Greta und das Wunder von Gent. Katja Pelzer

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Greta und das Wunder von Gent - Katja Pelzer

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in einem Brief. Briefe bekam Greta ohnehin nur noch selten in Zeiten von E-Mail und Kurznachrichten. Als Teenager hatte sie einige erhalten. Ihr erster Freund hatte ihr mit vierzehn Jahren in die Sommerferien hinterhergeschrieben. Er hatte Fotos beigelegt. Eines zeigte ihn mit schiefgelegtem Kopf am Briefkasten des Familienferienhauses, wo er vergeblich auf Antwort gewartet hatte. Sein trauriger Blick erinnerte Greta ein wenig an seinen Hund – einen Basset.

      Zwei Sommerferien später hatte Greta gemeinsam mit ihrer besten Freundin Miriam in Bayern einen Segelkurs belegt. Ihr damaliger Freund hatte ihr Briefe geschrieben, in denen er eine Ecke umgeknickt und Miriams Namen darauf geschrieben hatte. Öffnete diese die Ecke, stand dort „Sei nicht so neugierig“ oder „Der Brief ist für Greta“. Natürlich teilte Greta ihre Briefe jedes Mal mit Miriam. Sie war ihr bis heute als beste Freundin erhalten geblieben.

      Der Name unter dem Brief, den Greta jetzt in der Hand hielt, war derart hingeschnörkelt, dass sie ihn nur schwer entziffern konnte. Es schien Hugo zu heißen. Greta stutzte. Der Name ihres Großonkels war Carl gewesen. So viel Greta wusste, waren Mia und Carl 1933 bereits verlobt gewesen. Wer also war Hugo? Gretas Herz klopfte, als wäre sie bei einer Heimlichkeit ertappt worden. Sie beschloss, die Blechdose mit den Briefen und Heften mit nach Hause zu nehmen. Ebenso wie sämtliche Fotos. Um alles zu sortieren, würde sie eine Weile brauchen. Aber auf diese Weise konnte sie auch weiterhin Zeit mit ihrer Großtante verbringen.

      Auf der Rückfahrt dachte Greta an den poetischen Brief und an Tante Mia. Irgendwann hatte die Großtante ihr mal erzählt, dass sie ein paar Semester Kunstgeschichte in Gent studiert hatte, dem aber kaum Bedeutung beigemessen. Es war so lange her. „Wie in einem anderen Leben“, hatte die Großtante gesagt und verträumt gelächelt. Im Nachhinein hätte man einiges hineinlesen können in dieses Lächeln, dachte Greta.

      Sie war selbst nie in Gent gewesen, hatte aber vom Genter Altar gehört – einem der wichtigsten Werke des späten Mittelalters. Sie hatte sich aber nie damit beschäftigt, weil das Mittelalter nicht zu ihren Lieblingsepochen gehörte. Es waren Zeiten, als Künstler noch in Werkstätten gearbeitet hatten und von hoher Stelle finanziert worden waren. Diese Art der Unterstützung hätte auch den meisten Künstlern in Gretas Umgebung gut getan. Kaum einer der Düsseldorfer Maler und Fotografen, die sie kannte, konnte von der Kunst leben.

      Zurück zu Hause, konnte Greta es kaum erwarten, die Briefe mit der eleganten, schwarzen Schrift nach dem Datum zu ordnen. Dabei stellte sie fest, dass der Brief, den sie gelesen hatte, nicht der Erste gewesen war. Es gab noch eine ganze Reihe von Briefen, die besagter Hugo an ihre Großtante verfasst hatte. Greta suchte sich den Brief mit dem frühesten Datum heraus und begann ihn zu lesen.

       Gent, 10. April 1933

       Hochverehrtes Fräulein Mia,

       es war mir ein großes Vergnügen, heute nach der Vorlesung mit Ihnen zu plaudern. Ihr Kunstverstand ist ganz bemerkenswert. Ich habe mich selten mit einem Menschen so austauschen können über das Leben Turners, die Werke der Präraffaeliten. Über John Ruskin und die gesamte Entourage.

       Ihr Esprit, ihr Charme haben mich ehrlich gesagt überwältigt. Verzeihen Sie daher die Kühnheit meiner Frage: Würden Sie wohl bald einen Kaffee mit mir trinken gehen und dabei unser Gespräch fortsetzen? Das würde mich sehr freuen. Lassen Sie mich wissen, ob und wann es Ihnen passt. In freundlicher Verehrung, Ihr Hugo Leuvens.

      Greta hatte sich mit ihrer Großtante selten über Kunst unterhalten, eher über Politik. Sie hatten sich gemeinsam Sorgen um die Welt gemacht. Oder sich gegenseitig an die Menschen erinnert, die sie verloren hatten. Greta hatte sich dabei wie eine von zwei einsamen Inseln gefühlt, die durch eine Brücke miteinander verbunden waren. Jetzt stellte sie überrascht fest, dass die andere Insel voller Geheimnisse steckte. Gespannt nahm sie sich den nächsten Brief vor.

       Gent, 12. April 1933

       Liebstes Fräulein Mia,

       so sei es denn der Sonntag, 16. April um 15 Uhr. Mir gefällt, dass sie zunächst den Genter Altar besichtigen wollen. Er zählt tatsächlich und natürlich auch zu meinen Lieblingswerken auf der Welt. Ich bin schon bis aufs Äußerste gespannt, welche klugen Gedanken zu diesem Wunderwerke Sie mir mitteilen werden.

       In freudiger Erwartung, Ihr ergebener Hugo Leuvens.

       Gent, 16. April 1933

       Mein liebes Mia-Kind,

       was haben Sie doch für eine blühende Fantasie! Sie haben in jede Ranke dieses Meisterwerkes mehr hineingelesen als ein gestandener Kunsthistoriker im gesamten „Lamm Gottes“ an Emblematik entdeckt hätte. Ich möchte sie jedoch bitten, ihre bezaubernd wirren Gedanken nicht jedem Dahergelaufenen mitzuteilen. Er könnte das missverstehen. Ich dagegen bin umso verwirrter und taumele wie trunken durch die Gegend, seit wir uns getrennt haben. Sie haben mich beschwipst und beglückt zu etwa gleichen Teilen. Ein Zustand, in dem ich mich möglichst lange befinden möchte. Ich fürchte jedoch, dass sie ihn bald werden auffrischen müssen. Bitte, lassen Sie mich nicht zu lange auf eine Fortsetzung unserer Begegnung warten!

       In Verehrung, Ihr Hugo Leuvens.

       Gent, 17. April 1933

       Mia, oh Mia,

       Sie haben mir etwas angetan mit diesem Blick. Von unten herauf, schelmisch, dieser Bengel-Anteil und dann wieder dieser Unschuldsengel, der ihn durch Ihre langen Wimpern wegklimpert und die große Sanftheit, die Ihrem Herzen innewohnt, durchdringen lässt. All diese stummen Versprechen ihrer Weiblichkeit, sie bringen mich um.

       Ich habe Gerüchte läuten hören, wonach Sie bereits einem anderen versprochen sind. Ist das wahr? Bitte sagen Sie mir, dass es nicht stimmt und dass ich noch hoffen darf!

       In banger Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich, Ihr Hugo Leuvens. (Um den Verstand gebracht, aber nicht ohne Verständnis.)

      Greta war so vertieft, dass sie fast vergessen hätte zu atmen.

      An dieser Stelle brauchte sie eine Pause. Zu sehr wühlten sie die Briefe auf. Schon lange war sie nicht mehr so berührt worden. Hinzu kam die Verwunderung über diese Liebelei ihrer Großtante oder als was auch immer sich die Beziehung ihrer Großtante zu diesem Hugo Leuvens während der weiteren Lektüre herausstellen würde. Greta wunderte sich, dass ihr die geliebte Großtante niemals von dem Mann erzählt hatte, der ihr so unverblümt und auf so gekonnt charmante Weise den Hof gemacht hatte.

      Sie war ziemlich sicher, dass ihre Großtante den Großonkel bereits Ende 1932 kennengelernt hatte. Von ihrer ersten Begegnung an der Universität in Bonn hatten beide häufig erzählt. Carl hatte dort Ingenieurswesen studiert. Doch er hielt sich oft in der geisteswissenschaftlichen Fakultät auf. Wegen der hübschen Frauen, wie er augenzwinkernd betonte. Carl hatte Mia in der Mensa angesprochen. Sie war ihm aufgefallen, weil sie während des Essens still in ein Buch vertieft gewesen war. „Wie eine Madonnenerscheinung“ hatte sie auf Carl gewirkt.

      Dass eine Frau studierte, war in ihrer Generation durchaus etwas Besonderes gewesen, hatte die Großtante nicht ohne Stolz erzählt. In jener Zeit wurde der Zollstock bei einer Frau vor allem bezüglich ihrer Fähigkeiten als Hausfrau und Mutter angelegt. Man maß sie darüber hinaus vielleicht noch an ihrer Schönheit. Mia hatte das Glück gehabt, dass ihr Vater die Auffassung vertrat, dass Bildung die einzige Währung sei, die keiner Inflation ausgesetzt war. Sie dankte es ihm, indem

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