Das Antikrebs-Buch. David Servan-Schreiber

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Antikrebs-Buch - David Servan-Schreiber страница 17

Жанр:
Серия:
Издательство:
Das Antikrebs-Buch - David Servan-Schreiber

Скачать книгу

noch eine Frage der Zeit. Da entscheidet sich Marschall Georgi Schukow für eine völlig andere Taktik: Anstatt den frontalen Angriff fortzusetzen, der keine Hoffnung auf den Sieg bietet, verteilt er die Überreste seiner Truppen hinter den Linien in dem von den Deutschen besetzten Gebiet. Dort sind die Einheiten stationiert, die den Nachschub der deutschen Truppen sichern sollen. Die rumänischen und italienischen Soldaten sind nicht so diszipliniert und kampflustig wie die Deutschen und leisten nicht lange Widerstand. Binnen weniger Tage kann Schukow den scheinbar unvermeidlichen Verlauf der Schlacht um Stalingrad ändern. Nachdem die Nachschublinien gekappt sind, ist die 6. Armee unter General Paulus nicht mehr in der Lage zu kämpfen und muss schließlich kapitulieren. Im Februar 1943 wird der deutsche Vormarsch endgültig aufgehalten.

      Stalingrad stellt einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs dar. Von da ab musste sich das nationalsozialistische Krebsgeschwür zurückziehen, das sich in ganz Europa ausgebreitet hatte.45

      Soldaten wissen um die strategische Bedeutung der Nachschublinien für die Front. Die Anwendung dieses Ansatzes in der Krebsbehandlung wurde jedoch von vielen Forschern lange als absurd betrachtet. Vielleicht war es daher kein Zufall, dass die Idee dazu ausgerechnet von einem Militärarzt kam.

      Die Erkenntnis eines Marinearztes

      Judah Folkman diente in den Sechzigerjahren als Chirurg in der amerikanischen Marine und bekam den Auftrag, eine Möglichkeit zur Konservierung von Blut zu finden, das bei Operationen auf hoher See benötigt wurde; damals waren die ersten nukleargetriebenen Flugzeugträger viele Monate unterwegs. Um seine Konservierungsmethode zu testen, führte Folkman ein Experiment durch, mit dem er feststellen wollte, ob das konservierte Blut die Anforderungen eines kleinen lebenden Organs erfüllte. Er isolierte die Schilddrüse eines Kaninchens in einer Glaskammer, also in vitro, und ließ das konservierte Blut hindurchströmen. Das Blut erfüllte seine Funktion und erhielt die Schilddrüse am Leben. Nun stellte sich die Frage, ob Folkmans Verfahren auch bei Zellen funktionierte, die sich rasch vermehrten, wie etwa bei einem Heilungsprozess. Um das herauszufinden, injizierte er in die isolierte Kaninchenschilddrüse Krebszellen, die für ihren schnellen Reproduktionszyklus bekannt sind. Und da erwartete ihn eine Überraschung.

      Aus den injizierten Krebszellen entwickelten sich Tumoren, doch keiner wurde größer als ein Stecknadelkopf. Zuerst dachte Folkman, die Zellen seien tot. Aber nachdem er sie Mäusen injiziert hatte, bildeten die Krebszellen rasch große, tödliche Tumoren. Worin bestand der Unterschied zwischen der Kaninchenschilddrüse in vitro und den lebenden Mäusen? Ein Unterschied lag auf der Hand: Die Tumoren, die in den Mäusen wuchsen, waren von Blutgefäßen durchzogen, die Tumoren in der isolierten Schilddrüse dagegen nicht. Durfte man daraus den Schluss ziehen, dass ein Tumor nur wachsen kann, wenn er es schafft, Blutgefäße zu seiner Versorgung umzuleiten?

      Besessen von dieser Hypothese fand Judah Folkman bei seiner chirurgischen Tätigkeit weitere Belege. Die bösartigen Tumoren, die er operierte, wiesen alle ein Merkmal auf: Sie waren von zahlreichen zarten, verdrehten Blutgefäßen durchzogen, die den Eindruck erweckten, als seien sie zu schnell gewachsen.

      Folkman wurde schnell klar, dass eine Zelle nur überleben kann, wenn sie Kontakt zu winzigen Blutgefäßen hat, hauchdünnen Fädchen, die so fein wie Menschenhaar sind. Diese sogenannten Kapillaren liefern den Zellen Sauerstoff und Nährstoffe und transportieren den Abfall aus dem Zellstoffwechsel ab. Auch Krebszellen sind darauf angewiesen, dass Nahrung angeliefert und der Müll abtransportiert wird. Tumoren können nur überleben, wenn sie von Kapillaren durchzogen sind. Aber da Tumoren sehr schnell wachsen, müssen die neuen Blutgefäße schnell sprießen. Folkman nannte dieses Phänomen »Angiogenese« (nach dem griechischen Wort »angio« für Gefäß und »genesis« für Entstehung).

      Blutgefäße stellen normalerweise eine stabile Infrastruktur dar. Die Zellen in der Gefäßwand vermehren sich nicht und bilden nur unter bestimmten Bedingungen neue Kapillaren aus: im Lauf des Wachstums, bei der Wundheilung und nach der Menstruation. Die »normale« Angiogenese ist selbstregulierend und wird streng kontrolliert. Natürlich auferlegte Einschränkungen verhindern die Entstehung brüchiger Gefäße, die zu leicht bluten würden. Die Krebszellen nutzen für ihr Wachstum die Fähigkeit des Körpers zur Bildung neuer Gefäße. Folkman schloss daraus, dass man das Wachstum von Krebszellen bekämpfen könnte, indem man verhindert, dass sie Blutgefäße für sich beanspruchen. Dann würde der Tumor so groß wie ein Stecknadelkopf bleiben. Würde man anstelle der Krebszellen die Blutgefäße zur Versorgung des Tumors angreifen, wäre es sogar möglich, einen Tumor auszutrocknen und so seine Rückbildung einzuleiten.46, 47

      Die Durchquerung der Wüste

      Von den etablierten Wissenschaftlern wollte sich niemand mit der »Klempner-Theorie« befassen, die ein Chirurg entwickelt hatte. Judah Folkman war in ihren Augen ein Handwerker, der mit Rohrsystemen arbeitete und wahrscheinlich keine Ahnung von Krebsforschung hatte. Allerdings war er Professor an der Harvard Medical School und Leiter der Chirurgie am renommierten Children’s Hospital. Daher erklärte sich das New England Journal of Medicine 1971 bereit, seine exzentrische Hypothese zu veröffentlichen.48

      Später berichtete Folkman von einem Gespräch, das er in dieser Zeit mit einem Kollegen im Krankenhauslabor führte, mit Professor John Ender, einem Nobelpreisträger für Medizin. Folkman befürchtete, er habe zu viel von seinen Ideen preisgegeben. Hatte er mit der Veröffentlichung seines Artikels womöglich so viel verraten, dass konkurrierende Labore nun seinen Ansatz kopieren würden? Ender sog an seiner Pfeife und meinte lächelnd: »Ihr geistiges Eigentum ist perfekt geschützt. Niemand wird Ihnen glauben!«

      Tatsächlich gab es auf Folkmans Artikel keinerlei Reaktionen. Schlimmer noch, seine Kollegen zeigten ihm ihre Missbilligung deutlich: Wenn er bei Konferenzen sprach, standen sie geräuschvoll auf und verließen den Saal. Man munkelte, er manipuliere seine Forschungsergebnisse, um seine Theorie zu stützen, und noch schlimmer für einen Arzt: Man nannte ihn einen Scharlatan. Nach einer brillanten Karriere als Chirurg sei er vom Weg abgekommen. Studenten, die für den Betrieb eines Forschungslabors unverzichtbar sind, mieden ihn. Sie wollten ihre Karriere nicht riskieren, indem sie mit ihm in Verbindung gebracht wurden. Ende der Siebzigerjahre verlor Folkman sogar seine Position als Leiter der Chirurgie.

      Trotz dieser Rückschläge blieb er von seiner These überzeugt. 20 Jahre später erklärte er dazu: »Ich wusste etwas, was niemand sonst wusste, und ich war im Operationssaal gewesen. Nicht die Chirurgen kritisierten mich, sondern die Grundlagenforscher, und ich wusste, dass viele von ihnen Krebs nur auf einer Trägerplatte gesehen hatten. Ich wusste, dass sie nicht die Erfahrungen hatten, die ich gemacht hatte. Die Tumoren, die dreidimensional wachsen und Blutgefäße brauchen – im Auge, im Bauchraum, in der Schilddrüse und an vielen anderen Stellen –, und das ganze Konzept der In-situ-Krebserkrankungen und der Tumoren im Ruhestadium – ich hatte das alles gesehen. Deshalb sagte ich mir immer wieder: ›Die Ideen sind schon richtig, es wird nur lange dauern, bis die Leute es begreifen.‹«49

      Mit immer neuen Experimenten belegte Judah Folkman die zentralen Aussagen seiner neuen Krebstheorie:

      1. Mikrotumoren können sich nicht zu gefährlichen Tumoren entwickeln, ohne ein neues Netz aus Blutgefäßen zu bilden, die sie versorgen.

      2. Zu diesem Zweck produzieren sie eine chemische Substanz, das »Angiogenin«, das die Gefäße zwingt, neue Verästelungen in ihrer Nähe zu bilden.

      3. Die neuen Tumorzellen, die sich im übrigen Körper ausbreiten, die Metastasen, sind nur gefährlich, wenn auch sie in der Lage sind, neue Blutgefäße auszubilden.

      4. Große Primärtumoren bilden Metastasen. Aber wie jede Kolonialmacht verhindern sie, dass die fernen Gebiete zu wichtig werden. Dazu produzieren

Скачать книгу