Rizin. Lothar Beutin

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dass er sich auf diese Weise für die AG-Toxine einsetzte. Vier Tage später übergab sie ihm die Präsentation. Als Griebsch die Folien am Computer betrachtete, empfand er sie als zu nüchtern. Sie enthielten zu viel Fachchinesisch und erschienen ihm nicht brisant genug. Er gestaltete sie um, sodass sie zu seinen eigenen Ausführungen passten und seine führende Rolle bei den Arbeiten betonten. Jetzt hatte er die Präsentation so stark verändert, dass er Beatrix Nagel nicht weiter erwähnen musste, und setzte stattdessen nur sich selbst als Verfasser ein.

      Die Konferenzsprache war Englisch und Griebsch hatte den Titel seines Vortrags schon vor Augen: Ricin as a potential bioterrorist weapon, new vaccination strategies (1). Er schaute zufrieden auf die Titelfolie mit der fetten Überschrift, der Hintergrund war dunkelblau gehalten. Das hatte doch Stil! Horst Griebsch summte zufrieden vor sich hin.

      Er wollte es sich auch nicht nehmen lassen, Hellman persönlich von seiner Einladung in Kenntnis zu setzen. Unter einem Vorwand ging er in dessen Büro und bat darum, ihn während seiner Abwesenheit zu vertreten. Hellman lächelte säuerlich, als Griebsch ihm von der Einladung berichtete. Es schien ihn aber auch nicht sonderlich zu überraschen, wahrscheinlich hatte Krantz ihn bereits darüber in Kenntnis gesetzt. Hellman schob sich ein Stück Schokolade in den Mund und komplimentierte Griebsch mit ein paar Floskeln wieder hinaus.

      Die Tage bis zum Abflug vergingen schnell. Die Konferenz sollte zwei Tage dauern und am Freitagmittag, den 4. März, beendet sein. Seinen Rückflug hatte Griebsch so organisiert, dass er am Samstag für einen Tag Aufenthalt in Singapur hatte. So hatte er noch Zeit, Kyoto anzuschauen, um danach in Singapur shoppen zu gehen.

      Am 1. März saß Griebsch im Flugzeug von Frankfurt nach Singapur. Er war froh, das verschneite Berlin zu verlassen, um in Kyoto berühmt zu werden. In seiner Aktentasche steckte sein Vortrag, er holte die Papiere heraus und blätterte immer wieder in den Folien. Sein Sitznachbar schielte herüber, schien beeindruckt, wahrscheinlich hatte er Worte aus dem Vortrag mitgelesen. Griebsch driftete ab in seine Gedankenwelt. Sein Ansehen würde wachsen und seine Position im IEI endgültig zementiert werden. Hellman konnte dann auch nicht mehr darum herumkommen. Wie säuerlich der geguckt hatte, als er in sein Büro kam. Und Krantz? Der konnte ihn jetzt auch nicht mehr übergehen, so wie bei der letzten Pressekonferenz. Dem schien es ja plötzlich ganz recht zu sein, dass Horst Griebsch so viel Eigeninitiative entfaltete. Vielleicht war er von Hellman enttäuscht? So ist Krantz, dachte Griebsch, er spielt die Leute gegeneinander aus. Aber ich habe ihn durchschaut und ihn dazu gebracht, das zu machen, was ich möchte. Bei diesem Gedanken war er richtig mit sich zufrieden und bestellte sich, als die Stewardess vorbeilief, ein Glas Sekt.

      Nach fast zehn Stunden Flug landete die Maschine in Singapur, Changi Airport. Horst Griebsch fühlte sich wie gerädert. Es war schon eine Zumutung, dass vom Institut nur Economy Tickets erstattet wurden. Business Class wäre für ihn als Vertreter Deutschlands bei so einer wichtigen Konferenz angemessen gewesen. Sein Vordermann hatte die Rückenlehne während des Fluges weit zurückgeklappt und Griebsch in seiner Bewegungsfreiheit fast völlig eingeschränkt. Als er mit steifen Schritten aus dem Flugzeug ins Freie trat, kam ihm ein Schwall tropischer Luft entgegen, 28 °C. In Berlin hatte das Thermometer 3 °C über null angezeigt. Das Wetter brachte ihn in eine bessere Stimmung. In Singapur hatte er zwei Stunden Aufenthalt bis zu seinem Weiterflug nach Osaka. Er schlenderte durch die mit Palmen bepflanzte, lichtdurchflutete Halle des Flughafens. Erstaunlich, wie günstig es hier Elektronik zu kaufen gab. Gut, dass er für den Rückflug einen Tag Aufenthalt in dieser Stadt eingeplant hatte. Griebsch war müde und es lagen noch sechs Stunden Flugzeit bis Japan vor ihm. Und dann musste er noch den Schnellzug von Osaka bis Kyoto nehmen.

      Bei der Landung in Osaka war es früh am Morgen. Durch die neun Stunden Zeitdifferenz fühlte er sich wie am späten Abend. Er musste noch den ganzen Tag durchhalten, um sich an den neuen Tagesrhythmus zu gewöhnen und zu Konferenzbeginn fit zu sein. Zum Glück war der Bahnhof nicht weit vom Flughafen. Der Haruka Express, die Zugverbindung nach Kyoto, war zum Glück in Englisch ausgeschildert. In der Bahn döste Griebsch in seinem Sitz am Fenster und ließ die Stadtlandschaft von Osaka an sich vorbeiziehen. Die futuristisch anmutenden Hochhäuser und die mehrstöckigen Autobahnen, die sich durch die Stadt schlängelten. Platz war hier Mangelware, auf den Hochhausdächern gab es Sportplätze, selbst die Flächen unter Eisenbahnbrücken und Autobahnunterführungen wurden landwirtschaftlich genutzt. Zwischen Osaka und Kyoto fuhr der Zug durch eine zersiedelte Vorortlandschaft. Freies Land gab es auch hier nicht, dafür Einfamilienhäuser mit Gärten, in denen Kohl und anderes Gemüse angepflanzt waren.

      „Hai!“ (2). Ein lauter Schrei ließ Griebsch aufschrecken. Er schob sich aus seinem Sitz hoch und drehte sich um. Im Durchgang zwischen zwei Waggons stand ein uniformierter Fahrkartenkontrolleur, der sich noch einmal mit einem militärisch zackigen „Hai“ und einigen Verbeugungen ankündigte, um dann seinen Gang durch den Großraumwagen anzutreten. Jeder Fahrgast wurde mit so einem „Hai“ und einer schnellen Verbeugung begrüßt und das alles nur, um den Fahrschein zu kontrollieren. Griebsch wurde munterer. Das zackige Auftreten des Mannes und die Beflissenheit der Fahrgäste flößten ihm Respekt ein. Zum Glück hatte er gleich seine Fahrkarte parat. Was würde dieser Samurai mit ihm anstellen, wenn nicht? Als der Zug im Hauptbahnhof von Kyoto hielt, sah Griebsch beim Aussteigen das gesamte Zugpersonal auf dem Bahnhof Spalier stehen, um die Fahrgäste mit lauten Rufen und vielen Verbeugungen zu verabschieden. Griebsch winkte den Männern und Frauen gönnerhaft zu, hielt aber inne, als er sah, wie ihn die anderen Fahrgäste erstaunt ansahen.

      So müssten die Abteilungsleiter im IEI begrüßt und verabschiedet werden. Auch Schneider müsste dann für ihn Spalier stehen. Diese Vorstellung brachte ihn zum Lachen. Aber Krantz war zu sehr Leisetreter, als dass ihm so etwas gefallen würde. Der Herr Direktor bevorzugte Diskretion.

      Auf dem Platz vor dem Bahnhof stieg er in ein Taxi. “Kyoto Royal Hotel“, rief er dem Fahrer zu. Als sie losfuhren, bekam er einen Schreck, aber in Japan galt Linksverkehr und der schon befürchtete Unfall fand nicht statt. Das Hotel war mitten im Stadtzentrum gelegen, ein klotziger, achtstöckiger Neubau. Der Fahrer entließ ihn unter der überdachten Einfahrt. Beim Einchecken ärgerte sich Horst Griebsch, weil die Hotelangestellten seinen Namen nicht richtig verstanden. Sein Englisch war doch gut! Als er anfing, ihn mit lauter Stimme zu buchstabieren, bemerkte er, wie sich in der Mimik der Hotelangestellten eine Mischung aus Entsetzen und Faszination widerspiegelte. Schließlich bekam er ein Zimmer im 6. Stock.

      Nachdem er seine Sachen verstaut hatte, schaute er auf den Stadtplan. Der war auf Englisch und somit lesbar für ihn. Das Hotel lag dicht an der Untergrundbahn, der Tozai-Line. Morgen musste er diese Bahn nehmen, um zum KICH, der Kyoto International Conference Hall zu gelangen, wo die Konferenz stattfinden sollte.

      Inzwischen war es schon Mittag und Griebsch, der im Flugzeug eingepfercht zwischen seinem Sitznachbarn und der Rückenlehne seines Vordermannes kaum zum Schlafen gekommen war, fühlte vor Müdigkeit jede Muskelfaser in seinem Körper. Er wollte aber bis zum Abend wach bleiben und verbrachte seine Zeit mit Sightseeing. Sein erstes Ziel war das Nijo-Castle, eine alte Burg aus der Shogunzeit. Faszinierend fand er den langen Flur, der das Gebäude umgab. Der Flurboden war mit Dielenbohlen versehen, in die unsichtbar Nägel eingelassen waren. Die Nägel knarrten, wenn man darüber lief, und sollten damit dem Burgherren anzeigen, an welchem Ort sich gerade jemand befand. Solche Erfindungen gefielen Griebsch und regten seine Fantasie an.

      Er schlenderte weiter durch die Innenstadt von Kyoto und geriet in der Nähe des Bahnhofs in eine Pachinko-Halle (3), die er zunächst für ein Warenhaus hielt. Als Horst Griebsch durch die gläserne Tür trat, gelangte er in eine lärmumtoste Halle, die durch schmale Gassen, welche links und rechts von Spielautomaten umsäumt waren, unterteilt war. Vor den Automaten sitzend, sahen die Spieler wie hypnotisiert dem Fall Hunderter kleiner Stahlkugeln nach, die sich an Stahlstiften vorbei, wie in einem Hindernislauf, durch den Automaten bewegten. Die englische Aufschrift Million schien zu besagen, dass man etwas

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