Völkerrecht. Bernhard Kempen

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Völkerrecht - Bernhard  Kempen Grundbegriffe des Rechts

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ihr sei mit dem Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945 bereits die territoriale Souveränität über die betreffenden Gebiete verschafft worden. Nach Auffassung der Bundesrepublik Deutschland handelte es sich hingegen lediglich um eine Verwaltungszession, durch die Polen zwar die Hoheitsgewalt und damit das unbeschränkte Recht zur Verwaltung der Gebiete erlangt, die territoriale Souveränität über die Oder-Neiße-Gebiete hingegen Gesamtdeutschland vorbehalten worden war. An diesem Rechtszustand haben aus Sicht der Bundesrepublik weder der Görlitzer Vertrag zwischen der DDR und Polen vom 6.6.1950 noch der von der Bundesrepublik geschlossene Warschauer Vertrag vom 7.12.1970 etwas geändert. Beim Warschauer Vertrag handelte es sich vielmehr um eine „Konkretisierung des Gewaltverzichts“, indem von den Vertragspartnern „nur das Unterlassen von Maßnahmen geschuldet [wurde], die auf eine gewaltsame Veränderung der in den Verträgen bezeichneten Grenzen gerichtet [waren]“ (BVerfGE 40, 141 [171]). Aus bundesdeutscher Sicht blieb hinsichtlich der Oder-Neiße-Gebiete daher als Erwerbstitel nur der deutsch-polnische Grenzvertrag vom 14.11.1990. Grundbedingung für dessen Abschluss war der Fortfall der Vier-Mächte-Verantwortlichkeit in Bezug auf Deutschland als Ganzes und damit die Erlangung der vollen Souveränität Deutschlands in Konsequenz des sog. 2+4-Vertrags.

      Was die Beschreibung des Verhältnisses von Bundesrepublik Deutschland und DDR angeht, wurden verschiedene juristische Modelle entwickelt (Identitätslehren [Kongruenztheorie, Kernstaatstheorie, Schrumpfstaatstheorie]; Teilordnungslehre/Dachstaatstheorie). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hatte die Errichtung der beiden deutschen Staaten nicht zur Dismembration und damit zum Untergang des Völkerrechtssubjekts Deutsches Reich geführt. Vielmehr hatten sich auf dem Territorium des fortexistierenden gesamtdeutschen Staates zwei neue Staaten gebildet, die im Verhältnis zueinander indes nicht als Ausland anzusehen waren. Die Beziehungen zur DDR wurden vielmehr als „Inter-se-Beziehungen“ charakterisiert. Während die DDR jegliche Kontinuität zum vormaligen Deutschen Reich ablehnte, war die Bundesrepublik ihrem Selbstverständnis nach mit dem Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich identisch, angesichts der grds. auf das Bundesgebiet beschränkten Gebietshoheit jedoch nur teilidentisch (BVerfGE 36, 1 [16]; 77, 137 [154 f.]).

      Die territoriale Souveränität Gesamtdeutschlands und die Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland fielen daher über viele Jahrzehnte auseinander. Das hinderte die bundesdeutsche Rechtsordnung allerdings nicht daran, je nach betroffenem Rechtsgebiet unter „Inland“ (auch) das Gebiet des Deutschen Reichs in seinen Grenzen vom 31.12.1937 zu verstehen. Dieses Verständnis dominierte beispielsweise zunächst im Strafrecht (BGHSt 5, 364 f.; 8, 168 [170 f.]), wurde dort später aber aufgegeben (BGHSt 30, 1 [4]). Im Staatsangehörigkeitsrecht dominierte der nämliche Inlandsbegriff bis zur Wiedervereinigung (§ 25 Abs. 1 RuStAG a. F.).

      G › Gegenmaßnahmen (Repressalien) (Burkhard Schöbener)

       I. Begriff

       II. Zulässigkeit und Ausgestaltung

       1.Rechtliche Maßgaben (allg.)

       2.Berechtigter

       3.Adressat

       III. Grenzen (Repressalienverbot)

       IV. Abgrenzung

      Lit:

      K. Doehring, Die Selbstdurchsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen, ZaöRV 47 (1987), 44; W. Friedler, Gegenmaßnahmen, BDGVR 37 (1997), 9; J.A. Frowein, Die Verpflichtung erga omnes im Völkerrecht und ihre Durchsetzung, FS für H. Mosler, 1983, 241; J. Hebenstreit, Repressalien im humanitären Völkerrecht, 2004; C. Hillgruber, The Right of Third States to Take Countermeasures, in: Tomuschat/Thouvenin (Ed.), The Fundamental Rules of the International Legal Order, 2006, 265.

      Die Durchsetzung des Völkerrechts erfolgt in der Regel dezentral, da es in den zwischenstaatlichen Beziehungen an einer obligatorischen zentralen Gerichtsbarkeit fehlt. So wird die Zuständigkeit des → IGH nur begründet, wenn und soweit sich die beteiligten → Staaten dessen Jurisdiktionsgewalt unterwerfen (Art. 36 IGH-Statut). Die Rechtsdurchsetzung ist deshalb – soweit auch eine → friedliche Streitbeilegung durch Inanspruchnahme diplomatischer Verfahren erfolglos bleibt – eine Angelegenheit der betroffenen Staaten selbst, die entsprechende Maßnahmen ergreifen, um gegen das völkerrechtswidrige Verhalten anderer Staaten vorzugehen (sog. Selbsthilfe). Früher als Repressalie bezeichnet, wird heute überwiegend der Begriff Gegenmaßnahme (countermeasure) verwendet für einen eigentlich völkerrechtswidrigen Akt, der jedoch als Reaktion auf das vorangegangene völkerrechtswidrige Verhalten eines anderen Staates ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Dabei sind jedoch besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen (unten II.) ebenso zu beachten wie die völkerrechtlichen Grenzen (unten III.) solcher Gegenmaßnahmen.

      In den von der International Law Commission (ILC) ausgearbeiteten und von der → UN-Generalversammlung 2001 in einer rechtlich unverbindlichen Resolution zur Kenntnis genommenen Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (GV-Res. 56/83) sind in den Art. 49 ff. die Voraussetzungen aufgeführt, bei deren Vorliegen die Ergreifung von Gegenmaßnahmen gerechtfertigt ist. Die Inhalte der Resolution sind zwar bislang noch nicht verbindlich in einem → völkerrechtlichen Vertrag geregelt worden. Sie entsprechen aber im Wesentlichen den rechtlichen Maßgaben des → Völkergewohnheitsrechts.

      Grundvoraussetzung für eine rechtmäßige Gegenmaßnahme ist ein vorangegangenes völkerrechtswidriges Verhalten des Staates, an den die Gegenmaßnahme gerichtet ist. Dieses völkerrechtliche Delikt kann sich grundsätzlich aus jedem Teilbereich des Völkerrechts ergeben. Sofern zwischen den Streitparteien eine Verpflichtung zur Durchführung eines Streitschlichtungsverfahrens besteht, ist ein solches Verfahren zunächst in Gang zu setzen. Ferner ist der das Völkerrecht verletzende Staat aufzufordern, sein völkerrechtswidriges Verhalten zu beenden, ihm sind Verhandlungen anzubieten und er ist über den Entschluss

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