Rizin. Lothar Beutin

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als bescheiden. Nachdem er für Hellman keine Konkurrenz mehr darstellte, schien Leo Schneider aus der Schusslinie geraten zu sein. Man ließ ihn in Ruhe weiter an seinen alten Projekten arbeiten.

      In dieser Zeit gab es neue Informationen zu den echten Anthraxbriefen, die in den USA kursiert hatten. Mit Sicherheit stammten die Sporen aus einem Profilabor. Dafür sprachen die genetischen Eigenschaften der Bazillen und die Aufbereitung des Sporenpulvers. Immerhin, die Sache hatte dazu gedient, dass man nun willens war, den Schurkenstaaten im Nahen, Mittleren und Fernen Osten militärisch das Handwerk zu legen. Nachdem ein Mitarbeiter des Anthraxlabors aus Fort Detrick tot aufgefunden worden war - es sah wie Selbstmord aus - endete der Briefspuk so plötzlich, wie er angefangen hatte. Die Briefe waren nun nicht mehr wichtig, der Krieg gegen den Terror hatte begonnen und es gab gewaltige finanzielle Zuwendungen für die biologische Sicherheitsforschung. Für jede Milliarde, die in den USA ausgegeben wurde, floss in Deutschland nur eine Million. IEI Direktor Krantz versäumte keine Gelegenheit, sich darüber auszulassen. Aber auch die Millionen sicherten den Fortbestand der BIGA, nachdem es keine Anthraxbriefe mehr gab.

      Die von Hellman geleitete BIGA war inzwischen größer geworden. Ein Leiter der bakteriologischen Sektion wurde gesucht und in der Person des Biochemikers Horst Griebsch gefunden. Hellman hatte darauf geachtet, dass man jemanden einstellte, der ihm als Konkurrent nicht gefährlich werden konnte. Griebsch hatte sich praktisch kaum mit Bakterien beschäftigt. Er war jahrelang in der Verwaltung tätig gewesen und somit für Hellman der geeignete Kandidat.

      Mit der Verschärfung der Irakkrise drängte die Politik zu einem immer weiteren Ausbau der biologischen Sicherheitsforschung. Saddam Hussein und andere Schurken hatten in ihren Arsenalen außer Anthrax noch andere Biowaffen. Die musste man beforschen, um dagegen gewappnet zu sein. Hellman und Griebsch bekamen von Krantz den Auftrag die BIGA entsprechend aufzurüsten. Für Schneider bedeutete das vor allem, dass er und seine Gruppe dem Newcomer Griebsch unterstellt wurden.

      3.

      Leo Schneiders neuer Vorgesetzter, Professor Horst Griebsch war mit Anfang fünfzig fast völlig kahl. Mit seinem Kinnbart, der dicken Hornbrille und seiner gesetzten Stimme gab er das Bild eines gestandenen Mannes der Wissenschaft. Von dem eher plump auftretenden Hellman unterschied er sich durch einen jovialen Umgangston. Als typischer Alt-Achtundsechziger bot er seinen Mitarbeitern gerne das Du an. Je nach seinem Gegenüber vermittelte er das Image des guten Kumpels oder des väterlichen Freundes.

      Griebsch redete viel von Loyalität. Loyalität war eine Sache, die er forderte, aber nicht bereit war zu geben. Er bat seine Mitarbeiter zu Vieraugengesprächen, in denen er mit angeblich wichtigen Informationen hausierte, die er wie Schwarzmarktware anbot. Manche ließen sich davon beeindrucken, fühlten sich geschmeichelt und machten alles, was er von ihnen wollte. Griebsch war bewusst, dass er von vielem etwas, aber nichts richtig verstand. Das machte ihn zu einem unsicheren Vorgesetzten, der seine Leute gegeneinander ausspielte. Nur so konnte er sich in seiner Position einigermaßen sicher fühlen.

      Bei einem dieser Treffen sagte er zu Schneider: „Wir sind doch beide an Wissenschaft interessiert, das mit dem Bioterror ist doch nur vordergründig.“ Schneider glaubte ihm, erzählte von sich und von seinen Problemen mit Hellman und Krantz. Griebsch verstand das, versprach Unterstützung und als Zeichen der Zusammenarbeit überließ er Schneider die Betreuung seiner Studenten. Das ersparte ihm Arbeit und gleichermaßen hoffte er, davon zu profitieren. Am wichtigsten war ihm aber, er hatte den unbequemen Schneider eingebunden und glaubte, dieser würde in seinem Sinne funktionieren.

      Vielleicht hätte Schneider auf diese Art auch funktioniert. Hier ein bisschen Geld für die Forschung, da ein paar Studenten und dort eine kleine Freiheit im Labor. Das Problem lag bei Griebsch, bei seinem Argwohn, der ihm als Mensch ohne Rückgrat wie eine Krücke diente. Eine Zeit lang hielt die labile Konstruktion zwischen Griebsch und Schneider, aber ein kleiner Anlass genügte, um sie zum Einsturz zu bringen.

      Der Anlass hieß Rudolf Drewitz, ein früherer Vorgesetzter Schneiders. Drewitz stand kurz vor seiner Pensionierung, damit war er praktisch immun gegenüber den Disziplinierungsmaßnahmen der Leitung. Drewitz war von der Idee getrieben, die dunklen Machenschaften im IEI ans Licht zu bringen. Die von Krantz betriebene Abwickelung der Bakteriologie hatte ihm nicht gepasst. Drewitz war kurz vor dem Mauerbau aus der DDR in den Westen übergesiedelt, um dort Mitglied einer großen politischen Partei, die für Gerechtigkeit stand, zu werden. In der Partei und im Institut machte er sich bald einen Namen als Kommunikator. Er saß mehr am Telefon als im Labor. Mit seiner Partei und seiner Rolle als Kämpfer für die Gerechtigkeit stand er in Fundamentalopposition zu Krantz.

      Drewitz startete eine Kampagne gegen den Vizedirektor Tobias Arnold, nachdem er auf dem Fotokopierer zufällig einen Beratervertrag gefunden hatte. Einen Vertrag, den Arnold mit einer Pharmafirma abgeschlossen und unachtsam liegen gelassen hatte. Für den Beamten Arnold konnte das Konsequenzen haben. Beraterverträge bedurften der Genehmigung des Ministeriums. Arnold hatte nicht darum ersucht. Die Geschichte wäre in einem Disziplinarverfahren geendet, wenn Krantz mit seinem Einfluss die Sache nicht heruntergespielt hätte. Arnold war ihm daraufhin so ergeben, dass er sich ein gerahmtes Porträt von Krantz neben das Foto seiner Familie auf den Schreibtisch stellte.

      Drewitz, der über seine Partei Verbindungen zu Parlamentariern hatte, bohrte weiter. Immerhin ging es um ein fünfstelliges Honorar. Er brachte Arnold immer wieder in Erklärungszwang. Irgendwann hatte Drewitz Schneider davon erzählt. Drewitz sagte, es gäbe noch mehr Informationen und er könne dafür sorgen, dass Arnold nicht mehr lange als Vizedirektor tragbar wäre. Das wirkte übertrieben, aber Schneider wusste, wie viel Einfluss Drewitz in bestimmten Kreisen hatte. Drewitz Aktivitäten liefen zumeist über die Frauen von Politikern, die in dieser Zeit der Opposition angehörten. Gegenüber den Damen spielte er die Rolle des galanten Kavaliers, führte sie aus, bevorzugt in die Oper oder ins Konzert. Weil Drewitz schwul war, hatte er ein besseres Gespür für die Bedürfnisse dieser Frauen, als ihre eigenen Männer, die sich kaum noch für ihre Gattinnen interessierten.

      Schneider war klar, Drewitz ging es dabei um politische Einflussnahme. Aber Arnold hatte sich ihm gegenüber mies verhalten, als Krantz ihm seine Assistentin Daniela abgezogen hatte. Aus diesem Grund fand Leo Schneider die Initiative von Drewitz auf eine Art amüsant. Aus einer Laune heraus hatte Schneider Griebsch von Drewitz Plänen erzählt. Griebsch gab ja den Anschein, distanziert gegenüber der Institutsleitung zu sein.

      Als Schneider eines Nachmittags in sein Labor kam, flüsterte Tanja ihm zu: „Albino ist bei dir im Büro.“ So nannte sie Arnold, wegen der farblosen Haare und seiner Augen, die manchmal rötlich wie bei einer weißen Maus schimmerten. Schneider dachte sich nichts weiter. Als er in sein Büro kam, saß Arnold dort auf einem Stuhl. Arnold ließ ihm keine Zeit für Fragen und polterte los: „Mir wurde zugetragen, dass Herr Drewitz Ihnen gegenüber verleumderische Behauptungen über mich aufgestellt hat, mit der Absicht, meine Person zu schädigen. Ich muss Sie bitten, als Zeuge zur Verfügung zu stehen, damit wegen übler Nachrede Disziplinarmaßnahmen gegen Herrn Drewitz vorgenommen werden können.“

      Schneider war perplex. Woher wusste Arnold von dieser Sache? Ob Griebsch etwas erzählt hatte? Aber zuerst musste er Arnold abwimmeln und sagte: „Wenn man alles, was einem auf dem Flur zwischen den Labortüren erzählt wird, für bare Münze nimmt, müsste man das halbe Institut wegen Beleidigung und übler Nachrede anzeigen.“

      Arnold ließ sich nicht abwimmeln und drohte Schneider, er mache sich strafbar, wenn er den Verleumder Drewitz deckte. Schneiders Position im Institut sei dann gefährdet. An der Geschichte von Drewitz musste also etwas dran sein, dachte Schneider und ärgerte sich, Griebsch davon erzählt zu haben, denn nun bekam er dafür die Quittung. Ihm blieb nur zu sagen: „Wissen Sie Herr Arnold, ich kann mich an den Inhalt des Gespräches nicht mehr genau erinnern, was soll ich denn da zu Protokoll geben?“ Schneider blickte an Arnold vorbei auf seinen Computerbildschirm, auf dem

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