Rizin. Lothar Beutin

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kommen und gehen sehen, seine eigentliche Arbeit blieb davon im Grunde unberührt. Aber das hatte sich nun geändert. Die Atmosphäre am IEI kühlte ab und selbst Schneider in seinem Labortreibhaus musste merken, dass es nicht mehr so weitergehen würde, wie bisher.

      Der Vorgänger von Krantz war ein Verwaltungsjurist, den man nur als eine Zwischenlösung betrachtete. Man hoffte, ihn bald durch einen hochkarätigen Vertreter der Forscherzunft ablösen zu können. Eine solche Koryphäe wurde in der Person des Mediziners Professor Herbert Krantz, gefunden. Krantz vermittelte seiner Umgebung den Eindruck, zu den Großen in der AIDS-Forschung zu gehören. Seine Bewunderung für den als skrupellos geltenden Amerikaner Gallo, von dem man sagte, er hätte seinen französischen Kollegen Montagnier um die Entdeckung des AIDS Virus geprellt, machten ihn nicht zu einem Sympathieträger. Aber darum ging es Krantz auch nicht. Als Direktor hätte er sich um Ausgleich zwischen den verschiedenen Abteilungen im IEI bemühen müssen. Aber Krantz war Partei. Nur der Virologie galt seine ganze Unterstützung. Die dafür benötigten Mittel und das Personal zog er aus den anderen Bereichen ab. Arbeitsgruppen, die nicht in seine Vorstellungen passten, löste er komplett auf. Damit kam er auch dem nie endenden Ruf nach Reformen entgegen. Wer fragte schon danach, ob diese sinnvoll waren? Parallel dazu gestaltete er sich ein Institut nach seinem Maß. Dazu transferierte er ganze Arbeitsgruppen aus seiner alten Wirkungsstätte in das IEI. Diese neuen Gruppen bezeichnete er auf Betriebsversammlungen als sein Tafelsilber und erweckte damit bei allen anderen im Institut den Eindruck, als würden sie zum Wegwerfbesteck gehören.

      Bei seinem Dienstantritt versprach der neue Direktor Krantz Bürokratieabbau und flache Hierarchien. Das klang nach Revolution und es stimmte auch. Denn bald danach gab es nur noch zwei Hierarchien, den Direktor und den Rest des Instituts. Bürokratieabbau bedeute für ihn, dass seine Anweisungen ohne Wenn und Aber vollzogen werden mussten.

      Zu Terminen kam Krantz gewöhnlich etwa fünfzehn Minuten zu spät. So vermittelte er den Eindruck, ein viel beschäftigter Mann zu sein. Nach einer Viertelstunde tauchte er in dem mit Milchglaswänden abgeteilten Wartezimmer auf und murmelte etwas von dringenden Meetings, während er seinen Besuch in die edel eingerichtete Bürosuite führte. Große finanzielle Aufwendungen konnten dort besichtigt werden. Aus den ehemaligen Laborräumen hatte Krantz Wände und Decke herausreißen und alles neu gestalten lassen. Die Beleuchtung, die sich dem Tageslicht automatisch anpasste, die schweren, gepanzerten Türen, die sich leicht und lautlos wie auf Kufen bewegten und das teure, steril wirkende Mobiliar hinterließen einen bleibenden Eindruck. Für die unterkühlte Atmosphäre sorgte eine eigene Klimaanlage, die Krantz sich auf das Dach des Institutes hatte montieren lassen.

      Seine Personalentscheidungen verliefen nach einem genauen Ritus. Er bat die Betroffenen eine Woche vorher zum Gespräch, ohne dass sie erfuhren, worum es ging. Für viele waren es Tage des bangen Wartens, denn Krantz war für Überraschungen gefürchtet. Bei Umsetzungsmaßnahmen nahm sein Leitungsstab teil, Personalchefin Kanter und Vizedirektor Arnold.

      Frau Kanter erschien gewöhnlich erst weit nach neun Uhr im Institut und blockierte mit ihrem knallgelben Auto die Parkplätze von Mitarbeitern, die vor ihr gekommen waren. Um sein Auto auszulösen, musste man Frau Kanter anrufen und sich die Frage gefallen lassen, warum man schon so früh nach Hause ging. Vizedirektor Arnold war ein ebenso dümmlicher wie bösartiger Charakter. In seinem Gehabe erinnerte er an die Figur des Untertanen aus dem gleichnamigen Buch von Heinrich Mann. Arnold war ein Radfahrertyp, der nach oben buckelte und nach unten trat. Krantz hielt sich gewöhnlich zurück, er zog im Hintergrund die Fäden und ließ Kanter und Arnold agieren. Als Bürotäter machte er sich die Finger nicht schmutzig.

      Bald war die Reihe an Schneider, bei einem dieser Dramen mitzuspielen. Nach den üblichen fünfzehn Minuten holte Krantz ihn in sein Büro, um sich bei Tee und Gebäck über personelle Überkapazitäten in Schneiders Bereich auszulassen. Die Personalchefin blätterte dabei desinteressiert in einem Aktenordner, während der Vize Arnold sich hektisch Notizen machte. Frau Daniela Schulz aus Schneiders Gruppe wurde für andere Tätigkeiten im IEI benötigt. Schneiders Einwände kommentierte Krantz mit der Bemerkung: „Sie können wohl nicht richtig kommunizieren.“ Schneider verstand das nicht. Kommunizieren, das wollte er doch. Und dem Direktor erklären, dass er Frau Schulz dringend brauchte. Ob Krantz das nicht verstehen würde. Krantz gefiel die Aufgeregtheit von Schneider nicht. Schneider sei viel zu emotional. Den Rest der Sitzung überließ er Kanter und Arnold. Als Daniela Schulz kurz danach in eine andere Arbeitsgruppe wechseln musste, hatte Schneider begriffen, dass es um seine berufliche Existenz ging.

      Im Gegensatz zu den eher lässig angezogenen Wissenschaftlern am IEI war Krantz stets konservativ gekleidet, er bevorzugte den dunkelgrauen Maßanzug. Seine hohe Stirn und das seitlich heruntergekämmte, weißgraue Haar gaben ihm das Image eines Denkers. Seine Mundpartie, die von einem dünnen Schnurrbart überspannt wurde, verriet mehr von seinem wahren Charakter und verzog sich bisweilen zu einem zynischen Grinsen.

      Typischerweise sprach Krantz mit leiser Stimme, ein rhetorischer Trick, den er bewusst einsetzte. So erzwang er andächtiges Zuhören. Man fürchtete, seine bedeutungsschweren Mitteilungen sonst nicht richtig zu verstehen. Den Personalrat hatte er in der Tasche, die alten Mitarbeiter hatten sich angepasst oder waren gegangen. Die neu Eingestellten wussten nicht, dass es vor Krantz kollegialere Umgangsformen am IEI gegeben hatte. Binnen weniger Monate hatte sich das IEI in ein gefügiges Instrument in den Händen seines Direktors verwandelt.

      Die Unterwerfung des IEI unter seine Interessen war kein Selbstzweck, sie diente Krantz auf seinem Weg zu einer Person des öffentlichen Lebens. Seine Eitelkeit fixierte ihn wie ein Spiegelbild auf seine öffentliche Wirkung. Dabei kam ihm zugute, dass ein Institut für Infektionskrankheiten im Fokus der Medien stand. Kontakte zwischen Institutsangehörigen und Journalisten bedurften seiner persönlichen Genehmigung. Interviews gab er gerne selbst, am Telefon, da fiel es nicht auf, wenn er fachlich nicht Bescheid wusste. Hatte er doch seine wissenschaftlichen Souffleure neben sich sitzen, die ihm in den Gesprächspausen die notwendigen Stichworte ins Ohr flüsterten. So vermittelte er der Öffentlichkeit ein „Professor Allwissend“, ein modernes Universalgenie zu sein, das auf jede Frage zu Infektionskrankheiten die passende Antwort bereithatte.

      Nachdem er auf diese Weise schnell zu einem landesweit bekannten Experten geworden war, ging er noch einen Schritt weiter. Nun vermittelte er seine Botschaft im Fernsehen, verpackt in Form von düsteren Zukunftsprognosen. Neue Seuchen bedrohten das Land, Massenimpfungen seien erforderlich, aber Impfstoff, Geld und gute Forscher wären Mangelware. Nur er und sein Institut könnten das Land vor dem Untergang bewahren. Szenarien mit toten Vögeln und der Entstehung neuer Todesviren, mit Seuchenzügen als Folgen von Tsunami und Wirbelstürmen wurden durch seine Reden schon Gewissheit. Ob sie jemals einträfen, war zweitrangig. Sein Bekanntheitsgrad stieg, sein Nimbus als wissenschaftliche Überkapazität wuchs zu einer festen Größe des politischen Lebens. So setzte er die Politik unter Zugzwang, spekulierte auf Zufluss von Geld und Personal und vermehrte sein Prestige.

      2.

      Ein paar Wochen, bevor überraschend alle Laborleiter des IEI zu einer Sitzung bei Krantz einbestellt wurden, waren in den USA Dinge passiert, die das Szenario eines Hollywoodfilms in den Schatten stellten. Nur wenige Tage nach den Anschlägen des 11. September erhielten amerikanische Politiker Briefe, die außer einer banalen Botschaft weißen Staub enthielten, der den Empfängern um die Nase wehte. Ein paar Tage danach entwickelten sie Anzeichen einer Grippe, bekamen Fieber und Schüttelfrost, um bald darauf im Schockzustand zu sterben.

      Die Ursache dafür war schnell gefunden. Es war Milzbrand, eine Krankheit, die vor hundert Jahren bei Pelzverarbeitern eine Rolle spielte, heutzutage aber so gut wie verschwunden war. Proben aus den Wohnungen der Briefopfer identifizierten den weißen Staub als Sporen des Milzbrandbakteriums Bacillus anthracis. Anthrax hieß diese Seuche wegen der anthrazitschwarzen Hautgeschwüre, die sich bei den Infizierten bildeten. Ohne antibiotische Behandlung verlief Anthrax meistens tödlich. Einige der Briefempfänger starben,

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