Nietzsche aus Frankreich. Jacques Derrida

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Nietzsche aus Frankreich - Jacques  Derrida

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in ihrem Kampf mit den antivitalen Tendenzen des Bewußtseins hervorgegangen, erzeugt Denkgewohnheiten, welche die noch nicht angepaßte Tendenz des Bewußtseins als Irrtümer zu enthüllen bestrebt ist. Diese Irrtümer sind das, was das Leben ermöglicht, und später wird Nietzsche in ihnen Formen des Begreifens der Existenz anerkennen –, diese Irrtümer folgen immer derselben Spielregel: der, daß es Dinge gibt, die dauern, daß es Gegenstände gibt, Stoffe, Körper; daß eine Sache das ist, was sie scheint; daß unser Wille frei; daß was gut für mich auch gut überhaupt ist; – alterslose Überzeugungen, zu Normen geworden, an denen die logische Vernunft ihre Unterscheidung von wahr und nicht-wahr orientiert. Erst »sehr spät«, sagt Nietzsche, »trat die Wahrheit auf, als die unkräftigste Form der Erkenntnis. Es schien, daß man mit ihr nicht zu leben vermöge, unser Organismus war auf ihren Gegensatz eingerichtet; […]«. Also, bemerkt Nietzsche, liegt die Stärke der Erkenntnisse nicht in dem Grad der Wahrheit, den sie beanspruchen, sondern in ihrem Alter, im Maße ihrer Einverleibung, in ihrem Charakter als Lebensbedingung. Und Nietzsche zitiert das Beispiel der Eleaten, die die sinnlichen Wahrnehmungen in Zweifel ziehen wollten. Die Eleaten, so sagt er, glaubten an die Möglichkeit, die Antinomien der natürlichen Irrtümer zu leben. Doch um die Widersprüche zu bejahen und zu leben, bedurfte es zugleich des unpersönlichen und leidenschaftslosen Wesens des Weisen, den sie erfunden, und folglich verfielen sie der Illusion (ich zitiere immer noch Nietzsche); die Eleaten mußten, da sie von ihrer menschlichen Verfassung nicht absehen konnten, die Natur des Erkenntnissubjekts verkennen, die Gewalt der Triebe in der Erkenntnis leugnen und die Vernunft als vollkommen freies Handeln zu begreifen vermeinen. Wenn Redlichkeit und Skeptizismus – diese gefährlichen Formen des Bewußtseins – sich zu feineren Formen entwickeln konnten, so erst, als zwei widersprüchliche Behauptungen auf das Leben anwendbar schienen, weil alle beide, da wo es möglich war, über den mehr oder weniger großen Nutzen für das Leben zu streiten, zu den grundlegenden Irrtümern paßten. Und auch da konnten sie entstehen, wo neue Behauptungen, die fürs Leben nicht nützlich, aber als Ausdruck eines Gedankenspiels auch nicht schädlich waren, sondern bloß den unschuldigen und glücklichen Charakter jeden Spiels bezeugten. Von hier aus sind Erkenntnisakt und Streben nach Wahrheit insofern eines, als sie beide Bedürfnisse unter anderen Bedürfnissen sind. Nicht allein der Glaube, die Überzeugung, auch die Untersuchung, die Verneinung, das Mißtrauen, der Widerspruch stellen eine Macht dar, so daß sogar die schädlichen Instinkte der Erkenntnis in ihren Dienst gestellt wurden, um das Prestige dessen zu gewinnen, was statthaft, verehrt, nützlich und schließlich das Gesicht und die Unschuld des Guten ist. Und Nietzsche kommt so zu diesem ersten Schluß für die Situation des Philosophen:

      Der Denker: das ist jetzt das Wesen, in dem der Trieb zur Wahrheit und jene lebenerhaltenden Irrtümer ihren ersten Kampf kämpfen, nachdem auch der Trieb zur Wahrheit sich als eine lebenerhaltende Macht bewiesen hat.

      Der Trieb zur Wahrheit – trotz allem eine lebenerhaltende Macht? Aber das ist bloß eine Hypothese, eine momentane Konzession und Nietzsche schließt mit der Frage: Inwieweit verträgt die Wahrheit die Einverleibung? – das ist die Frage, das ist das Experiment, das zu machen bleibt.

      Und Nietzsche selbst macht es bis zum Letzten durch: wenn er das Beispiel der Eleaten als einen Versuch zitiert, die natürlichen Widersprüche auszutragen, diesen Versuch, der zu seinem Gelingen die unpersönliche Kälte des Philosophen erfordert, so war es seine eigene Erfahrung, die er in die Vergangenheit projizierte. Die Eleaten, sagt Nietzsche, erfanden die Gestalt des unpersönlichen und leidenschaftslosen Weisen als einen, der zugleich ein Einzelner und das Ganze war; darum erlagen sie der Illusion, denn, so erklärt Nietzsche, sie leugneten die Gewalt der Triebe im Erkenntnissubjekt. Doch wenn Nietzsche sein Urteil über die Eleaten als das Bewußtwerden ihrer illusorischen Erfahrung ausgibt, so ist es er selbst, der insgeheim Eins und das Ganze zu sein bestrebt ist, als würde er fortan das Geheimnis in einer Umkehrung des Bewußtseins ins Unbewußte und des Unbewußten ins Bewußtsein sehen; und zwar in dem Maße, daß es am Anfang wie am Ende scheinen müßte, als existierte die wahre Welt nirgend anders als im Weisen.

      Hier nun wird es nötig, zwischen gewollter und erlittener Erfahrung, zwischen Wollen und Erleiden zu trennen.

      In der Tat – wir wüßten gern, ob die von Nietzsche gemachte Erfahrung, die Ekstase der ewigen Wiederkehr, in der das Ich sich plötzlich als Eins und das Ganze, als das Eine und das Vielfältige findet, ob eine derartige Erfahrung Gegenstand eines Beweises und Ausgangspunkt für eine moralische Lehre sein könnte.

      Aber wir müssen uns hier auf die zuvor gestellte Frage beschränken: Kann der Philosoph einen Zustand erreichen, in dem er Eines und das Ganze, das Eine und das Vielfältige dadurch würde, daß er seinem Pathos zunehmend mehr Bewußtsein verleiht?

      Mit andren Worten: Wie kann er sein Pathos bewußt machen, wenn Pathos das Begreifen der zu sich selbst zurückkehrenden Existenz ist?

      Nietzsches Kommentar zu einer Formulierung Spinozas wird uns ins Zentrum dieses Problems führen; diesen Kommentar formuliert der Aphorismus 333 der Fröhlichen Wissenschaft:

      »Was heißt erkennen? – Non ridere, non lugere, neque detestari, sed intellegere! sagt Spinoza, so schlicht und erhaben, wie es seine Art ist. Indessen: was ist dies intellegere im letzten Grunde anderes als die Form, in der uns eben jene drei auf einmal fühlbar werden? Ein Resultat aus den verschiedenen und sich widerstrebenden Trieben des Verlachen-, Beklagen-, Verwünschenwollens? Bevor ein Erkennen möglich ist, muß jeder dieser Triebe erst eine einseitige Ansicht über das Ding oder Vorkommnis vorgebracht haben; hinterher entstand der Kampf dieser Einseitigkeiten und aus ihm bisweilen eine Mitte, eine Beruhigung, ein Rechtgeben nach allen drei Seiten, eine Art Gerechtigkeit und Vertrag: denn vermöge der Gerechtigkeit und des Vertrags können alle diese Triebe sich im Dasein behaupten und miteinander recht behalten. Wir, denen nur die letzten Versöhnungsszenen und Schluß-Abrechnungen dieses langen Prozesses zum Bewußtsein kommen, meinen demnach, intellegere sei etwas Versöhnliches, Gerechtes, Gutes, etwas wesentlich den Trieben Entgegengesetztes; während es nur ein gewisses Verhalten der Triebe zueinander ist. Die längsten Zeiten hindurch hat man bewußtes Denken als das Denken überhaupt betrachtet: jetzt erst dämmert uns die Wahrheit auf, daß der allergrößte Teil unseres geistigen Wirkens uns unbewußt, ungefühlt verläuft: ich meine aber, diese Triebe, die hier miteinander kämpfen, werden recht wohl verstehen, sich einander dabei fühlbar zu machen und wehe zu tun –: jene gewaltige plötzliche Erschöpfung, von der alle Denker heimgesucht werden, mag da ihren Ursprung haben (es ist die Erschöpfung auf dem Schlachtfelde). Ja vielleicht gibt es in unserm kämpfenden Innern manches verborgene Heroentum, aber gewiß nichts Göttliches, Ewig-in-sich-Ruhendes, wie Spinoza meinte. Das bewußte Denken, und namentlich das des Philosophen, ist die unkräftigste und deshalb auch die verhältnismäßig mildeste und ruhigste Art des Denkens: und so kann gerade der Philosoph am leichtesten über die Natur des Erkennens irre geführt werden

      Ich habe den Verdacht, daß Nietzsche in dieser schönen Passage seine eigene Art, zu verstehen und zu erkennen, gleichsam im Negativ dargestellt hat; ridere, lugere, detestari – verlachen, beklagen, verwünschen –, drei Weisen, die Existenz zu begreifen. Aber was ist eine Wissenschaft, die lacht, klagt und verwünscht? Eine pathetische Erkenntnis? Unser Pathos erkennt, aber wir können an seiner Erkenntnisform nie teilhaben. Für Nietzsche entspricht jeder geistige Akt nur einer Änderung der Stimmungslage; dem Pathos aber einen absoluten Wert zuzusprechen, würde die Unparteilichkeit des Erkennens zerstören, während man doch vom erreichten Grad der Unparteilichkeit aus die Unparteilichkeit selber in Frage gestellt hat. Welche Undankbarkeit gegenüber dem Erkennen liegt nicht darin, es zu verleugnen, sobald es uns zu verstehen gegeben hat, daß wir nicht erkennen können. Undankbarkeit, aus der eine neue Unparteilichkeit entsteht; aber eine, die in der absoluten Parteilichkeit liegt. Denn wenn die logischen Schlüsse nichts anderes sind als der Kampf der Triebe gegeneinander, der nur im Unrecht endet, so müßte ein Streben nach mehr als Parteilichkeit sich auf die höchste Gerechtigkeit berufen können.

      Wenn

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