Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online. Jürg Häusermann
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»das Redeziel bestimmen
»das Zielpublikum kennen
»Hauptaussagen notieren
»den Aufbau der Rede skizzieren
»Notieren der Möglichkeiten, mit dem Publikum zu interagieren
Recherche ist die wichtigste Aufgabe
Reden entstehen geplant. Und eine gute Rede basiert nicht nur auf solchen einzelnen vorbereiteten Formulierungen, sondern auf intensiver Beschäftigung mit dem Stoff. Ebenso wie das Sammeln gehört auch das Verwerfen von Material dazu. Auch das ist essenziell. Es führt dazu, dass man mehr weiß, als man schließlich vor Publikum sagt, und das ist eine Grundlage für das sichere Reden.
Noch heute orientiert sich die Rhetorik an den Schritten, die im klassischen Altertum galten, an den so genannten Produktionsstadien. Man nannte meist fünf, und sie werden immer noch mit ihren lateinischen Namen bezeichnet:30
»Inventio (das Auffinden des Stoffs, der Informationen, die seine Botschaft erhellen und stützen)
»Dispositio (die Anordnung der einzelnen Aussagen so, dass die Rede einen überzeugenden Aufbau erhält)
»Elocutio (die sprachliche Gestaltung der Rede)
»Memoria (das gedankliche Durchgehen und Sich-Einprägen der Rede)
»Actio (der Auftritt, mit der sprecherischen und körpersprachlichen Präsentation der Rede)31
Vier dieser fünf Produktionsstadien betreffen die Planung und Vorbereitung. Dabei sticht die Inventio als inhaltliche Grundlage noch heute heraus, weil sie das garantiert, womit man als Vortragender am überzeugendsten auftritt: inhaltliche Kompetenz. Wir nennen es heute Recherche, und sie ist eine Schlüsselqualifikation in sehr vielen Berufen; wenn es darum geht, einen Text zu verfassen (oder eben auch eine gesprochene Rede), kommt man ohne sie nicht aus. Für die öffentliche Rede ist sie ein wichtiges Merkmal, das sie vom alltäglichen Gespräch unterscheidet. Unsicherheit über einen Sachverhalt gehört zur privaten Konversation. „Lass uns das mal nachschlagen/googeln/erfragen.“ ist eine gängige Aufforderung, mit der man gemeinsam Informationen ergänzt, um danach weiter diskutieren zu können.
Dass man vorbereitet vor ein Publikum tritt, entspricht auch den Erwartungen an eine Rednerin oder einen Redner: Als Einzelperson zu einer Gruppe zu sprechen, ist ein Privileg. Weil man etwas zu sagen hat, lohnt es sich für andere Menschen, zuzuhören und damit das eigene Wissen zu ergänzen oder in Frage zu stellen. Die Rednerin ist Expertin. Expertin zu sein, bedeutet aber in dem meisten Fällen nicht einfach, aus dem erworbenen Wissen zu schöpfen, sondern recherchieren zu können. Auf keinem Gebiet ist es ratsam, einen alten Vortrag aus der Schublade zu ziehen und ihn so zu halten, wie es vor ein paar Jahren, Monaten oder auch Tagen passend war. Man greift zwar auf Früheres zurück, reagiert aber auch auf Aktuelles. Das eine gibt Sicherheit, das andere ermöglicht den Kontakt mit dem Publikum.
Eine gute Vorbereitung birgt immer die Gefahr, dass man sich zu eng an einem Konzept orientiert. Die Rede kann in Sprache und Tempo zu starr wirken. Gute Vorbereitung kann aber auch als Chance gesehen werden, von ihr abzuweichen, so dass die Rede lebendig wirkt – dank spontaner Ergänzungen, Tempoveränderungen, Reaktionen auf Einwände. Je besser dabei die Vorbereitung, desto leichter ist es, den eingeschlagenen Weg zu verlassen und ihn bei Bedarf wieder aufzunehmen.
Die Rede als Produkt dieser Rahmenbedingungen
Alle genannten Bedingungen der öffentlichen Rede haben die traditionelle Art, sich vor Publikum auszudrücken, beeinflusst, und zwar im Negativen wie im Positiven.
Dass man sich vor einer Gruppe in einem größeren Raum findet, beeinflusst die Bedeutung der Stimme wie auch der Körperhaltung und -bewegung. Das kann einengen, aber auch eine gewisse Sicherheit geben. Die zeitliche Begrenzung führt oft zu einem erhöhten Sprechtempo und zu einem Aufbau, der im Vergleich zum Gespräch knapper strukturiert ist. Trotzdem kann der Zeitdruck auch zu einer kompakteren Darstellung zwingen. Die kulturellen und sozialen Normen betreffen viele Rahmenbedingungen, von Äußerlichkeiten der Kleidung und des Auftretens bis zu sprachlichen Formulierungen. Die Ausrichtung auf ein Redeziel hat dazu geführt, dass es verschiedene Gattungen von Reden gibt, für die sich ihrerseits wieder Gewohnheiten und Regeln entwickelt haben. Sich daran zu halten (etwa an die Struktur einer Grabrede), kann zwar Mühe bereiten, aber es kann einem auch einen hilfreichen Rahmen geben. Die inhaltliche Planung führt manchmal zu einer Sprache, die sich nur schwer von schriftlichen Vorbildern löst, hilft aber beim Aufbau und der Klarheit der Botschaft. Insgesamt aber darf nicht vergessen werden, dass jede Rede – ob sie sich an konventionelle Vorgaben hält oder konstruktiv und dialogisch verstanden wird – das Produkt dreier Kräfte ist. Die Rednerin oder der Redner steht zwar im Vordergrund und trägt einen großen Teil der Verantwortung; aber das Publikum beteiligt sich in jedem Fall mit und kann dem Ereignis einen unerwarteten Verlauf geben. Und im Hintergrund übt immer die veranstaltende Institution ihren Einfluss aus und gestaltet die Rede mit.
2Vom Monolog zum Dialog
Es gibt klassische Vorstellungen davon, was eine gute Rede ist. Viele davon sind aber für den Sachvortrag eher hinderlich. Sie stellen Anforderungen, die schwer zu erfüllen sind, und verhindern eine Begegnung auf Augenhöhe mit dem Publikum. Im Dialog sind wir nicht nur authentischer, sondern erzielen auch bessere Resultate, weil wir gemeinsam vorgehen. Deshalb lautet die Empfehlung: Nutze die Stärken des Dialogs, auch wenn du einen Vortrag hältst.
Das gilt zugegebenermaßen nicht für die, deren Ziel es ist, auf einer Demo die Massen aufzupeitschen. Es gilt auch nicht für die, die in den großen Festzelten Wählerstimmen zusammentrommeln oder auf Instagram Kunden für die neueste Duschgel-Duftnote begeistern wollen. Es gilt aber für alle jene, deren Hauptziel es ist, andere zu informieren: Fachleute, die einen Vortrag über ihr Fachgebiet halten, Studierende, von denen man ein Seminar-Referat erwartet, Dozentinnen, Instruktoren, Fremdenführer und viele andere, für die das Reden nicht Berufung ist, denen es aber auch nicht erspart bleibt. Man erwartet von ihnen keine schauspielerischen Leistungen. Man erwartet, dass sie authentisch bleiben.
Wenn man zum Reden abgerichtet wird
Zugegeben: das braucht auch andere Arten des Rhetoriktrainings, als was viele Coaches und Beratungsfirmen anbieten, die angeblich lehren, wie ein Einzelner das Publikum „begeistert und bewegt“,32„bei Laune hält“33 oder „anrührt oder erschüttert“,34 so dass „eine motivierende Welle der Begeisterung durch