Rizin. Lothar Beutin

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Rizin - Lothar Beutin

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das vermeintliche Kaufhaus fluchtartig. Auf der Straße ließ er sich weiter treiben. Es gab so viele Radfahrer hier, das hatte er in Japan nicht erwartet. Die Leute auf der Straße blickten ihn nicht an, schenkten ihm anscheinend keine Aufmerksamkeit, obwohl nur wenige Ausländer in dieser Stadt zu sehen waren. Als er sich einmal zufällig umdrehte, bemerkte er, dass sie dem großen und massiven Gaijin (4) neugierig hinterher schauten, sobald er an ihnen vorbei gegangen war.

      Inzwischen war sein Hunger so groß geworden, dass sich ein Restaurantbesuch nicht mehr aufschieben ließ. Auf dem Weg kam er an einer kleinen Gaststätte vorbei, an deren Fensterscheibe Fotos der dort angebotenen Speisen zu sehen waren. Das gab ihm den notwendigen Mut, hier Essen zu gehen. Als er die Tür öffnete, begrüßten ihn die Angestellten im Chor mit einem vielstimmigen Konnichiwa (5) und Irasshaimase (6), als wäre er der lang ersehnte, einzige Gast. Dabei war das Restaurant, das sich von innen als kleiner Imbiss entpuppte, voller Menschen. Griebsch dachte an das Personal des Haruka Express. Wie die Leute sich hier um ihre Kunden bemühten. In Berlin wäre er bei solchen Anlässen je nach Tageszeit höchstens mit einem schnoddrigen „Morjen, Tach“, oder „n ‘Abend“, begrüßt worden.

      Er deutete mit seinem Finger auf eines der abgebildeten Gerichte und bekam nach kurzer Zeit eine Schüssel, die mit Reis, auf dem dünne Streifen von Rindfleisch lagen, gefüllt war. Auf dem rechteckigen Tablett befand sich außerdem noch eine Tasse Misosuppe, eine Schale grüner Tee und ein paar Essstäbchen. Horst Griebsch beobachtete die übrigen Gäste, die in einer Reihe neben ihm an dem u-förmigen Tresen saßen. Wie sie sich hemmungslos Soßen auf ihre Gerichte kippten und mit ihren Stäbchen rosafarbene Ingwerscheiben auf den Reis platzierten. Griebsch kam nicht gut mit den Essstäbchen zurecht, man bot ihm aber kein Besteck an. So hatte er Mühe, überhaupt satt zu werden und der Gedanke an die nächsten Gäste, die geduldig auf einer Bank am Eingang auf einen Platz am Tresen warteten, beunruhigte ihn. Ob sie ihn dabei beobachteten, wie schlecht er mit den Stäbchen zurechtkam? Nachdem er seine Schüssel erst zur Hälfte leer gegessen hatte, steckte er die Stäbchen tief in den restlichen Reis, eine Geste, die in Japan traditionell dem letzten Reis für Verstorbene vorbehalten ist. Griebsch wusste das nicht und wunderte sich über das entsetzte Gesicht des Angestellten, der dieses Symbol des Todes mit missbilligendem Ausdruck schnell vom Tresen entfernte.

      Inzwischen war es bereits Nachmittag. Mit dem Stadtplan in der Hand lief er langsam zu seinem Hotel zurück. Viele der der jungen Leute, die ihm begegneten, hatten ihre Haare hell gebleicht, was manchem einen gespenstischen Ausdruck verlieh. Noch ein paar Hundert Meter und Griebsch gelangte auf die Sanjo, eine Straße, die dicht an seinem Hotel vorbeiführte. Er ging auf sein Zimmer, da er sich vor Müdigkeit kaum mehr auf den Beinen halten konnte. In dem ästhetisch eingerichteten Raum fiel er auf das Bett. Schwindel überkam ihn. Er dachte an den morgigen Tag, seinen Vortrag und holte die Folienausdrucke aus seiner Aktentasche. Im Bett drehte er sich auf den Rücken, streckte beide Arme mit den Papieren nach oben, und versuchte gegen seine Müdigkeit, sich auf die Übergänge zwischen den Folien zu konzentrieren. Aber es war vergeblich. Zum Glück hatte er die Folien so gestaltet, dass er sie nur ablesen musste, wenn eine nach der anderen den Zuhörern projiziert werden würde.

      Nach dem vergeblichen Kampf gegen die Müdigkeit schlummerte Griebsch ein, um mitten in der Nacht plötzlich hochzuschrecken. Sein Bett schwankte leicht hin und her, als würden sich zwei Menschen darin vergnügen. Aber er war allein, stand auf und ging verschlafen zum Fenster, um in die neonerleuchtete Nacht von Kyoto zu schauen. Nichts Auffälliges war zu sehen oder zu hören und doch schien etwas passiert zu sein. Griebsch bemerkte, dass die Papprolle mit einem Kunstdruck, den er am Nachmittag gekauft und wie einen Turm in die Mitte des Zimmers aufgestellt hatte, umgefallen war und auf dem Boden lag.

      Er legte sich wieder hin. Vom Fenster her war die Sirene eines Polizei- oder Krankenwagens zu hören, die dann abflaute, um bald zu verstummen. Jetzt konnte er nicht mehr einschlafen. Die Zeitverschiebung! Er grübelte über den Vortrag und seinen morgigen Auftritt bei der Konferenz. Aus seinem Halbschlaf holte ihn die Klingel des Weckdienstes, und als Griebsch zum Fenster blickte, war es bereits Tag. Er beeilte sich und war nach zehn Minuten schon im Foyer des Hotels. Von einem Angestellten ließ er sich den Weg zum Restaurant zeigen, dort war ein Frühstücksbuffet aufgebaut. In der Schlange vor dem Endlostoaster reihte er sich hinter einem Paar ein. Sie sprachen Englisch und Griebsch konnte aus ihren Worten entnehmen, dass in der Nacht ein Erdstoß Kyoto erschüttert hatte. Das war es also gewesen, was ihn geweckt hatte! Anscheinend war aber weiter nichts passiert, im Hotel hatte er jedenfalls nichts bemerkt.

      Sein Vortrag fiel ihm wieder ein. Er durfte nicht zu spät kommen, denn er wusste noch nicht, wann genau er dran war. Mit seinen zwei Toasts, Butter, Rührei und Schinken lief er in den Frühstücksraum und hatte es eilig, die Sache hinter sich zu bringen. Der Kaffee zeigte schnell seine Wirkung und Griebsch konnte jetzt wacher in die Runde der Anwesenden schauen. Da waren in schwarzen Anzügen gekleidete Japaner neben ein paar westlich aussehenden Gästen. Er selbst trug einen blauen Anzug. Würde er damit nicht zu sehr auffallen? Mit hektischer Aktivität stand er auf und beeilte sich in sein Zimmer zu kommen, um die Ledertasche mit den Unterlagen zu holen. Dann verließ er das Hotel in Richtung Untergrundbahn. Auf der ersten Kreuzung hatte er beinahe einen Unfall mit einem Abbieger, weil er zuerst nach links und dann nach rechts geschaut hatte. Schnell eilte er die Stufen zur Station Shiyakusyo-Mae hinunter, um dort unten überrascht die Obdachlosen zu sehen, die am Boden kampieren, jedoch weder bettelten noch die Fahrgäste ansprachen.

      Fahrscheine gab es nur am Automaten, nach einigen Versuchen und vielen eingeworfenen Münzen löste er ein Ticket und erreichte den Zug. Während der Fahrt wuchsen seine Zweifel. Er kannte keinen der Kongressteilnehmer persönlich, nur ein paar Namen. Würde man ihn akzeptieren? Wenn sie merkten, dass vieles in seinem Vortrag nur seine eigene Annahme war? Aber dann kam ein anderer Gedanke hoch. Er würde sich einen international bekannten Namen als Experte machen, Professor Horst Griebsch, the famous ricin expert, derlei Gedanken schwirrten ihm bis zum Umsteigebahnhof durch den Kopf.

      In der unterirdischen Zentralstation mit den hell erleuchteten Geschäften stieg Griebsch in eine andere U-Bahn Linie um. Nach ein paar Stationen konnte er die U-Bahn verlassen. Auf der Straße war das nahe gelegene KICH ohne Mühe zu finden. Zum Glück war er pünktlich. In der Eingangshalle des Kongresszentrums standen Tische in einer Reihe und bildeten eine Art Barriere. Auf den Tischen lagen Listen, Anstecker mit Namensschildern und dahinter saßen lächelnde weibliche Angestellte in blauen Kostümen, die für die Registrierung der Teilnehmer zuständig waren. Griebsch stellte sich in eine Reihe hinter zwei anderen Neuankömmlingen. Vor ihm stand eine jüngere Frau. Als sie sich umdrehte, bemerkte er, wie hübsch sie war. Während sie ihre Unterlagen und das Namensschild erhielt, hörte er, dass sie aus Warschau war und Anna Sozanska hieß. Als Anna mit ihrer Tasche fortgehen wollte, stand Griebsch ihr im Weg und lächelte sie an. „Griebsch“, sagte er, „from Germany.“ Anna schaute ihn erstaunt an und war verlegen. Vielleicht sollte man den kennen, dachte sie, gab ihm die Hand und stellte sich vor, bevor sie weiterlief.

      Jetzt war Horst Griebsch an der Reihe. Die in Blau gekleidete Japanerin ihm gegenüber lächelte und fragte nach seinem Namen. Sein knappes „Grippsch“, verstand sie nicht, ein hilfloses Lächeln umspielte ihren Mund, während sie mit ihren schlanken Fingern über die Teilnehmerliste wanderte. Nach einer Weile sah sie zu ihm hoch und schaute ihn mit einer Miene des Bedauerns an. Griebsch durchfuhr ein Schreck. War er möglicherweise gar nicht angemeldet? Er hatte sich doch auf das Sekretariat von Arnold verlassen, auf diese Frau Schupelius! Das Blut schoss ihm in den Kopf und der Satz: „Du kannst nach Hause gehen …“, war unausgesprochen präsent. Nachdem er wiederholt seinen Namen aufgesagt und schließlich aufgeschrieben hatte, fand sie ihn doch auf der Namenliste und ebenso ihr Lächeln wieder. Mit einer Verbeugung händigte sie ihm den Anstecker mit seinem Namen und die Tasche mit den Kongressunterlagen aus.

      Griebsch hängte sich die Tasche um. Er musste sich beeilen. Im Gehen befestigte er sich das Namensschild mit der Sicherheitsnadel an sein Hemd und stach sich dabei in den Finger. Das Schild wollte einfach nicht gerade hängen. Neben

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