Horak am Ende der Welt. Jan Kossdorff

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Horak am Ende der Welt - Jan Kossdorff

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ich: Wie seltsam, ich kann gar nicht mehr zu Maja, Franziska und David zurückgehen, diese Frau hat mich einfach entführt und dann hier geparkt, und jetzt warte ich auf meinen Auftritt wie ein Gladiator oder ein Kandidat bei Sing my Song.

      Ich hörte, wie sich draußen der Saal füllte. Sessel wurden gerückt, Menschen unterhielten sich, ein Ruf: »Wir sitzen hier, Claudia, ich hab reserviert!«

      Ich dachte daran, was sie wohl miteinander flüsterten: »Muss man den kennen? Hat der das mit dem senilen Vater geschrieben? Ich lese ja lieber Krimis.«

      Plötzlich überkam mich ein Gefühl von Panik, ich könnte vielleicht das Leseexemplar meines Buchs vergessen haben, und begann in meiner Tasche zu kramen. Nein, da war es. Darin auch der Zettel mit den Stichwörtern zu meiner Einleitung. Sollte ich sie nun bringen? Warum hatte sich Maja nicht festgelegt? Wie konnte ich auf diese Weise vernünftige Entscheidungen treffen?

      Ich griff nach dem Garfield-Buch. Ich las eine Bildgeschichte und verstand sie nicht. War das möglich? Ich verstand Garfield nicht. Wie sollte ich vor dem Komitee lesen, wenn ich nicht mal Garfield begriff.

      Ich trank noch ein Glas Wein.

      Ich überlegte, wer wohl noch im Publikum saß. Vielleicht war Marianne da. Marianne, meine »Landliebe«, wie der Pudding.

      Was wohl aus ihr geworden war? Sie war hübsch damals und viel cooler als ich. Das erste Mal mit ihr zu schlafen waren die aufregendsten fünf Sekunden meines Lebens. Für die Präservative war ich fünfundzwanzig Kilometer mit dem Fahrrad zur Esso-Tankstelle nach Waidhofen gefahren. Auf dem Rückweg trug ich bereits eines, um mich an das Gefühl zu gewöhnen. Nach dem Sommer, wieder in Wien, schrieb ich ihr Briefe. Ich bettelte um ein Foto, je nackter, desto besser, stattdessen schickte sie mir ein Bild von Resi: »Das Kalb ist da!«

      Draußen wurde es langsam ruhiger, die Leute hatten ihre Plätze gefunden.

      Wieder dachte ich daran, wer aller im Publikum saß, und in Gedanken ging ich fiebrig den Text durch und überlegte, welche Stellen für wen unangenehm sein könnten. Ich erkannte, dass die Lesung für fast jede Gruppe – Frauen, Alte, Katholiken – Anstößiges bereithielt und ich etwas völlig anderes lesen musste, vielleicht etwas aus meinem dritten Roman, der so abgehoben war, dass sich niemand darin wiedererkennen und angegriffen fühlen konnte. Ich würde einen Ausweg aus diesem Raum finden müssen, außen ums Rathaus herumlaufen und heimlich vom Büchertisch ein Exemplar nehmen …

      Draußen die Stimme der Bibliothekarin, dann Applaus. Karin, dachte ich mir, in Bibliothekarin steckte der Name »Karin«. Hieß sie so? Wie absurd das wäre …

      Die Tür öffnete sich ein Stück, ein junger Mann steckte seinen Kopf herein und sagte: »Herr Horak, Ihr Auftritt.«

      Gut, Jakob, sagte ich im Geiste zu mir selbst, du hast es hunderte Male gemacht, es ist einfach wie Geometrie, erste Klasse, also los.

      Ich kippte das halb volle Glas Wein hinunter, griff nach meinem Buch, kontrollierte mein Hosentürl, rückte meine Brille zurecht und ging durch das Rechteck in der Wand auf das Rechteck im Saal hinaus, setzte mich unter Applaus an das Rechteck mit Beinen und legte das Rechteck, aus dem ich lesen würde, vor mich hin.

      2

      Eine Lesung ist nur in der Planung ein lineares, eindimensionales Ereignis. Sobald sie stattgefunden hat, existieren eine Vielzahl von Lesungen gleichzeitig.

      Als ich die Bühne unter großem Applaus verließ und mich unter das Publikum mischte, war ich sicher, gut abgeliefert zu haben. Die Blicke der Leute waren freundlich, fast bewundernd. Meine Erleichterung war groß, und ich strahlte jeden einzelnen Gast mit breitem Lächeln an. Dann tauchte Maja an meiner Seite auf, doch ihr Gesicht drückte keine Verehrung aus.

      »Andere Einleitung, hm?«, sagte sie.

      »Ja, ein bisschen auf den Ort eingegangen.«

      »Die Grenze als frühkindliche Erfahrung wird zu einem kontinuierlichen Motiv deiner Arbeit?«

      »Ist mir vorher erst bewusst geworden …«

      »Die Grenze zum Kitsch vielleicht …«

      »Es ist gut angekommen!«

      »Und wie du alles neu zusammensetzt: Der Klosterbruder wird zum Grenzübertreter, das Motorrad sein Fluchtfahrzeug.«

      »Wenn sich die Kritiker schon nicht die Mühe machen, meine Arbeit zu interpretieren, muss ich eben selbst … Und die Lesung?

      »Hast die bissigen Stellen ausgelassen, wolltest keinem wehtun, gell?«

      »Ich hatte die Alten vom Komitee vor der Nase, muss ja keiner einen Herzkasper kriegen wegen mir.«

      Als Bibliothe-Karin an meiner anderen Seite auftauchte, flötete Maja: »Ganz toll, Herr Horak, später dürfen Sie meine Zimmerkarte signieren«, und lächelte mir falsch-verführerisch zu, bevor sie sich in den Strom der Leute Richtung Ausgang einreihte.

      Ich wandte mich an die Organisatorin meiner Lesung: »Waren Sie zufrieden?«

      »Es war gut! Vor allem die einleitenden Worte: Der Bezug zu Heidenholz hat unser Publikum natürlich besonders in die Lesung hineingezogen. Ach ja, das Haus Ihrer Großmutter steht übrigens noch, Sie waren in der falschen Straße.«

      »Wie bitte?«

      »Ja, ja, zuerst kommt die Straße zum alten Sägewerk, dann erst die Straße zur Grenze. Eine zu früh abgebogen!«

      »Oh, mein Gott.«

      »Sie hätten übrigens ruhig etwas länger lesen dürfen. Haben Sie die Szenen gekürzt?«

      »Minimalst. Ich lese immer lieber kürzer, bevor …«

      Das Gesicht von Simon, Franziskas Freund, tauchte plötzlich vor mir auf.

      »Die Lesung war ein Knaller! Dieser virile Mönch, köstlich, von dem möchte man mehr hören.«

      »Nun ja, das Tagebuch umfasst nur ein Jahr.«

      »Das beruht auf einem Tagebuch? Das hättest du in der Einleitung sagen sollen!«

      »Denkst du wirklich …?«

      Ich warf Maja, die mich vom Ende des Raums aus ansah, einen bösen Blick zu.

      Bibliothe-Karin mischte sich noch mal ein: »Herr Horak, würden Sie jetzt vielleicht signieren gehen, die Leute stehen bereits an.«

      »Haben Sie …?«

      »Kugelschreiber liegen auf dem Tisch.«

      Auf dem Weg zum anderen Ende des Saals kam ich an Franziska vorbei, die sich in die Schlange der Wartenden vor dem Signiertisch eingereiht hatte.

      »Ich kann dir später signieren«, sagte ich im Vorübergehen, »wir werden doch noch etwas trinken gehen, oder?«

      »Aber ich muss das Buch ja erst kaufen.«

      »Ich bring dir eines mit!«

      »Ehrlich gesagt hätte ich lieber

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