Das Leben nach Adolf Hitler. Karl-Hinrich Schlüter

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Das Leben nach Adolf Hitler - Karl-Hinrich Schlüter

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die vielen anderen Hitler auch nicht.

      Und was hat es mit dem "Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus" auf sich?

      Werfen wir darauf einen Blick:

       Richard von Weizsäcker, CDU

      Zunächst ist zu klären, dass das Ende des 2. Weltkrieges nicht „die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus“ war:

      Richard von Weizsäcker, ein sehr angesehener Politiker, Intellektueller, Bruder eines Philosophen, war Bundespräsident geworden. Ein Staatsmann! Ein Vorzeigemann ohne Fehl und Tadel…

      Der Vater stand bei den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher vor Gericht; die Verteidigung wurde von Richard, seinem Sohn, unterstützt. Ein verbaler Geniestreich gelang ihm, indem er das Kriegsende am 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus“ darstellte. Der Beifall war wie ein Aufatmen, das Sein wurde leichter. Wie eigenartig, dass sich damals nur eine winzige Minderheit befreit fühlte. Die Allermeisten waren nur maßlos enttäuscht, dass der Plan vom Endsieg nicht geklappt hatte. Auch die von den Alliierten geforderte Entnazifizierung verlief im Sande, denn viele Nazis bekleideten wieder Ämter und Posten. Konsequent durchgeführt wäre sie eine politische Entlausung gewesen. Die alten Seilschaften wirkten fort. Einer schaffte es sogar bis zum Bundeskanzler. Immerhin traute Beate Klarsfeld sich zu, Kiesinger für seine Vergangenheit zu ohrfeigen. Bravo! Hitler blieb noch lange der Maßstab und Bestandteil des Zeitgeistes, er ist es für viele immer noch. Zucht, Ordnung und hartes Durchgreifen behielten ihren Wert. Befreiung? Österreich war befreit und genau wie Deutschland besiegt und besetzt, aber ebenfalls nicht vom Nationalsozialismus befreit. Befreier hätte man freudig begrüßt, und nicht – bis zuletzt – auf sie geschossen.

      1933, Ostfriesland

      Brav zog Fanny den schweren Zigeunerwagen in Richtung Emden, aus der Leeraner Umgebung kommend. Die Straßen waren noch geklinkert, aber es ging gut voran. Solche Zigeunerwagen gibt es - in Deutschland - nicht mehr, die waren den Zirkuswagen ähnlich. Mit dem Pferdegespann war die Familie Wieseler unterwegs, ein Ehepaar mit fünf Kindern. Felix Wieseler war das Familienoberhaupt. Er stammte aus dem Rheinland und war gelernter Former. Nach einem Zwist mit seinem Vater verschlug es ihn nach Löningen, wo er seine Frau kennen lernte, die aus Elberfeld bei Wuppertal stammte. Von da an gehörten sie zum fahrenden Volk. Heute würde man sie als Kleinunternehmer bezeichnen. Sie waren Tagelöhner bei den Bauern, denen auch Körbe und Holzschuhe verkauft wurden. Die fertigte er im Winter. Nicht nur im nahen Holland gab es Klumpen, die waren auch hier sehr verbreitet. Manche Kinder mussten für den sonntäglichen Kirchgang ihre Klumpen putzen wie Schuhe, schwarz und auf Hochglanz. Bei den Bauern wurden die nach und nach – leider – von Gummistiefeln verdrängt. Das Gehen mit den starren Holzklumpen - die es im Handel immer noch gibt - ist nicht gerade sehr bequem, aber wenn Klumpen immer noch in Gebrauch wären, hätten sehr viele Leute weniger Rückenbeschwerden und wärmere Füße.

      Die Frau von Felix und Mutter der Kinder hieß Rosa. Sie war später meine Oma. Ihr ältestes Kind, das Hedwig hieß, wurde meine Mutter. Sie starb 2018 im Alter von 98 Jahren.

      Hedwig war von einem anderen Mann, der Norbert Becker hieß. Rosa und Norbert Becker wollten zusammen nach Amerika auswandern. Doch Rosa kam in andere Umstände und wollte die Reise nicht schwanger antreten. Sie hatten vereinbart, dass Rosa mit dem Kind nachkommen würde, nach San Antonio. Aus dieser geplanten Familienzusammenführung wurde nichts. Katholisch zu sein und ein uneheliches Kind zu haben, die kleine Hedwig; welche Schande zu der Zeit, 1919! Die nahm Rosa auf sich.

       Felix ist der Vater von Maria, Rosi, Gertrud und dem Jungen, der Felix heißt wie sein Vater. Er ist von den Geschwistern der letzte, der noch lebt.

      Auf halber Strecke, so etwa bei Neermoor, kam ihnen ein Gespann entgegen und man tauschte sich aus. Da hörten sie schon, daß in Emden ihre Reise enden würde. Hitlers Leute gäben derartige Anweisungen. So kam es dann auch. Sie hatten „die Wahl“, festes Quartier zu beziehen oder in ein Lager deportiert zu werden. Es war ihre Endstation wider Willen. Heimat? Ein Begriff ohne Bedeutung, nur gut für die Propaganda. Sie wurden nicht gefragt. Dabei spielte es keine Rolle, daß sie weder Sinti noch Roma waren, denn das fahrende Volk sollte von der Straße.

      Das Kommando hatte der eiserne Besen. Sie verstanden die Zigeunersprache und standen oft auf den gleichen Plätzen, die Kinder spielten trotz elterlichen Verbots miteinander. Weil sie wirtschaftlich schwach waren, wurde ihnen ein Barackenplatz in der Emder Feldmark bei Borßum zugewiesen. Nun hatten sie ein behördlich angeordnetes festes Heim. Sie fügten sich und Ostfriesland wurde ihre Heimat.

      Als Kleinkind war Hedwig in der Obhut der Großeltern gewesen. Aber dann wurde sie gebraucht, damit Rosa in den bäuerlichen Haushalten helfen konnte und auch etwas verdienen, Geld oder Deputate. Deswegen wurde sie oft vom Schulbesuch ferngehalten. Einen Schulabschluss hat sie nicht. Bei gelegentlichen Kontrollen – „Sind hier schulpflichtige Kinder?“ – kam Hedwig in die Truhenbank, auf der Rosa saß und mit Nein antwortete. Jetzt war Hedwig 14 Jahre alt und sie nahm in einer der Emder Heringsfischereien Arbeit als Viswief auf, schwere Akkordarbeit. Die Hände waren oft vom Salz zerfressen.

      Viswief: Fischweib

      1937, Spanien, Guernica

       11. März 1938: Ein Österreicher marschiert mit deutschen Soldaten in Österreich ein...

      Später tat sie das, was solche Leute eben tun: Hedwig flüchtete. Sie flüchtete sich in die Ehe mit einem gut aussehenden Soldaten. Peter Schweitzer aus Kassel war in Emden stationiert. Nein, der wurde nicht mein Vater. Hitler war wieder im Spiel. Der von ihm – natürlich nur „in bester Absicht!“ – begonnene Krieg zog die Männer fort. Also wurden die jungen Frauen „kriegsdienstverpflichtet“, das betraf auch Hedwig. Es war eine Sonderform der Leibeigenschaft, ähnlich der Wehrpflicht. (Siehe dort, Kapitel "Polizei!"). Sie musste zur Reichsbahn und fuhr als Schaffnerin. In Rheine geriet sie 1941 unter den Zug und verlor ein Bein. Als sie nach einem Jahr aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war sie Witwe. Peter hatte sich erhängt.

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       Hedwig

      Aber Hedwig zerbrach nicht. Die Natur hatte sie mit einem starken Lebenswillen, gutem Aussehen und Resilienz ausgestattet, sie wollte sich immer beweisen. Ein Holzbein, na und? Nach der Trauerzeit und noch einigen Operationen ging sie mit ihren Freundinnen tanzen, wenn die Gelegenheit sich bot. Das hatte sie schon vor dem Unfall gerne gemacht und so ihren ersten Mann kennen gelernt. Und so lernte sie auch ihren zweiten Mann kennen, einen Marinesoldaten aus Schleswig-Holstein.

      KLV

      Einige der ganz Alten dürften bei diesem Kürzel noch glänzende Augen bekommen, es bedeutet Kinder-Land-Verschickung. Hört sich doch gut an! War aber ein Teil von Zuckerbrot und Peitsche. In Emden sollten 1942 die Abiturienten per KLV nach Bad Wildungen geschickt werden und dort auch gleich die Prüfungen ablegen. Die jungen Männer rochen Lunte und wussten, dass es ein Vorwand war. Die Wehrmacht würde sie direkt danach kassieren. Sie verabredeten sich zu einer Protestaktion in der Innenstadt. Im Gänsemarsch liefen sie die Bordsteine entlang, einen Fuß immer auf der Fahrbahn. So äfften sie den hinkenden Goebbels nach. Welche Folgen das hatte, sei den Ratsprotokollen zu entnehmen. Quelle: Ostfriesen-Zeitung. Nachfragen im Stadtarchiv ergaben, dass es in der Zeit keine Ratsprotokolle mehr gab. Durch die Gleichschaltung

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