Rizin. Lothar Beutin
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Diese Leute redeten immer dann von Kollegialität, wenn sie selbst in der Patsche saßen, dachte Schneider. „Ich kann mich nicht an ein solches Gespräch erinnern, Herr Professor Arnold. Bedaure.“
Arnold stand ruckartig auf, der Bürostuhl rollte nach hinten und prallte an einen Tisch. Dann verließ er das Büro, ohne noch etwas zu sagen. Besser so, dachte Schneider, wer wusste schon, was er sonst noch zu Arnold gesagt hätte. Nun hatte er sich einen erklärten Feind gemacht. Noch Stunden später ging Schneider diese Sache nicht aus dem Kopf. Er ärgerte sich über die Hinterhältigkeit, mit der Griebsch ihn ins Vertrauen gezogen hatte, aber noch mehr über seine eigene Naivität.
Am gleichen Tag ging er zu Griebsch, um zu reden. Er dachte, Griebsch würde alles abstreiten, aber das Gegenteil war der Fall. „Drewitz ist doch ein Spinner, er hat dir früher soviel Ärger gemacht, warum schützt du ihn?“
Schneider fing an sich zu rechtfertigen und sagte, die Sache war nicht für Arnolds Ohren bestimmt. Er hatte gedacht, Griebsch würde das vertraulich behandeln und im Übrigen würde er niemanden anschwärzen.
Griebsch versuchte Schneider zu überreden: „Ich habe Arnold das alles doch nur in unserem Interesse erzählt. Drewitz will uns allen schaden. Wenn er mit seinen Behauptungen Gehör findet, steht das ganze IEI schlecht da, und auch du leidest darunter.“ Sein Tonfall wurde plötzlich schärfer: „Für uns alle wäre es besser, wenn Drewitz möglichst bald geht. Es bringt nichts, sich vor ihn zu stellen.“
Leo Schneider fühlte, wie er in eine Richtung gedrängt wurde, in die er nicht wollte. Hatte Griebsch nicht versprochen, dass alles vertraulich blieb? Jetzt gab er sogar zu, Arnold informiert zu haben. Vielleicht hatte Arnold jetzt wieder seine Finger drin und wollte ihn durch Griebsch dazu bringen, Drewitz doch anzuschwärzen. Schneider hatte die Lust zu weiterem Reden verloren. Griebsch schaute ihn durch seine Brille an, als erwartete er etwas von ihm. Schneider schwieg. Als die Spannung zunahm und Schneider schließlich aufstand und gehen wollte, hörte er, wie Griebsch ihm hinterher rief: „Ich halte dir den Rücken frei, aber dafür erwarte ich von dir Loyalität, vergiss das nicht!“
Leo Schneider war schon auf dem Flur, als er die Drohung begriff. Jetzt hatte er Arnold und Griebsch gegen sich. Irgendetwas musste er tun. Er dachte an Drewitz. Drewitz war nicht sein Freund, konnte aber vielleicht auf der politischen Ebene etwas erreichen. Eine Zeit lang geschah nichts. Arnold und Schneider behandelten sich wie Luft, wenn sie sich begegneten. Schneider erinnerte sich, wie er vor ein paar Jahren Arnold im Hallenbad getroffen hatte. Arnold stand nackt unter der Dusche und tat so, als würde er Schneider nicht kennen. Dabei hatte er ihn genau gesehen. Vermutlich hasste Arnold ihn seitdem, es hatte ihm nicht gefallen, dass ihm Untergeordnete einen Einblick auf seine bescheidene Männlichkeit nehmen konnten.
Nach einigen Tagen ging Schneider doch zu Drewitz und erzählte ihm von Arnolds Forderung und dem Gespräch mit Griebsch. Drewitz lachte hämisch und verzog seinen Mund zu einer Grimasse. „Der macht mir keine Angst, im Gegenteil. Arnold und Griebsch sind korrupte Existenzen, Schwächlinge, denen das Handwerk gelegt werden muss.“ Er tat einem Seitenblick, als wollte er sich vergewissern, dass niemand anderes zuhörte und flüsterte: „Und Krantz, der sich vor Arnold stellt, der ist sowieso fertig, dem haben sie nämlich die Eier abgeschnitten.“ Schneider schaute ihn mit großen Augen an. „Ja!“, betonte Drewitz genüsslich: „Sie haben ihn kastriert, ihm die Eier abgeschnitten. Totaloperation, Krebs!“ Drewitz nickte mehrmals und sah Schneider aus seinem bleichen Gesicht an, in dem die Augen tief in den Höhlen lagen. Er erinnerte Schneider an den Vampir Nosferatu aus dem Film von Fritz Lang. „Woher willst du denn das wissen?“, fragte er.
„Man hat so seine Quellen“, erwiderte Drewitz und griente, als er sah, wie seine Worte bei Schneider Wirkung zeigten. Wie schon so oft versuchte er, Schneider für seine Partei zu begeistern. Der wehrte ab. „Sei nicht töricht“, sagte Drewitz. „Du brauchst Verbündete. Wie willst du denn das alleine durchstehen?“
Schneider wollte sich keiner Organisation verpflichten. Drewitz war inzwischen der Dritte, der ihn vor seinen Karren spannen wollte. Mit jeder neuen Person, mit der er über seine Schwierigkeiten sprach, wurde seine Situation komplizierter.
„Sei nicht dumm“, bedrängte ihn Drewitz weiter, „überleg es dir.“
Schneider empfand eine tiefe Leere vor der Sinnlosigkeit dieser ganzen Intrigen. Warum ließ man ihn nicht einfach in Ruhe arbeiten? Seine Beziehung zu Drewitz war seit jener Zeit distanziert, als er und Tanja den Eindruck gewonnen hatten, dass mit Drewitz politischen Verbindungen etwas nicht stimmte. Drewitz war kurz vor dem Mauerbau aus der DDR in den Westen gekommen. Zu Mauerzeiten durfte er unbegrenzt in die DDR reisen, im Westen galt er als verfolgter Dissident. Drewitz brachte von drüben immer wieder Antiquitäten mit, Sachen, die man unmöglich legal ausführen konnte. Beide glaubten, dass er ein Agent der Stasi war. Vielleicht hatte er auch über sie beide berichtet. Als ihre Neugierde groß genug geworden war, gingen sie in die Glinkastraße, um bei der Stasiunterlagenbehörde ihre Akten einzusehen. Es dauerte Monate, bis die Nachricht kam, dass es keine Akten über sie gab. Wahrscheinlich war Drewitz zu raffiniert, als das man ihm so einfach hätte auf die Schliche kommen können. Bei ihm war alles möglich und Schneider wusste immer noch nicht, ob er ihm die Geschichte mit Krantzens abgeschnittenen Eiern glauben sollte.
Nachdem Schneider nicht auf sein Angebot reagiert hatte, verhielt sich Griebsch ihm gegenüber zunehmend reserviert. Bisweilen machte er Andeutungen, als würde er etwas erwarten. Schneider zog sich nur noch mehr zurück. Wenn Griebsch ihn ansprach, gab er nur Belanglosigkeiten von sich und vermied nach Möglichkeit jeglichen Kontakt.
Nachdem die Anthraxbriefe Geschichte waren, sah es für eine Weile so aus, als würde man Schneider in Ruhe lassen. Dann kam der Anruf aus dem Präsidialbüro. Krantz persönlich. Schneider sollte der neu eingestellten Kollegin Dr. Pflüger doch für eine Zeit lang mit einer seiner beiden Assistentinnen aushelfen. Schneider könne selbst entscheiden, welche seiner beiden Damen er entbehren wolle. Er hätte nicht viel Zeit, sagte Krantz, Einzelheiten sollte Schneider mit seinem Stellvertreter Arnold besprechen.
Natürlich ging es nicht um eine Aushilfe für kurze Zeit, das war für endgültig. Aber wie sollte Schneider das beweisen? Kollegiale Hilfe für die neu eingestellte Kollegin konnte er doch nicht ausschlagen. Schließlich suchte er doch das Gespräch mit Arnold.
„Sie wollen sich doch nicht weigern, Ihrer Kollegin Pflüger für eine Zeit mit personeller Unterstützung auszuhelfen?“, sagte Arnold. Das Gespräch bereitete ihm Vergnügen und er gab sich keine Mühe, es zu verbergen. „Handeln Sie doch einmal im Sinne der Corporate Identity.“
Corporate Identity war ein zuweilen beschworener, aber nicht existierender Instituts-Gruppengeist, der von der Leitung herbeizitiert wurde, wenn Entscheidungen gegen den Willen der Beschäftigten durchgesetzt werden sollten. Jetzt bedauerte Schneider, dass er zu Arnold gegangen war. Er wollte nicht wählen, ob Tanja oder Karin gehen musste. Zum Glück nahm Karin ihm diese Entscheidung ab. Schneiders Arbeitsgruppe war somit auf Tanja und ihn reduziert. Das würde auf Dauer nicht genügen, um ihre Selbstständigkeit zu behaupten.
Eine Zeit ging zu Ende, in der Schneider aus seiner Arbeit Kraft gewinnen konnte. Die nächste Umsetzungsmaßnahme würde ihn direkt treffen. Tanja und er schwammen bereits in einem Stellenpool, aus dem man für die nächste Umstrukturierung schöpfen würde. Es war nur noch eine Frage des Wann und nicht mehr des Ob. Vielleicht musste er dann den Messknecht für einen Wissenschaftler spielen, der zum Tafelsilber von Krantz gehörte? Diese Vorstellung erzeugte bei Schneider Panik. Seine früheren Erfolge würden bald vergessen sein, ein has been, wie man in den USA zu solchen Leuten sagte. Mit den Jahren würde