Horak am Ende der Welt. Jan Kossdorff

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Horak am Ende der Welt - Jan Kossdorff

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dass die meisten Zuhörer nachvollziehen können, weshalb dich das Tagebuch eines steirischen Klosterbruders aus den Achtzigerjahren so fasziniert hat.«

      »Es ist ein ganz besonderer Fund gewesen! Und er war eine schillernde Person …«

      »Weil er Motorrad gefahren ist und heimlich Beziehungen mit Frauen hatte …«

      »Und weil sein Gottesbild so spannend war, so …«

      »… komplizenhaft, ja.«

      »Genau!«

      »Ich würde dennoch überlegen, einfach direkt in die Lesung einzusteigen.«

      »Die ganze Geschichte, wie ich zu dem Tagebuch gekommen bin, und die Interviews …«

      »Vielleicht kürzer, hm?«

      Und damit war das Gespräch für Maja beendet. Ein »hm« am Ende des Satzes bedeutete: Wenn du es bis jetzt nicht kapiert hast, ist dir nicht zu helfen.

      Maja stieg über meine Beine und verschwand in Richtung Toilette. Ich grübelte eine Weile über ihre Argumente nach, dann beschloss ich, die Einleitung zu streichen. Probeweise.

      Es war früher Nachmittag, als wir in Heidenholz aus dem Zug stiegen. Uns empfing ländliche Stille, die Sonne stand hoch am Himmel, der Wind wehte ein paar Pfauenaugen über den Bahnsteig. Ich trug ein Sommerjackett über einem weit offenen Hemd und den Strohhut, den Maja mir am Wolfgangsee gekauft hatte, sie ein Sommerkleid mit Blümchenmuster, ein weißes Kopftuch und große, falsche Prada-Brillen.

      Der Bahnsteig der Schmalspurbahn mit seinen grünen Laternen und alten Holzbänken schien seit meiner Kindheit unverändert zu sein. Ich hörte einen Traktor in der Ferne, das Brummen der Hummeln, das Läuten des Bahnschrankens am Ortsende. Ich deutete auf den Ort, der von Wald eingebettet unter uns lag, die Wasserburg und die Heide mit den aufblitzenden Seen im Hintergrund der Stadt.

      »Heidenholz«, sagte ich.

      Maja nahm ihre Brille ab, drehte sich zu mir und strich mir mit einer Hand theatralisch über die Wange.

      »Dieser Ort wird sehr gut zu uns sein.«

      Sie küsste mich, dann kreischte sie: »Mich hat was gestochen!«, griff nach ihrem Knie und hüpfte auf einem Bein über den Bahnsteig.

      »Pferdebremsen …«, sagte ich.

      »Pferdebremsen?«, echote Maja und schien es nicht fassen zu können, dass solche Wesen existierten.

      Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, wanderten wir, unsere Trolleys hinter uns herziehend, die Straße vom Bahnhof in weit geschwungenen Serpentinen einen Hügel hinab in Richtung Stadt. Ich wies Maja auf die leer stehenden Gebäude am Rand der Straße hin.

      »Früher waren hier überall Betriebe. Heidenholz war einmal eine lebendige Stadt, mit Industrie und vielen Arbeitsplätzen. Es gab Tanzbuden, Jahrmärkte, hier war was los …«

      »Tanzbuden?«, fragte Maja.

      »Ja. Unterhaltungslokale.«

      »Pardauz, hier gab es Unterhaltungslokale! Da hat sicher mancher Schwerenöter seinen Sparstrumpf geschröpft, um in den besten Gamaschen seine Mamsell zu treffen!«

      »Ich rede von den Fünfzigerjahren, von dem, was mir meine Großeltern erzählt haben. Man sprach damals von Tanzbuden

      Maja stach mir mit einem Finger in die Brust, dann sagte sie ernst: »Jakob, bring deine Sprache mal ins einundzwanzigste Jahrhundert.« Sie griff wieder nach ihrem Koffer und ging flotten Schrittes voraus Richtung Stadt.

      Ich rief ihr hinterher: »Meinst du jetzt meine Alltagssprache? Oder …«

      Ohne sich umzudrehen sagte sie: »Vielleicht lag’s diesmal ja am Mönch.«

      Ich rief: »Diesmal?!«

      Sie reagierte nicht, und wir marschierten weiter Richtung Stadt. Auf der linken Seite tauchte nach einiger Zeit die Wasserburg mit der mächtigen Zugbrücke auf. Beim Eingang zum Burggrund befand sich direkt ans Gemäuer angeschmiegt ein hölzernes Kaffeehäuschen, das mit seinen roten Sonnenschirmen mit dem Logo der Eisfirma und den alten Klappstühlen auf der Holzterrasse noch genauso aussah wie früher. Auf der rechten Seite begann das Ortszentrum mit der barocken Kirche, den gepflegten zweistöckigen Häusern in rosa, gelb oder hellblau, dem Brunnen und den mit Blumenkisten geschmückten Gässchen. Familien gingen spazieren, ein paar Radfahrer kamen vorbei – so sah er aus, der sanfte Tourismus. Ich starrte dem Verlauf der Bundesstraße nach, die sich am Ortskern vorbei nach Westen wandte und nach etwa zweihundert Metern in den Wald führte.

      »Es ist weg«, sagte ich.

      »Was?«

      »Das Haus meiner Großeltern. Es ist weg!«

      Ich ging die Straße hinunter, immer noch den Trolley hinter mir herziehend, vorbei an drei alten, baufälligen Häusern, bis ich vor einem von Bäumen beschatteten Grundstück stand, auf dem jemand unter einer Plane Baumaterial gestapelt hatte.

      »Hier war es. Hier war es!«

      »Oh, da ist ja gar nix mehr«, sagte Maja, bevor sie sich nach links und rechts an mir vorbeibog, ob sie nicht vielleicht doch noch irgendwo ein Stück Haus entdecken konnte.

      »Hier war das Haus. Und hier …« – ich deutete auf das ebenso leere Nachbargrundstück – »… hier war das Haus der Nachbarin, der Frau Hohenecker.« Ich drehte mich um und sah über die Straße. Auf dem Grund gegenüber war ein kleiner Garten mit einem Geräteschuppen und Hochbeeten. »Dort drüben war das Gehege für die Hühner. Dort liefen sie herum. Rechts war ein kleiner Verschlag, links das Plumpsklo. Wir mussten jedes Mal über die Straße gehen und an den Hühnern vorbei, wenn wir aufs Klo wollten.«

      Maja verzog den Mund, als wäre sie dafür nicht zu haben gewesen.

      Ich wandte mich wieder dem Grund zu, auf dem das Haus meiner Großeltern gestanden hatte. »Hier war das Vorhaus, links die Küche, dann die Stube, rechts das Gästezimmer, in dem mein Bruder und ich geschlafen haben. Und hier, hier war die Selchkammer. Ein dunkles, stinkendes Schränkchen.« Ich sah den Schlund der Kammer vor mir, konnte ihre rußige Ausdünstung riechen. »Und hier, hinterm Haus, verlief ein kleiner Bach. Wieso ist sogar der Bach weg? Mein Bruder und ich haben uns hineingestellt und gewettet, wer weiter pinkeln konnte. Natürlich nur, wenn meine Oma nicht da war. Sie ist Lehrerin gewesen, sie hat uns den Sommer über immer diktiert, und wenn wir einen Satz nicht richtig schreiben konnten, hat sie ihn sich auf einem Streifen Papier notiert und in ihre Schürze gesteckt und ihn uns am nächsten Tag wieder diktiert, so lange, bis wir ihn konnten. Mein Opa war ein hoher Beamter in der niederösterreichischen Landesregierung. Unsere Oma hat uns erzählt, dass er als Kind vom Kindermädchen fallen gelassen worden war, deswegen hatte er einen krummen Rücken. Er verschränkte immer die Hände hinter dem Rücken, so hielt er sich aufrecht.«

      Maja setzte sich auf ihren Koffer, stützte ihr Kinn mit den Händen ab und sah mich belustigt an.

      »Meine Oma war keine so überragende Köchin: Das Kartoffelpüree hatte ganz glasige Augen, uns hat es geekelt. Wir haben jeder einen Schilling bekommen, wenn wir aufgegessen haben, also haben wir es halt runtergeschluckt.« Ich sah wieder hinaus in Richtung Straße, auf der nur selten mal ein Auto vorbeikam. »Die Straße

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