Rizin. Lothar Beutin

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Rizin - Lothar Beutin

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mit Chipkarte zu öffnen war. Das Licht an der kleinen Box wechselte von Rot nach Grün, als Schneider seine Karte davor hielt. Die Tür öffnete sich geräuschlos. Dahinter verliefen zwei dämmrige Flure strahlenförmig voneinander ab, um im rückwärtigen Teil des Gebäudes, dessen Grundriss wie ein Dreieck aufgebaut war, auf die Seiten eines dritten Flurs zu treffen. Von diesem Flur aus gelangte man in die Labore und das Büro von Schneider. Alle Wege lagen im Halbdunkel, nur spärlich erleuchtet von dem Licht, das die kleinen grünen Kästen, die die Fluchtwege anzeigten, aussandten.

      Schneider hätte die Flurbeleuchtung einschalten können, aber ein besorgtes Gefühl, das sich nach dem Anruf von Tanja eingestellt hatte, hielt ihn davon ab. Er wollte seine Ankunft nicht durch deutliche Signale ankündigen. Außerdem entschied er sich, über den rechten Flur zu gehen. Eigentlich war das ein Umweg, wenn man direkt zu seinem Labor wollte. Aus der geöffneten Tür des im Innentrakt gelegenen Zentrallabors kamen brummende Maschinengeräusche. Dort standen die Ultrazentrifugen. Schneider schaute vom Flur aus in den dunklen Raum und konnte die Positionen der wuchtigen Zentrifugen an den kleinen Lämpchen, die auf ihren Konsolen in verschiedenen Farben leuchteten, schemenhaft erkennen. Ein Gerät lief pfeifend auf hohen Touren, ein auf Dauer schwer erträglicher Ton, deshalb machte man solche Zentrifugenläufe gerne nachts, wenn kaum jemand da war.

      Schneider lief den Flur weiter entlang und horchte in die Dunkelheit. Manchmal hörte er ein Knacken, ein Kühlschrank sprang an, ein Ventilator sirrte, immer gab es in diesem Bau Geräusche. Als Schneider weiterging, glaubte er für einen Moment Schritte zu hören, er blieb stehen und horchte, aber da war nichts. Er gelangte bis an die Einmündung des Korridors, in dem seine Labore lagen, und schaute vorsichtig um die Ecke. Niemand war zu sehen und doch blieb er angespannt mit dem Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Weiter hinten konnte er auf dem Boden etwas schemenhaft erkennen. Als er näherkam, sah er dort einen zerbrochenen Glaskolben liegen. Flüssigkeit war ausgelaufen und bedeckte die Stelle, an der Glassplitter auf dem Boden zerstreut waren.

      Das musste nach sieben Uhr passiert sein, dachte Schneider, sonst hätte die Putzkolonne es noch beseitigt. Vorsichtig ging er die paar Schritte bis zur Tür des ersten Labors. Er horchte an der Tür, aber er hörte nichts. Als er sie aufschloss, lag das Labor friedlich im Halbdunkel, nur vom Licht der Straße erleuchtet. Schneider ging weiter zur Tür des benachbarten Labors; dort, wo er und Tanja gewöhnlich arbeiteten. Von diesem Labor gelangte man auch in sein Büro. Nachdem er den Schlüssel in das Schloss gesteckt hatte, ließ dieser sich unerwartet nicht drehen. Schneider erschrak. Jemand hatte das Schloss manipuliert.

      Leo Schneider erinnerte sich an seinen letzten Besucher. Herr Dr. Baloda, der so plötzlich verschwunden war, nachdem er ihm vor drei Tagen im Institut seinen Besuch abgestattet hatte. Er versuchte noch einmal, den Schlüssel herumzudrehen. Als er dabei mit seiner linken Hand auf die Türklinke griff und sie hinunter drückte, flog die Tür plötzlich auf. Sie war nicht abgeschlossen gewesen! In dem Moment, als Schneider seine Hand zum Lichtschalter ausstreckte, hörte er ein Geräusch. Er verspürte noch einen Schlag auf den Kopf, der so heftig war, dass er gleich zu Boden ging.

      Für einige Zeit hatte Schneider das Bewusstsein verloren. Es musste wohl so gewesen sein, sagten die Feuerwehrleute seiner Frau Louisa, nachdem sie ihn in die Erste Hilfe des nahe gelegenen Universitätsklinikums transportiert hatten. Verdacht auf Schädelverletzung. Louisa Schneider hatte die Pforte des Instituts gegen dreiundzwanzig Uhr angerufen, weil ihr Mann nicht an sein Handy ging. Der Nachtwächter hatte im Gebäude nach ihm gesucht und nachdem er Schneider bewusstlos auf dem Flurboden liegen sah, die Feuerwehr und Polizei alarmiert. Nicht weit von Schneider lagen ein paar Glasscherben. Sein Handy sei nicht auffindbar, teilte die Polizei mit. Man wäre mit der Spurensicherung befasst. Offenbar hatte ja ein Überfall stattgefunden.

      Schneider war für die nächsten vierundzwanzig Stunden nicht ansprechbar. Er lag in einem Dämmerzustand auf der neurologischen Station des Universitätsklinikums, nur einen Häuserblock vom Institut entfernt. In kurzen lichten Momenten stellte er sich Fragen. Wer hatte ihn niedergeschlagen? Was war mit Tanja geschehen? Er war zu weit gegangen, hatte zu lange abgewartet und hätte Tanja nicht so tief in die Sache hineinziehen dürfen. Der zerbrochene Kolben im Flur. Tanjas Anruf! Jemand hatte die Rizinproben gesucht und Schneider konnte nicht einmal darüber reden. Zwischen Traum- und Wachzuständen liefen die Ereignisse der vergangenen Monate im Kopf von Schneider ab. Wie ein unscharfer Film, der manchmal riss und an den unmöglichsten Stellen wieder neu begann.

      1.

      Schon eine Weile, bevor Leo Schneider zu einem dringenden Termin bei Professor Krantz, dem Direktor des IEI, gebeten wurde, hatte sich abgezeichnet, dass dem Institut einschneidende Veränderungen bevorstanden. IEI, das war das Berliner Institut für Epidemiologie und Infektionsforschung und Schneider war dort als Leiter einer bakteriologischen Forschungsgruppe angestellt. Schneider war Mitte vierzig und hatte fast zwanzig Jahre an verschiedenen Instituten in der bakteriologischen Forschung gearbeitet. Er pflegte einen familiären Umgang mit seinen Leuten, den er als Management by love bezeichnete. Leo Schneiders Arbeitsalltag verlief über die Jahre weitgehend ungestört, das sollte sich jedoch ändern, als Herbert Krantz zum Direktor des IEI ernannt wurde. An diesem Tag begann für das IEI eine neue Zeit, deren Morgenröte sich am 11. September 2001 im Schein der brennenden Twin Towers in Manhattan abzeichnete.

      Leonhard Schneider war ein neugieriger Wissenschaftler, er arbeitete am besten aus Eigenmotivation, war aber kein Workaholic. Wie viele seiner Zunft quälte er sich mit der Vorstellung, zu wenige Ergebnisse zu produzieren, selbst wenn das nicht der Fall war. Viele entwickelten diesen Komplex während ihrer Ausbildung, da waren sie noch formbar und hatten wenig Selbstbewusstsein. Nach der Promotion hielten nur diejenigen weiter durch, die sich im Zwang des ewigen nie genug, zu Arbeit und Erfolg antrieben. Nachdem Schneider seine Doktorarbeit abgeschlossen hatte, musste er sich eine neue Position suchen und machte die übliche Tingeltour eines mit Zeitverträgen beschäftigten Wissenschaftlers. Zuerst noch ein paar Monate Verlängerung und dann für zwei Jahre als Postdoc in Paris.

      In Paris hatte Leo Schneider seine Frau Louisa kennengelernt. Durch Zufall, wenn man es so nennen mag. Sie waren sich an der Metrostation Porte de la Chapelle begegnet. Er kannte die Stadt kaum, fragte sie nach dem Weg, und als sie sah, wie Schneider in die falsche Richtung lief, hatte sie ihn ein Stück begleitet. Louisa studierte Medizin und wurde neugierig, als sie hörte, dass Schneider an Infektionserregern arbeitete. Schließlich gingen sie in ein Café, um ihr Gespräch fortzusetzen. Schon bei dieser ersten Begegnung hatten beide das Gefühl, als wären sie miteinander vertraut. Verwandte Seelen erkennen sich schnell. Beide wollten sich wiedersehen. Nach ein paar Monaten zogen sie zusammen in eine kleine Dachwohnung in der Rue St. Vincent de Paul. Ihre Tochter Elsa kam noch in Paris zur Welt, kurz bevor Leos Vertrag am Institut Pasteur endgültig auslief. Die Familie zog nach Berlin, Leo hatte dort einen Anschlussvertrag an der Universität. Wieder und wieder arbeitete er mit befristeten Verträgen in neuen Instituten, bis er durch glückliche Umstände mit neununddreißig Jahren eine Festanstellung am IEI bekam.

      Das alles lag jetzt ein paar Jahre zurück. Schneider hatte gelernt, dass der Wissenschaftsbetrieb überall ähnlich lief. Die langen Jahre mit den kurzen Arbeitsverträgen, einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit und der immer wiederkehrenden Aussicht auf eine ungewisse Zukunft hatten seinen Durchhaltewillen gestärkt. Durch den häufigen Institutswechsel war er Hierarchien gegenüber gleichgültig geworden. Vielleicht hatte er es deswegen versäumt, sich ein Netz von Beziehungen aufzubauen, nachdem er im IEI fest angestellt war. Das Gespräch mit seinen Vorgesetzten suchte er nur, wenn es sich nicht umgehen ließ. Es interessierte ihn auch nicht besonders, wer mit wem am Institut eine Affäre hatte. Während er im Labor stand, hatten andere ihre Zeit mit Schreiben von Anträgen, Beschwerden oder Forderungen verbracht, hatten in den Vorzimmern einflussreicher Personen geduldig gewartet, traten in Parteien und Organisationen ein und zogen auf der Karriereleiter an Schneider vorbei, auch wenn sie sonst nichts zustande gebracht hatten.

      So war

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