Lehrbuch der Psychotraumatologie. Gottfried Fischer

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Lehrbuch der Psychotraumatologie - Gottfried Fischer

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statischen und individuumzentrierten Modellen psychischer Krankheitsentstehung, die ein Symptombild überwiegend oder gar ausschließlich aus internen Eigenschaften des Symptomträgers herleiten.

      Letzteres Vorgehen hat in der Medizingeschichte eine lange, unglückliche Tradition. So verfuhr schon Hippokrates, als er die depressive Verstimmung und das Krankheitsbild der Depression auf ein Übermaß an schwarzer Galle (melaina chole = Melancholie) im Organismus zurückführte. Alternativ ließe sich natürlich fragen, ob und wieweit sich ein depressives Zustandsbild – weniger voraussetzungsvoll – aus einem Zusammenspiel zwischen Individuum und deprimierenden (aktuellen oder lebensgeschichtlichen) Erfahrungen erklären lässt.

      Mit einem dialektisch-ökologischen Ansatz lässt sich durch die Kombination geeigneter Forschungsmethoden (Abschnitt 3.4) prinzipiell ein kausales Verständnis psychotraumatischer Störungsbilder erreichen, so weit es gelingt, an Gruppen und/oder Individuen eine systematische Kovariation zwischen traumatogenen Umweltfaktoren und subjektiven Verarbeitungsprozessen bzw. Verletzungsphänomenen aufzuzeigen.

      In der Systematik des Lehrbuchs scheint der Entwicklungsaspekt zu fehlen, ein besonderer Abschnitt zur Psychotraumatologie der Entwicklung etwa. Der Gesichtspunkt der Entwicklung wird jedoch, unserem dialektisch-prozessorientierten Ansatz entsprechend, innerhalb der AP, DP und SP bereits systematisch berücksichtigt. Es handelt sich dabei nicht um eine weitere Zugangsweise oder Forschungsperspektive, sondern um ein allgemeines Merkmal des Gegenstands, wenn wir nämlich das menschliche Leben insgesamt als Entwicklungsprozess verstehen.

      Als grammatische Allgemeinbezeichnungen verwenden wir mehr oder weniger beliebig entweder die männliche oder die weibliche Form (z. B. Patientinnen oder Patienten). Wenn das Genus für den Sinn der Passage von Bedeutung ist, wird dies durch kursive Schrift hervorgehoben, z. B. Patientinnen, wenn Frauen gemeint sind und nicht die Gruppe der Patienten oder Patientinnen im Allgemeinen.

      Das Glossar am Ende des Buches gibt terminologische Definitionen und klärt außerdem Fachausdrücke, die nicht in allen „Mutterdisziplinen“ der Psychotraumatologie geläufig sind. Im Text wird durch einen Pfeil (→) auf das Glossar verwiesen.

      Das Glossar kann natürlich gewisse Grundkenntnisse in Nachbardisziplinen nicht ersetzen. Wir hoffen aber, dass es das Verständnis des Textes erleichtern kann und dass es zugleich dazu beiträgt, dass die interdisziplinäre Disziplin Psychotraumatologie zu einem einheitlichen Gebiet zusammenwächst.

      Abkürzungen

ACTHAdrenocorticotropes Hormon
APAllgemeine Psychotraumatologie
BICCBonn International Center of Conversion
bPTBSbasales psychotraumatisches Belastungssyndrom
CAPSClinician-administered PTSD-Scale
CATCognitive-Analytic-Therapy
CISDCritical Incident Stress Debriefing
CSKonditionierter Stimulus
DBSDouble-Bind-Situation
DESDissociative Experience Scale
DESNOSDiagnosis of extreme Stress not otherwise specified
DIPSDiagnostisches Interview bei psychischen Störungen
DPDifferenzielle Psychotraumatologie
DSMDiagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der American Psychiatric Association
DVMDialektisches Veränderungsmodell
EEGElektroencephalogramm
EMDREye Movement Desensitization and Reprocessing
GABAGammaaminobuttersäure
HHNHypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse
HTQHarvard Trauma Questionnaire
ICDInternational Classification of Diseases
IESImpact of Event Scale
IN-StrategieIndividuell-nomothetische Forschungsstrategie
IPTInstitut für Psychotraumatologie Köln
KÖDOPSKölner Dokumentationssystem für Psychotherapie und Traumabehandlung
KOMKölner Opferhilfe Modell
kPTBSkomplexes psychotraumatisches Belastungssyndrom
KTDKölner Therapie Dokumentation
KTIKölner Traumainventar
LIPTLeymann Inventory of psychological Terrorization
M-CIDMünchener composite international diagnostic interview
MMPIMinnesota Multiphasic Personality Inventory
MPTTMehrdimensionale psychoanalytische Traumatherapie
OPDOperationalisierte psychodynamische Diagnostik
PDEQPeritraumatic Dissociative Experiences Questionnaire
PETPositronen-Emissions-Tomographie
PFPPsychotraumatologisch fundierte Psychotherapie
PMTProfessionales Missbrauchstrauma
PTBSPsychotraumatisches Belastungssyndrom
PTSDPosttraumatic Stress Disorder
PTsfDPosttraumatic Self Disorder
PTSSPosttraumatic Symptom Scale
RCTRehabilitation Center for Torture Victims
SCIDStructured Clinical Interview for DSM III
SCL-90-RSymptom Checklist, 90 Items, revised
SITStress Inoculation Training
SKPPFragebogen zu sexuellen Kontakten in Psychotherapie und
Psychiatrie
SPSpezielle Psychotraumatologie
SUD-SkalaSubjective Units of Discomfort
TKSTraumakompensatorisches Schema
TSTraumaschema
UCRUnkonditionierte Reaktion
UCSUnkonditionierter Stimulus
VI-StrategieVariablenisolierende (Forschungs-)Strategie
VSVictimisierungssyndrom
ZNSZentralnervensystem
ZTSTZentrales traumatisches Situationsthema

      Teil I:

      Allgemeine Psychotraumatologie

      1 Einführung

      1.1 Psychotraumatologie als Forschungs- und Praxisfeld

      Ideen liegen manchmal in der Luft – und Namen dafür auch. Seit einigen Jahren hatten wir, eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen aus Psychologie, Medizin, Rechtswissenschaft und vor allem aus Psychoanalyse und Psychotherapie, uns Gedanken gemacht über die Notwendigkeit, psychische Traumata näher zu erforschen. Da dieses Thema unseren sonst recht unterschiedlichen Praxisfeldern gemeinsam war, entstand die Idee, ein Forschungsinstitut zu gründen, das sich mit der Auswirkung von psychischer Traumatisierung auf Entstehung und Verlauf von Krankheiten, psychischen und psychosomatischen Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten beschäftigen sollte. Die Frage war, wie sollte dieses Institut heißen. Unsere ersten Ideen knüpften an schon etablierte Fachdisziplinen an mit Vorschlägen wie Institut für „medizinisch-psychologische Forschung“ oder bewegten sich in noch weiteren Wortkombinationen wie Medizinisch-Psychologisch-Psychosomatisches Forschungsinstitut usf. Wir verblieben also mit unserer Namenssuche zunächst innerhalb der schon etablierten Disziplinen. Eher zufällig fanden wir dann einen Namen für das, womit wir uns in den praktischen Projekten, die wir damals schon betrieben, auch tatsächlich beschäftigen: eine interdisziplinär ausgerichtete Lehre von psychischen Verletzungen und ihren vielfältigen negativen Folgen für die davon Betroffenen. So entstand schließlich die Bezeichnung Psychotraumatologie, ohne dass wir bewusst eine Wortneuprägung angestrebt hätten. Uns war dabei auch nicht klar, dass dieser Ausdruck bisher noch gar nicht eingeführt war. Er gab ganz selbstverständlich das wieder, womit wir uns befassten: Fragen der Auswirkung von Kindheitstraumen in psychotherapeutischen und psychoanalytischen Behandlungen, Therapie von Exilanten und Opfern von Krieg und politischer Verfolgung, Folgen sexueller Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie, Diagnosemitteilung bei lebensbedrohlichen Krankheiten, seelische Belastungen bei Katastrophenhelfern und Schadensersatzansprüche nach Verkehrs- oder Arbeitsunfällen. Der Ausdruck Psychotraumatologie bot sich an als gemeinsamer Nenner all dieser Themenbereiche. Am 19.5.1991 gründeten wir nach etwa eineinhalbjähriger Vorbereitung

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