Greta und das Wunder von Gent. Katja Pelzer

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Greta und das Wunder von Gent - Katja Pelzer

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Hafen geworden. Der Tod ihres Neffen hatte die alte Frau tief betrübt. Doch sie ließ sich das kaum je anmerken. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Greta aufzufangen. Als Erstes hatte sie ihre Großnichte herzlich in den Arm genommen und die viel größere Greta gewiegt wie ein Baby. In Greta hatte sich für den kurzen Moment, den diese Umarmung gedauert hatte, der Trauerflor leicht gelüftet. Ebenso wie an manchem Wochenende, an dem die Großtante sie nun bekocht hatte. Sie hatte Greta ihre schaumige Orangencreme zum Nachtisch bereitet, die auf der Zunge prickelte durch den Zitronensaft, der hineinkam. Oder ihren feinen Kirschkuchen gebacken. Das Essen hatte Greta – abgesehen davon, dass es köstlich gewesen war – ganz nebenbei mit Geborgenheit versorgt.

      Greta und Tante Mia hatten sich über Literatur unterhalten und darüber, was der Sinn des Lebens sei.

      „Das Leben selbst“, hatte die Großtante gesagt. „Und die Liebe, in jeglicher Form.“

      Dann hatte sie von Onkel Carls Großmut geschwärmt und dass er niemals Schlechtes über andere Menschen gesagt hatte.

      „Es steht uns nicht zu, über andere zu urteilen“, war einer seiner Leitsprüche gewesen. Oder: „Wenn man nicht selbst drinsteckt, kann man es nicht beurteilen.“

      Greta hatte in einem dieser innigen Momente gefragt, ob sich Carl und Mia niemals Kinder gewünscht hätten. Sie hätten ihnen doch so viel mit auf den Weg geben können. Großtante Mia hatte gesagt, dass ein Kind keinen Platz gehabt hätte in ihrem Leben. Außerdem hätte sie durch die ständigen Reisen der Großeltern viel Zeit mit Gretas Vater verbracht. Damit war das Thema beendet gewesen.

      Greta hatte zu ihrem Vater ein emotionaleres Verhältnis gehabt als zu ihrer Mutter. Greta hatte in ihr eher die Frau bewundert, statt sie als Mutter wahrzunehmen. Sie hatte etwas Unnahbares gehabt. Greta erinnerte sich genau an das Gefühl, wenn die Mutter ihr mit der Hand über den Arm fuhr. Es sollte wohl Streicheln sein. Doch ihre überlangen, perfekt manikürten Fingernägel jagten dem Mädchen Schauer über den Rücken.

      Greta hatte den Eindruck gehabt, als konkurrierte die Mutter mit ihr um die Liebe des Vaters. Dabei hatte Greta in dieser Hinsicht ohnehin auf verlorenem Posten gestanden. Eine unzertrennliche Einheit hatten sie gebildet, ihre Eltern. Schon Nick war nicht dazwischen gekommen.

      Einmal in der Woche hatte Greta sich nach dem Tod ihres Vaters mit ihrer Mutter bei einem netten kleinen Nachbarschaftsitaliener zu mediterraner Hausmannskost getroffen. Dabei hatte sie zusehen können, wie sich die Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte, allmählich in Luft auflöste. Ihr Teller war nach dem Essen jedes Mal beinahe unberührt gewesen.

      Nick war nicht wie Greta mit der Mutter essen gegangen. Dabei hätte sie auf ihn vielleicht sogar gehört. Dass er sich nicht kümmerte, verletzte sie jetzt mit einem Mal zutiefst. Doch das sagte sie nicht Nick, sondern hielt es Greta vor.

      „Was soll ich noch hier?“, hatte die Mutter gefragt, als Greta ihr nahelegte, sich psychologischen Beistand zu holen. „Es ist doch niemand mehr da, der mich braucht.“

      Greta fand das verletzend und sagte es auch. „Außerdem geht es im Leben nicht nur darum, gebraucht zu werden. Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst“, hörte Greta sich trotzig einen der Leitsätze von Tante Mia nachsagen.

      „Was weißt du denn schon? Du bist noch so jung.“

      „Aber ich habe Papa genauso verloren wie du“, sagte Greta. Im selben Augenblick hatte sie gewusst, dass dieser Satz ein Fehler gewesen war.

      „Maße dir bitte nicht an, unsere Beziehung nachvollziehen zu können. So etwas hast du noch nie erlebt. Und wenn du so weitermachst mit deinen Berührungsängsten, dann wirst du es auch niemals erleben.“

      Greta war beinahe froh gewesen über die Aggressivität in der Stimme ihrer Mutter. Sie hatte sie als einen Rest von Überlebenswillen gedeutet. Wie sehr sie sich getäuscht hatte. Die Mutter hatte Raubbau an ihrem Körper betrieben. Irgendwann versagte ihr das Herz den Dienst.

      Erst als auch die Mutter gestorben war, verstand Greta, was es hieß, ganz auf sich gestellt zu sein, konnte sie ermessen, wie viel die Eltern ihr gegeben hatten, trotz ihrer symbiotischen Beziehung.

      Greta gestand sich ein, dass sie genau danach suchte. Nach einem Band vergleichbar dem, das ihre Eltern verbunden hatte. Nur in einem wollte sie den beiden nicht nacheifern. Sollte sie je Kinder bekommen, sollten sich diese nicht davon ausgeschlossen fühlen, sondern genährt.

      Kapitel 2

      Ihre Kindheitsfreundin Miriam ließ Greta nach dem Tod der Mutter nicht zur Ruhe und auf dumme Gedanken kommen. Greta und Miriam gingen in die Düsseldorfer Altstadt, meistens auf die Ratinger Straße, mal abends, mal morgens. Sie aßen riesige Salate oder überbordende Frühstücksteller in der Uel, was rheinisch war für Eule, und tanzten nächtelang im Ratinger Hof, wo einst der Punk erfunden worden war. Doch längst war die ehemalige Künstlerkneipe zahm geworden.

      Am Wochenende gingen sie im Rheinstadion schwimmen oder in Kaiserswerth spazieren. Dort kehrten sie anschließend im Biergarten Ritter ein. Lernten Männer kennen, denen sie nicht ihre Telefonnummern gaben.

      Manchmal gingen sie sonntags in die Jazzkneipe Miles smiles, um Livemusik zu hören, wenn es einmal nicht die Ratinger Straße sein sollte. Dort lernte Miriam irgendwann ihren späteren Mann kennen, mit dem sie mittlerweile zwei Kinder hatte.

      Während all dieser Zeit war Greta eine Beobachterin gewesen. Das Leben schien sich auf einer Leinwand abzuspielen und sie schaute den anderen zu. Bei ihren Lieben und Abenteuern. Greta war auf der sicheren Seite. Gefühle aus zweiter Hand taten nicht weh, blieben ohne Konsequenzen. Gleichzeitig sehnte sie sich in einer der hintersten Ecken ihres Herzens nach eigenem Erleben. Nach einer Liebe, wie ihre Eltern sie ihr vorgelebt hatten, wenn dieses Vorbild sie häufig genug auch hemmte.

      Regelmäßig hatte das Leben Greta einen Mann vor die Füße gespült wie Strandgut. Sie hob es auf, besah es von allen Seiten und warf es zurück in die Wellen. Es passte nicht. Der Aufwand lohnte nicht. Franz, David, Andreas – Namen ohne Belang. Für eines dieser störanfälligen Ökosysteme, genannt Paarbeziehung, taugten sie alle nicht.

      Dann kam Daniel. Greta war gerade

      dreißig geworden und schon ein paar Jahre Kulturredakteurin. Daniel war Reporter bei der gleichen Zeitung, für die Greta immer noch arbeitete.

      Sie waren sich auf einer Jubiläumsfeier des Verlags begegnet, bei dem das Blatt erschien. Greta war beim Umdrehen am Buffet versehentlich gegen sein Rotweinglas gestoßen und danach war Daniels Hemd ruiniert.

      Er hatte genervt geschaut. Als er aber ihr erschrockenes Gesicht gesehen und ihr entsetzt hingeworfenes „Oh nein! Entschuldigung!“ vernommen hatte, sagte er lachend: „Ein Glück! Das Hemd muss ich jetzt nicht mehr anziehen. Ich hasse Hemden. Ich komme mir da drin verkleidet und eingesperrt vor wie bei meiner eigenen Konfirmation. “

      Greta hatte erleichtert in sein Lachen eingestimmt und danach war Daniel ihr für den Rest des Abends nicht mehr von der Seite gewichen.

      Daniel war groß, hatte breite Schultern und schwarzes Haar, dessen Strähnen ihm häufig in die hellgrünen Augen fielen. Doch das Erste, was Greta auffiel, war seine Stimme. Sie war tief, voll und doch weich und erreichte sie sofort.

      Der gemeinsame Beruf verband sie kaum, denn Daniel interessierte sich nicht sonderlich für Kultur. Die einzige Ausnahme waren Filme. Doch hier kamen sie selten auf einen gemeinsamen Nenner, weil

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