Rizin. Lothar Beutin
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Rizin - Lothar Beutin страница 10
Eine Stellenausschreibung erschien ihm als die Gelegenheit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Am IEI wurde eine neue Arbeitsgruppe Toxine, die sich mit Giftstoffen beschäftigen sollte, eingerichtet. Für die Leitung suchte man jemanden mit toxikologischen und bakteriologischen Kenntnissen. Diese neue Gruppe sollte Griebsch unterstellt sein. In der Zwischenzeit hatte Leo Schneider erfahren, dass Griebsch für die Umsetzung von Karin verantwortlich gewesen war. Drewitz hatte ihm diese Information aus dem Personalrat gesteckt. Schneider gab trotzdem sein Bewerbungsschreiben ab. Er und Tanja waren bereits Griebsch unterstellt und der würde sie beide sowieso nicht mehr lange weiterwerkeln lassen.
In der Stellenausschreibung stand etwas von Giftstoffen, von biologischer Sicherheit und Gefahrenabwehr gegen Terroranschläge. Schneider zweifelte am Erfolg seiner Bewerbung. Zwar kannte er sich mit Bakteriengiften aus, aber Arnold hatte bei der Stellenbesetzung sicherlich ein Wort mitzureden. Drewitz steckte Schneider weitere Informationen zu. Demnach gestaltete sich die Suche nach Toxikologen als schwierig. Es gab nicht viele davon und noch weniger, die bereit waren, an das IEI zu wechseln. Wenn es fähige Leute waren, erwarteten sie mehr Gehalt und Gestaltungsmöglichkeiten, als Krantz ihnen zugestehen mochte. So folgte eine Stellenausschreibung auf die andere und das Ministerium drängte immer stärker auf baldige Besetzung.
Schließlich entschloss Krantz sich zur billigsten Lösung, er akzeptierte Schneiders Bewerbung. Die AG-Toxine interessierte ihn im Grunde nicht und die Personalmittel, die er für die Neueinstellung eines externen Bewerbers gebraucht hätte, konnte er damit einsparen und in seine virologischen Projekte stecken. Für einen Misserfolg müsste Schneider verantwortlich zeichnen. Mit dieser Logik waren Arnold und Hellman überstimmt, die sich bis zuletzt gegen Schneider ausgesprochen hatten.
Leo Schneider durfte weiter mit Tanja zusammenarbeiten. Allerdings waren zwei Leute für eine Arbeitsgruppe nicht ausreichend. Arnold veranlasste, dass zusätzlich eine Wissenschaftlerin aus seiner Abteilung der AG-Toxine zugeteilt wurde. Sie war fünfzehn Jahre jünger als Schneider, Immunologin und hieß Beatrix Nagel. Beatrix, die jeder Bea nannte, bekam zu ihrer Unterstützung noch zwei technische Assistenten, Jacek und Maria. Offiziell war Beatrix Nagel Schneider nachgeordnet. Von der Leitung hatte sie den Auftrag, darauf zu achten, was Schneider trieb und sollte melden, wenn er die AG-Toxine für seine alten Forschungsprojekte benutzte. Dadurch war Schneider in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Nominell blieb er ihr Vorgesetzter und wollte die Aufgaben so verteilen, dass er und Bea sich nicht sonderlich ins Gehege kämen.
4.
Griebsch hatte bei der Stellenbesetzung hin und her laviert. Als Opportunist merkte er, woher der Wind wehte und hatte am Ende für Schneider votiert. Allerdings gab es noch Widerstand von Hellman, mit dem Griebsch es sich nicht verscherzen wollte. Als Leiter der BIGA befürchtete Hellman Machtverlust durch eine neue Arbeitsgruppe im Bereich Bakteriologie unter Griebsch. Hellman war Virologe. Tatsächlich aber gab es mehr Bakterien und Toxine als Viren auf der Liste potenzieller Biowaffen. Einzig das Pockenvirus überstand Austrocknung, alle anderen Viren gingen in der Umwelt schnell kaputt und waren damit als B-Waffen schlecht geeignet.
Um seinen Einfluss zu wahren, verfasste Hellman genaue Auflagen, über welche Themen die AG-Toxine arbeiten sollte. In einer Liste des amerikanischen CDC waren das Pflanzengift Rizin und das Bakteriengift Botulinumtoxin als wichtigste Biowaffen beschrieben. Nachdem Krantz seinem Freund Hellman bei der Stellenbesetzung widersprochen hatte, ließ er ihm freie Hand bei der Aufgabenverteilung. Horst Griebsch hatte keine eigenen Ideen und war dankbar für Hellmans Vorschläge. Diese sahen die Entwicklung von Nachweisverfahren für Rizin und Botulinumtoxin vor. Nachweisverfahren, die so empfindlich sein sollten, dass mit ihrer Hilfe Anschläge aufgedeckt, Spuren verfolgt und Gegenmaßnahmen entwickelt werden konnten.
Hellman rechnete sich aus, dass Schneider an diesen Aufgaben scheitern würde. Dann konnte er der jungen Beatrix Nagel die Leitung der AG-Toxine zuschanzen. Aber vorher musste er diese Frau von sich abhängig machen, damit sie ihm nützlich war. Einen Hebel dazu hatte er: Beas Mann Ronald Nagel, der mit einem befristeten Vertrag in Hellmans Abteilung als Wissenschaftler angestellt war. Hellman konnte Bea mit Ronalds Vertragsverlängerung unter Druck setzen. So hatte er die Entwicklung im Griff.
Leo Schneider wurde bei der Aufgabenplanung für seine neue Arbeitsgruppe nicht befragt. Er bekam als Vorgabe mit Botulinumtoxin und Rizin zu arbeiten. Seine neue Kollegin Bea wusste nicht mehr über diese Stoffe, als er selbst. Schneider kannte sich mehr mit Bakterientoxinen aus und Bea mehr mit den Nachweismethoden. Dadurch würden sie aufeinander angewiesen sein, hoffte er.
Allerdings konnte Leo Schneider mit Beatrix auf die Dauer nicht mithalten. Sie arbeitete in der Regel zehn bis zwölf Stunden täglich. Eigentlich war sie ein zarter Typ, mit aschblonden Haaren, grauen Augen und einem schmalen Gesicht, aber mit einem starken Willen ausgestattet. Als Frau hatte sie es in der Wissenschaft doppelt so schwer, wie ein Mann. Frauen mussten mehr leisten, um anerkannt zu werden, diesen Eindruck hatte Bea gewonnen. Ihren Mann Ronald hatte sie im IEI kennengelernt. Beide waren in der gleichen Arbeitsgruppe und neu in Berlin. Beide träumten davon, später in ein renommiertes Forschungsinstitut in den USA zu gehen. Am Anfang sahen sie sich eher als Konkurrenten, doch die gegenseitige Sympathie überwog. Bedingt durch die langen Arbeitstage und Nächte im Institut fanden beide kaum die Zeit, sich einen Bekanntenkreis außerhalb ihrer Arbeitswelt aufzubauen. So nutzten sie die Möglichkeit, Arbeit und Privatleben zu verbinden. Ihre Beziehung und die baldige Heirat waren ein Gegenpol zu der ungewissen Zukunft, welche die Arbeit in der Forschung beiden bot.
Schneider erzählte Bea, dass er früher auch oft so lange im Labor gesessen hatte. Durch seine Ehe mit Louisa und seinem Bekanntenkreis in Berlin war das Institut aber nie der Mittelpunkt seines Lebens gewesen. Das Leben bestand eben nicht nur aus dem Labor. Mit Mitte vierzig wollte er nicht mehr so weitermachen, wie kurz nach seiner Doktorarbeit. Bea akzeptierte das ohne Widerspruch. Im Gegenteil, es war ihr sogar recht. Sie hoffte, den flügellahmen Schneider durch forscherisches Durchstarten früher oder später zu beerben und die Leitung der AG-Toxine zu bekommen. Dann wäre auch eine feste Stelle für Ronny in Aussicht und sie konnten ihren Kinderwunsch verwirklichen. Die Zeichen von Krantz waren doch eindeutig. Sie hatte zwei technische Assistenten bekommen, während Schneider nur mit Tanja auskommen musste.
Schneider begann, sich mit Rizin und Botulinumtoxin zu beschäftigen. Er lernte mehr über die Eigenschaften von Giftstoffen, die in der Natur vorkamen. Rizin und Botulinumtoxin waren die stärksten bekannten Gifte überhaupt. Zuerst musste er sich diese Stoffe jedoch beschaffen. Als er nach möglichen Bezugsquellen suchte, erschien es ihm leichter, mit Rizin zu beginnen. Rizin kam in den Samen des Wunderbaums vor, einer Pflanze mit dem lateinischen Namen Ricinus communis. Rizinus wurde in warmen Ländern großflächig zur Ölgewinnung angebaut. Schneider hatte Bilder der Pflanze gesehen und sie kam ihm bekannt vor. Rizinus war zwar kein einheimisches Gewächs, aber Schneider kannte die großen auffälligen Sträucher aus Parkanlagen und sie waren ihm in Erinnerung geblieben.
Die Rizinussamen waren überraschend leicht zu beschaffen. Immerhin waren die Samen sehr giftig, es genügte, ein paar davon zu verzehren, um daran zu sterben. Vögel und wilde Tiere verschmähten diese Samen instinktiv und so schützte die Pflanze ihre Nachkommenschaft. Eigentlich kam so etwas häufig in