Nietzsche aus Frankreich. Jacques Derrida

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Nietzsche aus Frankreich - Jacques  Derrida

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Gleichstellung der Menschen), oder den Gewalttätigkeiten von außen zu erliegen. Demnach würde eine Wahrheit – die nicht unbedingt einen militärischen Triumph nötig hat, die sich ebensogut in der Niederlage behaupten könnte, ja sogar in den Grenzen eines hinterhältigen Friedens (wie dem Frieden der Konfessionen nach den Religionskriegen) –, würde die Wahrheit des Kommunismus allein übrigbleiben, über einem Friedhof von toten Glaubensinhalten. Doch diese Wahrheit ist unvollständig: und zwar insoweit, als sie gewisse, angeblich nachrevolutionäre Probleme für inaktuell und unzeitig erklärt. Es handelt sich vor allem um das Problem der Zwecke. Denn wenn man den Menschen auf seine rudimentären Bedürfnisse beschränkt, verliert man seinen Unterschied vom Tier aus dem Blick: der Mensch ist das Lebewesen, das mit der biologischen Existenz nicht zufrieden ist, das sich selber Zwecke setzt, die die biologische Befriedigung zur Tragweite eines Mittels herabsetzen. Wir verdanken der Vergangenheit Zwecke, die nicht nur dem animalischen Sein des Menschen fremd sind, sondern dem Menschen selber – soweit er Gemeinbewußtsein ist: der Kommunismus denunziert sie, indem er verlangt, daß der Mensch ausschließlich dem Menschen diene (er hält die außermenschlichen Zwecke für Mittel, ihn auszubeuten). Während er kämpft, um den Menschen zu befreien, reduziert er jedoch den Menschen, auf ein Mittel, sich zu befreien: niemals spricht er – es scheint ihm verfrüht (oder unverständlich), davon zu sprechen – vom souveränen Menschen, der im Augenblick seiner Souveränität keinerlei Nutzwert über diesen Augenblick selbst hinaus hat (der ist, um zu sein, und nicht, um nützlich zu sein, zu dienen, der mit einem Wort kein Werkzeug ist, kein Ding, sondern ein souveränes Wesen).

      Der Kommunismus hat die Vernachlässigung des souveränen Teils des Menschen sogar bis zu einem solchen Punkt getrieben, daß seine fahrlässige Haltung eine klare Definition des Problems ermöglicht hat. Indem er es radikal verwirft, einer jeden nutzlosen Existenz zu dienen, einer menschlichen oder nicht-menschlichen, mit einem Wort, einer jeden souveränen oder heiligen Existenz, tendiert er provisorisch dazu, den Menschen zwar nicht auf den Zustand eines Tieres, aber auf den eines Mittels des Mittels zu reduzieren. So kommt es, daß der Mensch nach dem gegenwärtigen Kommunismus das Problem des Zwecks, der seinem Wesen nach nutzlos, souverän, heilig ist, in der nüchternen Form stellt, die die traditionellen Ausflüchte verbannt. Letztlich würde das provisorische Wesen, das Mittel eines Mittels, selber nutzlos werden, doch ohne sich dieser letztlichen Nutzlosigkeit bewußt zu werden, da es nicht einmal mehr weiß, was die Wörter nutzlos, souverän, heilig bedeuten; auf lebendige Weise ist dieses Wesen ohne Bewußtsein selber die Frage, auf die Nietzsche bewußt antworten mußte.

      Anstelle des Mißverhältnisses tritt am Ende die Verbindung zwischen Nietzsche und dem Kommunismus hervor. Die Aktion des Kommunismus tendiert dahin, das Problem Nietzsches weniger rar, weniger verschlossen zu machen (zumindest wenn man nicht auf Nietzsches Erbrochenes zurückkommt). Auf der anderen Seite sehen wir, daß Nietzsche im voraus auf eine Frage antworten mußte, die der Kommunismus entwickelt, indem er sich einer Antwort verweigert (denn er kann nicht antworten, ohne die Triebfedern der Aktion zu zerbrechen). In summa, es scheint vergebens, die Bedeutung Nietzsches außerhalb der Perspektiven des Kommunismus zu suchen, vergebens, die Bewegung zu verfolgen, aus der diese Perspektiven hervorgehen, ohne an ihrem Ausgang Nietzsches Erschrecken auszumachen.

      Anmerkungen

      1 Hegel entgeht dieser Dienstbarkeit, indem er sich mit der objektiven Totalität identifiziert, ist jedoch trotz der Kreisförmigkeit seiner Denkbewegung, die den Sinn einer Verschiebung auf später gewissermaßen aufhebt, in der Formulierung dieser Tonalität gefangen geblieben. Ich komme andernorts auf diese schwierige Frage zurück.

      2 K. Jaspers, Nietzsche. Einführung in das Verständnis seines Philosophierens, Berlin 1935, Kap. »Wie Nietzsche von uns verstanden wird«, S.448, 449.

      Pierre Klossowski

      Nietzsche, Polytheismus und Parodie

      Die Parodie und der Polytheismus bei Nietzsche? Man wird die Beziehung zwischen diesen beiden Begriffen auf Anhieb schwerlich erkennen und kaum sehen, welcher Vorliebe die Tatsache, daß man davon redet, wohl entsprechen mag, und das Interesse verwunderlich finden, das eine derartige Frage aufwirft. Wenn für die allermeisten der Name Nietzsche untrennbar ist von dem Spruch: Gott ist tot, so wird es, wo die Rede von Nietzsche ist, erstaunlich scheinen, wenn man von der Religion mehrerer Götter zu sprechen beginnt, während heute die Köpfe ohne Zahl sind, für die der Name Nietzsche nicht bloß nichts anderes mehr bedeutet als eben jenen Spruch, sondern für die Nietzsche nicht einmal nötig war, um zu wissen, daß alle Götter tot sind. Und vielleicht werde ich den Eindruck erwecken, mich Nietzsches zu bedienen, um das Gegenteil, die Existenz mehrerer Götter, zu beweisen, und bei der Gelegenheit, schlecht genug, den Polytheismus zu legitimieren; und, da ich mit Wörtern spiele, dürfte ich kaum dem Vorwurf entgehen, unter dem Vorwand, den Sinn der Parodie bei Nietzsche darzustellen, selbst eine Parodie auf Nietzsche zu schreiben.

      Wenn ich Anlaß zu derartiger Konfusion bieten muß, so habe ich immerhin dies bemerklich gemacht: daß nämlich, sofern man sich anschickt, das Denken eines Autors, den man zu verstehen und verständlich zu machen sucht, vor den Augen des Publikums zu interpretieren, keiner in dem Maße wie Nietzsche seinen Interpreten verleitet, ihn zu parodieren. Und nicht allein die in sein Denken verliebten Interpreten, sondern auch diejenigen, die angestrengt bemüht sind, ihn als einen gefährlichen Geist zu widerlegen; Nietzsche selber ermahnte einen seiner ersten Kommentatoren – niemand hatte bislang von ihm gesprochen –, von allem Pathos abzulassen, keinesfalls Partei für ihn zu ergreifen und bei seiner Charakterisierung eine Art von ironischem Widerstand aufzubieten.

      Es läßt sich hier also weder vermeiden, zum Opfer einer Art List zu werden, noch, in die ins Denken und in die Erfahrung Nietzsches eingelassene Falle zu gehen; und sobald man versucht, seine Rede zu erläutern – zumindest, wenn man nicht einfach die Arbeit des Historikers tut wie Andler –, läßt man ihn mehr und läßt ihn zugleich weniger sagen als er sagt; und das nicht in der Weise, wie es allgemein und für jedes Denken unvermeidlich ist, durch eine simple optische Täuschung, oder auch weil man einen bestimmten Ausgangspunkt verfehlt hatte, sondern man läßt ihn mehr sagen als er selbst sagt, indem man ihn sich selbst gleichmacht, oder weniger als er sagt, indem man ihn verwirft oder verändert, aus dem einfachen Grund, daß es, genau genommen, kaum einen Ausgangspunkt gibt und keinen wohlbestimmten Zielpunkt. Die Zeitgenossen und Freunde Nietzsches konnten eine gewisse Entwicklung von der Geburt der Tragödie zum Wanderer und sein Schatten verfolgen, und von der Fröhlichen Wissenschaft und dem Zarathustra bis zur Götzen-Dämmerung. Doch wir anderen, die über die Jugendschriften und den ganzen Nachlaß mit dem Ecce homo verfügen, konnten nicht nur die Verzweigungen seiner Nachwirkung verfolgen und erleben, daß die jüngsten historischen Wirren auf Nietzsches Konto geschrieben wurden; wir können auch noch dies feststellen – und ich denke, daß gerade dies nicht unwichtig ist –: Nietzsche, der trotz allem Philologie-Professor in Basel war und also ein Universitätslehrer mit ganz bestimmten pädagogischen Ambitionen, Nietzsche hat nicht eine Philosophie entwickelt, sondern, außerhalb des Rahmens der Universität, Variationen über ein persönliches Thema, hat das Leben eines kränkelnden Sonderlings oder eines Rekonvaleszenten geführt, eines Sommerfrischlers auf Klimastationen, in der größten intellektuellen Isolation, aufs günstigste sich selbst als seinem einzigen Hörer überlassen.

      Dieser Hochschullehrer, ausgebildet in wissenschaftlichen Disziplinen, um andere auszubilden und zu belehren, sieht sich gezwungen, das Unlehrbare zu lehren: dies Unlehrbare sind die Augenblicke, wo die Existenz den Einschränkungen durch die Begriffe von Geschichte und Moral, aus denen sich gewöhnlich ein praktisches Verhalten ergibt, entflieht und sich als auf sich selbst bezogen erweist,

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