heideland, irgendwo, nur so konnte es überhaupt geschehen, dieses Wunder des Wiederfindens so intensiv zu erleben. Sie bezeichnete es nicht als Wiedergeburt, verstand es immer nur als einen Teil eines ihrer früheren Leben. Sie war auch nie auf die Idee gekommen, Nachforschungen anzustellen, wie manche Leute es sogar mit Hypnosen und TV-Begleitung veranlassten, nein, das wäre ihr zu anmaßend gewesen. Und es war ihr längst klar, ohne Umzug nach Kiel, ohne die erste Begegnung mit jenem Bild bei den Nachbarn, wäre vielleicht irgendwann einmal diese wichtige tiefe Erinnerung in ihrem Unterbewusstsein verloren gewesen.

      Ein leichter Ruck, das Taxi stand vor ihrem Haus. Susanne zahlte und zwang sich zurück in das Hier und Jetzt. Sie schloss die Haustüre auf und wunderte sich über die Stille. „Wo seid ihr? Ich bin wieder da, hallo“, rief sie laut, erhielt jedoch keine Antwort. Es war auch nicht der geringste Laut zu hören. Susanne blickte irritiert zur Uhr, erst 19:04 Uhr, nicht unbedingt Schlafenszeit, nicht einmal für Rosi. Da fand sie den kleinen Zettel am Tisch.

      Wir sind alle bei Herrn Scholz, er hat uns zum

      Abendbrot eingeladen, komm nach!

      Na, so was, dachte Susanne, sieht aus, als wäre das eine weitere Annäherung zu einer freundschaftlichen Nachbargemeinschaft.

      Michael öffnete die Haustüre bei Herrn Scholz nach dem Schellen seiner Mutter. „Hallo Mama, du hast uns also gefunden“, stellte er fest und machte einen leichten Diener mit einladender Handbewegung. Und als gehöre er hierher, führte er seine Mutter bei der Hand in die geräumige Wohnküche. Wie eine Familie saßen alle um den Tisch, der wohl reichlich gedeckt gewesen war, inzwischen aber auch etwas geplündert aussah.

      „Guten Abend zusammen. Das sieht ja toll aus!“ Susanne ging auf Herrn Scholz zu. „Danke, Herr Scholz, besten Dank, dass Sie sich so liebevoll um meine Familie kümmern.“

      „Gerne,

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