Rizin. Lothar Beutin
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In diesem Moment hörte Horst Griebsch sein Herz und seinen Atem lauter als alle anderen Geräusche im Saal. Er stand auf und die meisten Teilnehmer nahmen ihn zum ersten Mal bewusst wahr, als er mit seinem Manuskript in der Hand die drei Stufen an der Seite der Tribüne hoch zum Rednerpult strebte. Von oben blickte er in den halbdunklen Saal und war froh, nur die ersten zwei Reihen seiner Zuhörer zu erkennen. In der ersten Reihe saß Sarah Ferguson, neben ihr der Engländer Smith und ein paar Sitze weiter, Duval. Griebsch hatte sich seinen Vortrag so oft selbst gehalten, dass er ihn fast auswendig konnte. Allerdings hatte er dreißig Minuten eingeplant und Bedenken, dass ihm diese Zeit wegen Yamaguchi nicht mehr gewährt würde. Er begann überhastet. Nach den ersten einführenden Worten geriet er ins Schwimmen, als er über Dinge redete, die er nur vom Hörensagen kannte. Aber der Saal blieb ruhig und Griebsch schaffte es, seinen Vortrag in fünfundzwanzig Minuten zu Ende zu bringen. O’Reilly war sichtlich zufrieden, bedankte sich und meinte, nach diesem sehr interessanten Vortrag wäre sicherlich Bedarf für Fragen. Prompt hoben sich mehrere Hände. Ein Assistent lief mit einem Mikrofon in der Hand an den Sitzreihen entlang, bis er haltmachte. Griebsch schaute ihm hinterher und sah Sarah Ferguson, die das Mikrofon in die Hand nahm und sich vorstellte: „Sarah Ferguson, Fort Detrick“, um Griebsch nach Einzelheiten zur Herstellung der Rizinvakzine zu fragen.
Griebsch, dessen Ausführungen oberflächlich, aber inhaltlich brisant gewesen waren, war von der gezielten Frage überrascht. Aber dann fiel ihm doch eine passende Antwort ein: „I think this is not the place to go into the experimental details. (7)”
Die Amerikanerin musterte ihn von oben bis unten, drehte sich dem Auditorium zu und kommentierte: „I’ve got the impression that some people just present their ideas. But we want facts and not fiction.“ (8) Sie gab das Mikrofon zurück und setzte sich, ohne Griebsch noch eines Blickes zu würdigen. Dann begann sie mit ihrem Sitznachbarn Smith zu tuscheln, der wiederholt heftig nickte. Griebsch fühlte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss, wahrscheinlich war er knallrot geworden.
Mit so einer Erwiderung hatte er nicht gerechnet, aber jetzt kam schon die nächste Frage aus dem Teilnehmerkreis. Allerdings hatte er Mühe, diese überhaupt zu verstehen. Ein Australier aus einer der hinteren Reihen, Calderon oder Cameron, artikulierte mit einem für Griebsch kaum verständlichen Akzent und zwang ihn dadurch, zweimal nachzufragen. Als es zu peinlich wurde, antwortete Griebsch eben so gut, wie er meinte, den Australier verstanden zu haben. Dann bemerkte er, wie dieser schon das Interesse verloren hatte, um sich mit einem kurzen „Okay, thank you for nothing“, wieder zu setzen.
Die zwei, drei Hände, die sich noch zu Fragen erhoben hatten, sanken herunter. Der Vorsitzende stellte noch eine Höflichkeitsfrage, die Griebsch beantwortete. Nachdem O’Reilly allen Rednern gedankt hatte, schloss er die Session für die Mittagspause. Sofort erhoben sich die Anwesenden von ihren Stühlen, der Geräuschpegel im Saal stieg an, das Redebedürfnis machte sich nach den drei Stunden erzwungener Ruhe Bahn. Die Menge strebte dem Ausgang zu, um sich ein Stockwerk höher in einem dafür vorgesehenen Saal zum Lunch zu begeben.
Stufe für Stufe stieg Griebsch von der Rednertribüne hinab in den Saal. Er schaute sich um, ob jemand ihn auf seinen Vortrag ansprechen wollte, aber fast alle waren bereits nach draußen geeilt. O’Reilly ordnete seine Unterlagen und beachtete ihn nicht, also schloss sich Griebsch der Menge an. In dem Saal, wo das Mittagessen serviert wurde, standen eine Anzahl gedeckter, runder Tische. Viele waren schon mit zwei oder mehr Teilnehmern besetzt. Augenpaare hielten Ausschau nach Bekannten, mit denen sie gerne zusammen essen wollten. Im Vorbeigehen sah Griebsch einen voll besetzten Tisch, an dem Sarah Ferguson angeregt mit ihren Sitznachbarn Smith und Duval plauderte. Ein Stück weiter einen anderen, der ausschließlich von Südamerikanern besetzt war, und an einem weiteren Tisch sah er Yamaguchi mit dem Bürgermeister von Kyoto und anderen Japanern in einer Runde sitzen. Schließlich entschied er sich, an dem letzten noch freien Tisch Platz zu nehmen, womit ihm die Peinlichkeit der Frage, ob der Platz noch frei wäre, erspart blieb.
Horst Griebsch blieb nicht lange allein, ihm gegenüber nahmen drei Asiaten Platz. Von ihren Namensschildern konnte Griebsch ablesen, dass sie aus Malaysia, Indonesien und Singapur kamen. Die drei Männer begrüßten ihn höflich und sprachen untereinander in einem Idiom, das er nicht verstand. Griebsch drehte seinen Stuhl halb in die Richtung des Saals, um die Ankommenden zu sehen, als er die junge Anna aus Warschau bemerkte, die er bei der Registrierung am Morgen getroffen hatte. Sie schien ihn wiederzuerkennen. Horst Griebsch rückte mit seinem Arm den freien Stuhl neben sich ein Stück weiter weg vom Tisch, als Zeichen, dass der Platz neben ihm noch frei war. Anna zögerte und als sie in seine Richtung gehen wollte, kreuzte ein anderer Teilnehmer ihren Weg und sprach sie an. Er zeigte auf einen anderen Tisch und mit seiner freien Hand, die er für einen Moment leicht auf ihren Oberarm legte, lenkte er Anna in die Richtung zweier Plätze, die noch unbesetzt waren.
Anna schien das nicht unrecht zu sein und Griebsch drehte seinen Kopf betont langsam wieder zurück auf seinen Tisch. Sein Blick fiel auf die drei Asiaten, welche alles mitbekommen zu haben schienen und ihn angrinsten. Zu seinem Glück waren die beiden Stühle rechts neben ihm inzwischen besetzt. Er schielte auf die Namenschilder, sein Sitznachbar kam aus Österreich. Neben ihm saß eine Frau, deren Namen Griebsch nicht lesen konnte. „Kerner, vom Biotest-Institut aus Graz“, stellte sich sein Nachbar vor und Griebsch war froh, jemand an der Seite zu haben, mit dem er Deutsch reden konnte.
„Dr. Domenescu from Bukarest“, stellte Kerner ihm die Frau vor.
Griebsch nickte ihr desinteressiert zu. „Nice to meet you”, sagte er.
„I was listening to your interesting presentation (9)“, sagte die etwas korpulente Frau Domenescu, aber Griebsch freute sich nicht darüber. Wer war schon diese Frau? Der Frust, wie Sarah Ferguson ihn nach seinem Vortrag abgekanzelt hatte und die Enttäuschung, dass Anna sich lieber zu dem Jüngeren an den Tisch gesetzt hatte, waren noch zu frisch. Kerner begann, mit Griebsch und Frau Domenescu über seine Arbeit zu reden. Er war ein Koordinator. Seine Aufgabe war es, zwischen staatlichen Stellen und der Industrie zu Fragen des Bioterrorismus zu vermitteln. Frau Domenescu erschien ihm wegen ihrer Verbindungen aus der sowjetischen Zeit interessant, was er Griebsch zwischendurch ins Ohr flüsterte.
„Herr Professor Griebsch, ich bin froh, Sie endlich persönlich kennenzulernen“, hörte Griebsch eine Stimme von seiner linken Seite. Er schaute sich um. Auf dem Stuhl, den er für Anna vorgesehen hatte, saß ein Mann circa Ende dreißig, eine elegante Erscheinung in einem hellen Anzug. Sein Gegenüber sprach Deutsch mit einem leichten Akzent, den Griebsch nicht einordnen konnte. Er sah seinen neuen Tischnachbarn genauer an, aber bevor er noch etwas erwidern konnte, traten überall Kellner an die Tische und trugen eine Misosuppe als Vorspeise auf. Nach einem Moment des Schweigens und Löffelns fragte Griebsch seinen Nachbarn, woher er ihn kenne. Eigentlich hätte er ihn gerne gefragt, wer er sei,