Rizin. Lothar Beutin

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Rizin - Lothar Beutin

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sehr radikal und veränderten das Rizin zu sehr, sodass es für die Herstellung von Antikörpern nicht mehr geeignet war. Andere Stoffe zeigten dagegen kaum eine Wirkung. Schlimmer noch, denn Rizin erwies sich als ein hartnäckiger Stoff, dem chemischer Stress nicht viel ausmachte. Diese Versuche zogen sich lange hin, die Behandlungen brauchten Tage und danach mussten die Präparate an den Zellkulturen auf ihre Wirkung geprüft werden. Kein Wunder, dass es nirgendwo Antiserum gegen Rizin zu kaufen gab. Sämtliche Kataloge und Websites pharmazeutischer Firmen hatte Schneider durchgewälzt, nichts.

      Zum Glück verlor Rizin nach einigen Tagen bei Umgebungstemperatur seine giftige Wirkung allmählich von selbst. Vielleicht lag darin auch die Lösung. Möglicherweise waren die natürlichen Abbauprodukte des Rizins besser geeignet für die Herstellung von Antiserum. Schneider nahm sich vor, mehr Arbeit darin zu investieren.

      Wochen vergingen. Hellman drängte auf neue Ergebnisse und der Zeitvertrag von Ronny, der in zwei Monaten ablief, tickte in Beas Kopf wie eine Uhr. Bei der nächsten Pressekonferenz wollte Hellman über einen Durchbruch in der AG-Toxine berichten. Weil Schneider mit seinen Versuchen bisher nicht vorangekommen war, bestand Bea darauf, Kaninchen mit ansteigenden Mengen von Rizin zu immunisieren. Sie hoffte, Antikörper zu bekommen, bevor die Tiere an der Giftwirkung des Rizins starben. Schneider war skeptisch, aber er konnte Bea nicht daran hindern. Die Versuche endeten kläglich. Nach der Impfung mit geringen Mengen Rizin zeigten die Tiere keine Vergiftungserscheinungen, bildeten aber auch keine Antikörper. Beim Überschreiten einer bestimmten Dosis starben sie schnell und qualvoll, ohne vorher Antikörper produziert zu haben.

      Als Schneider sah, wie tief enttäuscht Bea vor dem Käfig mit den toten Kaninchen stand, dachte er zunächst, es wäre wegen der Tiere, merkte aber bald, dass es nicht der Grund war. Dann glaubte er, es wäre ihr Ehrgeiz, weil sie als junge Wissenschaftlerin Erfolge brauchte. Inzwischen hatte er sich ein neues Verfahren zur Immunisierung überlegt und um Bea zu ermutigen, erzählte er ihr davon.

      Rizin musste in die Körperzellen eindringen, um diese zu zerstören. Schneider hatte die Idee, Rizin mit einem zweiten, ungiftigen Stoff zu verbinden, damit es nicht mehr in die Körperzellen eindringen konnte. Das gekoppelte Rizin würde nur im Blutstrom zirkulieren, wo es keinen Schaden anrichten konnte, aber für das Immunsystem erkennbar war. Die Kaninchen würden gegen diesen Stoff Antikörper machen, zumindest hoffte Schneider das. Bisher war es nur eine Idee. Bea rechnete sich aus, dass für die notwendigen Versuche viel mehr Zeit vergehen würde, als ihrem Mann Ronald verblieb. Aber Schneiders Idee klang gut und sie nahm sich vor, der Entwicklung vorzugreifen. Als sie das nächste Mal bei Hellman vorsprach, stellte sie die ganze Sache als schon realisiert dar, damit Hellman sich endlich für ihren Mann einsetzte.

      Hellman nahm die Neuigkeit gerne auf und berichtete zwei Wochen später auf einer Pressekonferenz über einen Durchbruch zu einer Rizin Schutzimpfung. Den Erfolg der AG-Toxine schrieb er hauptsächlich dem Wirken des Duos Krantz und Hellman zu. Die Pressevertreter griffen das gerne auf und revanchierten sich mit positiven Artikeln. Damit rückte die Existenz der AG-Toxine, die Hellman in der Pressekonferenz erwähnt hatte, zum ersten Mal in das Licht der Öffentlichkeit.

      Nach der Pressekonferenz häuften sich Anrufe von Journalisten im Institut. Manche davon fanden den Weg bis in das Büro von Schneider. Der wollte nicht mit einer unausgegorenen Geschichte in Zusammenhang gebracht werden. Zuerst verwies er die Journalisten an die Pressestelle des IEI gemäß der offiziellen Anweisung von Krantz. Sollten Krantz und Hellman sich doch darstellen, wie sie wollten. Aber die Rivalität zwischen Griebsch und Hellman war ihm nicht verborgen geblieben. Im Institut sprach man so offen davon, dass es jeder mitbekommen musste. Schneider hatte sich schon gewundert, dass Griebsch bei der Pressekonferenz nicht zu sehen gewesen war. Alles Weitere lieferte die Gerüchteküche des Instituts, deren Herdplatten nie kalt wurden.

      Bald kam Schneider der Gedanke, dass es besser sei, wenn Griebsch und Hellman sich miteinander beschäftigten, anstatt mit ihm. Dafür konnte er etwas tun. Er musste nur alle Anrufe von Journalisten an Griebsch weiterleiten. Formal war das korrekt, Griebsch war sein Vorgesetzter. Für Griebsch sah es so aus, als würde Schneider den Dienstweg genau einhalten. Bei diesem Gedanken musste Schneider in seinem Büro plötzlich so laut auflachen, dass Tanja an die Tür kam und ihn erstaunt ansah.

      Die Pressestelle des IEI war für Journalisten eine unergiebige Nachrichtenquelle. Sie waren froh, endlich an einen wirklichen Experten vermittelt zu werden. Bevor er ihre Anrufe weiterleitete, erzählte Schneider ihnen, Griebsch sei der geistige Vater der Rizinforschung am Institut. Ein Universitätsprofessor und ausgewiesener Biochemiker. Leo Schneider und Beatrix Nagel seien nur bei Griebsch im Labor beschäftigt und hätten nichts zu berichten. Die Journalisten stiegen darauf ein. Griebsch war ein neuer Kontakt und nach den langweiligen Mitteilungen aus der Pressestelle hofften sie auf spannendere Informationen.

      Horst Griebsch saß am Schreibtisch und stellte gerade seine Kaffeetasse ab, als das Telefon klingelte. Wie immer ließ er es erst dreimal läuten, bevor er abnahm, um sein barsches Grippsch in den Hörer zu blaffen. Er war schlecht gelaunt. Die Pressekonferenz, zu der man ihn nicht eingeladen hatte, lag noch nicht lange zurück. Am Telefon war ein Journalist. Griebsch war überrascht, der Mann schien ihn recht gut zu kennen. Als der Journalist ihm dann erzählte, er kenne die Hintergründe und wüsste, dass nicht Hellman, sondern er der Experte für Rizin sei, taute Horst Griebsch schnell auf. Er wusste nichts von Schneiders Hintergrundaktivitäten. Der Journalist hatte schnell gemerkt, wie Griebsch sich geschmeichelt fühlte, nachdem er ihm das gesagt hatte. Alsbald hatte Griebsch einen Termin für sein erstes Interview.

      Nachdem Horst Griebsch noch mehrere derartige Anrufe erhalten hatte, gewann er allmählich die Überzeugung, ein hinlänglich bekannter Bioterrorismusexperte zu sein. Das baldige Angebot auf ein exklusives Interview für eine überregionale Zeitung empfand er schon als eine Selbstverständlichkeit. Leo Schneiders Saat war aufgegangen, allerdings hatte er nicht bedacht, was Griebsch den Journalisten alles erzählen würde. Schneider wusste nicht, dass Bea alle drei Tage bei Griebsch vorstellig wurde und aus der AG-Toxine berichtete. Manches davon hatte Griebsch nicht richtig verstanden und Dinge, die erst in der Planungsphase waren, hielt er für schon verwirklicht. Dieses Gemisch aus Fantasie und Wirklichkeit vermarktete er für sein Interview. Sein professoraler Habitus gab das Übrige, um ihn zu einem idealen Kandidaten für einen Artikel auf der Wissenschaftsseite der Frankfurter Zeitung zu küren. Nach dem Interview ließ er sich noch gerne dazu bewegen, neben der Marmorbüste des Institutsgründers für ein Foto zu posieren.

      Als Schneider an einem Morgen in sein Labor kam, hatte ihm Tanja die aufgeschlagene Frankfurter Zeitung auf den Tisch gelegt. Im Wissenschaftsteil gab es eine ganze Seite mit dem Interview und einem Foto von Griebsch, wie er mit gedankenvoller Miene neben der Büste des Institutsgründers stand. „Lies mal“, sagte Tanja wütend. „Da steht, Griebsch hat das alles selbst gemacht, wofür wir uns hier die ganze Zeit abrackern.“

      Tatsächlich, in dem Artikel mutierte Griebsch zum großen Rizin Experten, der durch seine Forschungen gezeigt hatte, wie man das Teufelszeug neutralisiert und dagegen einen Impfstoff herstellt. Es war nicht klar, ob Griebsch oder der Journalist übertrieben hatte, aber das war eigentlich nebensächlich. Weniger nebensächlich waren die Einzelheiten, die dort standen. Einzelheiten, die weder Griebsch noch der Journalist kennen konnten, es sei denn, jemand hätte ihnen diese Informationen gegeben. Weder er noch Tanja kamen dafür infrage. Schneider fühlte deutlich sein Herz klopfen. Bei dem Gedanken, dass sein Labor überwacht wurde und jemand ihre Aufzeichnungen registrierte, wurde ihm schlecht. Er las den Artikel ein zweites Mal, fand aber keine Namen, nur allgemein die AG-Toxine. IEI Direktor Krantz wurde für sein Wirken des Lobes voll erwähnt. Das passte zwar nicht in den Zusammenhang, aber es wunderte Schneider auch nicht.

      „Griebsch hat das Interview bestimmt nicht vorher von Krantz absegnen lassen“, sagte Leo zu Tanja. „Krantz hat angeordnet, dass alles, was an die Presse gehen soll, ihm erst vorgelegt werden muss. Der hätte doch dieses Interview nach der letzten Pressekonferenz gar

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