Begegnung der vierten Art. Jay Baldwyn

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Begegnung der vierten Art - Jay Baldwyn

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besuchen. Papa graust es immer vor dem langen Flug. Er lässt lieber mich kommen.«

      Kaden und Kamile ließen den Tag mit mehreren Gläsern Wein ausklingen. Sie strahlten sich an, und es zeichnete sich bereits ab, dass sie mehr als Sympathie füreinander empfanden.

      Als Kaden schon sehr früh am Morgen von Vogelgezwitscher geweckt wurde, da er gern bei offenem Fenster schlief, stand er auf, trat ans Fenster und atmete die frische Luft. Da sah er plötzlich Kamile von der Straße her in den Garten kommen. Sie trug über ihrer Nachtwäsche nur einen dünnen Mantel, wirkte wie in Trance und schien ihre Umgebung kaum wahrzunehmen. Sie war ungeschminkt und hatte etwas wirre Haare.

      Kaden lief leise die Treppe hinunter, als sie bereits das Haus betrat. Zunächst bemerkte sie ihn nicht einmal. Erst als sie über den Fußabstreifer stolperte, schien sie wie aus einem Traum zu erwachen.

      »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er vorsichtig.

      »Wie? Ja, ja. Es ist mir nur etwas peinlich, Ihnen im Nachthemd zu begegnen.«

      »Das muss es nicht. Sie sehen auch so ganz reizend aus. Waren Sie in dieser Aufmachung unterwegs?«

      »Offensichtlich. Das passiert mir öfter. Ich war wohl wieder auf dem Monte, ohne mich erinnern zu können, warum und was dort geschah. Scheinbar bin ich unter die Schlafwandler gegangen. Einmal habe ich das mit umgekehrten Vorzeichen erlebt. Als ich morgens ein Stück den Monte hinaufging, fand ich dort Giancarlo vor. Er machte einen verwirrten Eindruck und konnte sich nicht erinnern, wie er dort hingekommen war. Ich habe ihn dann nach Hause begleitet. Seitdem sehen wir uns ab und zu.«

      »Kann man diesen Giancarlo mal kennenlernen? Wie heißt er weiter und wo wohnt er?«

      »Caprese, Giancarlo Caprese. Er wohnt nur ein paar Querstraßen weiter. Ganz allein. Ich könnte ihn anrufen. Doch zunächst möchte ich mir erst einmal etwas anziehen.«

      »Tun Sie das. Ich mache derweil Frühstück.«

      Wenig später kam Kamile in die Küche. Sie trug ein hübsches Kleid, hatte ein wenig Make Up aufgelegt, und ihre Haare waren ordentlich frisiert. Als sie sich an den Tisch setzte, senkte sie verschämt den Blick.

      »Sie müssen ja einen schönen Eindruck von mir bekommen«, sagte sie leise.

      »Machen Sie sich darüber bitte keine Gedanken. Ich bin nur in Sorge, dass Ihnen unterwegs etwas passieren könnte.«

      »Bisher hatte ich immer Glück. Außer ein paar Schrammen habe ich keine ernsthaften Verletzungen davongetragen.«

      »Und Sie wissen wirklich nicht, was in der Zwischenzeit geschehen ist?«

      Kamile schüttelte den Kopf.

      »Weshalb vermuten Sie, auf dem Monte Musinè gewesen zu sein?«

      »Weil mich irgendetwas dort immer wieder hinzieht. Einmal bin ich auch schon dort erwacht und habe zugesehen, dass ich so schnell wie möglich nach Hause komme.«

      »Spannend, aber irgendwie auch unheimlich.«

      »Wem sagen Sie das?«

      »Glauben Sie, es hat etwas mit den Lichterscheinungen rund um den Berg zu tun? Könnte es Ihnen wie Luca, dem Freund Ihres Vaters, gegangen sein? Um es konkret auszudrücken: Halten Sie es für möglich, Opfer einer Entführung durch Außerirdische geworden zu sein?«

      »Ich weiß es nicht. Wenn es sich so verhält, habe ich keinerlei Erinnerung daran. Was nur folgerichtig wäre, dam man sagt, man würde mit gelöschter Erinnerung zurückgeschickt werden. Aber so lange man mich überhaupt wieder zurücklässt … Nicht dass ich mich auf einem anderen Planeten wiederfinde.« Kamile lachte, obwohl ihr eher zum Weinen zumute war.

      »Ich kann Ihre Aufregung verstehen. Und möchte nicht gern mit Ihnen tauschen. Aber irgendeinen Sinn muss das Ganze doch haben.«

      »Bestimmt, doch die Antwort darauf möchte ich, glaube ich, gar nicht so genau wissen.«

      »Weiß Ihr Vater Bescheid?«

      »Nein, ich würde Sie auch bitten, ihm nichts davon zu erzählen. Er würde keine ruhige Minute mehr haben.«

      »Von mir wird er nichts erfahren. Aber Sie sollten überlegen, ob Sie ihn nicht doch vorsichtig einweihen. Damit es ihn nicht unvorbereitet trifft, falls Sie eines Tages ganz verschwinden. Verzeihen Sie, dass ich so offen rede.«

      »Das ist schon in Ordnung. Ich habe mir das alles schon so oft selbst gesagt. Ich glaube, Sie sollten sich jetzt langsam auf den Weg machen.«

      »Ehrlich gesagt, habe ich keine große Lust, und lasse Sie nicht gerne alleine.«

      »Gehen Sie nur. Ferri weiß einige spannende Dinge zu berichten. Und mir wird schon nichts geschehen. So schnell hintereinander ist es noch nie passiert.«

      »Gut, wenn Sie meinen. Dann freue ich mich auf heute Abend.«

      »Ja, ich auch.«

      Kaden machte sich also auf den Weg zur Sacra San Michele auf dem Pirchiriano. Mit dem Auto brauchte er nur eine knappe halbe Stunde. Kurz nach seinem Ankommen traf auch Danielo Ferri ein. Der stellte sich als ein Mann mit jungenhaftem, alterslosem Gesicht heraus, dessen auffälligste Merkmale seine dunklen, verwuschelten Haare und seine lebhaften, hellen Augen waren.

      »Genießen Sie den Blick von hier oben auf das Susatal und den Monte Musinè direkt gegenüber«, sagte er lächelnd. »So etwas wird Ihnen nicht oft geboten.«

      »Ja, es ist sehr beeindruckend.«

      »Wissen Sie, wie es zur Errichtung der Abtei kam?«

      »Soviel ich weiß, hat ein Bischof eine Lichterscheinung über dem Pirchiriano beobachtet und beschlossen, hier eine Klosterkirche bauen zu lassen.«

      »Ja, das ist eine Interpretation, die den Anhängern der Prä-Astronautik, zu denen ich auch gehöre, sehr zu passe kommt. Die offizielle Version ist, dass der Erzbischof von Ravenna sich als Einsiedler auf den Berg zurückgezogen hat. Deshalb gilt er als Gründer der klösterlichen Niederlassung. Die Erbauung der romanischen Anlage, die über einer kleineren Kirche entstand, zog sich über drei Jahrhunderte hin. Sie diente dem Schriftsteller Umberto Eco als Vorlage für seinen Bestseller „Der Name der Rose“.«

      »Ach, dann ist vielleicht auch der Film hier entstanden?«

      «Leider nicht, aus Platzgründen konnte hier nicht gedreht werden. Geweiht wurde die Abtei dem Erzengel Michael. Und jetzt wird es richtig interessant. Sie bildet nämlich nur einen Punkt auf der sogenannten St. Michaels Linie.«

      »Wenn ich nicht irre, gehören noch zwei weitere Klöster in Italien und der Mont Saint-Michel in Frankreich dazu«, sagte Kaden.

      »Sehr richtig. Sie beginnt in Irland mit dem Skelling Michael, führt weiter mit dem St. Michael es Mount in Cornwall, UK, einer Gezeiteninsel wie der Mont Saint-Michel, geht von hier aus zur Chiesa di San Galgano, zur Tempi o di San Michele di Perugia und zur Santuario di San Michele del Gargano. Damit verlässt sie Italien und setzt sich in Griechenland in Delphi, Delos und Symi fort. Des Weiteren in Kourion – Zypern und endet auf dem Berg Karmel in Israel.«

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