L(i)eber Bruder. Katharina Georgi-Hellriegel

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L(i)eber Bruder - Katharina Georgi-Hellriegel

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ich meinen lädierten Hintern vorsichtig auf den Sattel, mich dabei mit beiden Armen auf dem Lenker abstützend, und schließlich konnte ich mich behutsam von der rettenden Bank in Richtung Straße abstoßen.

      Es war noch nicht drei Uhr, als ich zu Hause ankam, wo ich sogleich Veranlassung hatte, die auf genetischer Basis wirkende Fortpflanzung zu preisen. Mein fast volljähriger Sohn, der vor etwa 18 Jahren ein paar Nachtaktiv-Gene aufgeschnappt haben muss, war noch wach und bereit, erste Hilfe für seinen beschädigten Vater zu leisten. Meinen Zustand registrierte er eher gelassen, obwohl es noch nie vorgekommen war, dass ich von einer nächtlichen Radtour derart ramponiert nach Hause gekommen war.

      Bald lag ich im Bett, und während ich einschlief, machte ich mir wahrscheinlich wenig Gedanken über meine Zukunft – zumindest können es kaum zutreffende gewesen sein. Wie hätte ich damals auch ahnen können, dass ich nicht nur den gerade begonnenen Sommer, sondern auch noch die darauf folgende Jahreszeit in verschiedenen Krankenhäusern würde zubringen müssen!

      Schon zwei Tage später war ich in dieser Hinsicht wesentlich klüger, als ich der Sturzfolgen wegen in der Ambulanz des Kreiskrankenhauses in G. untersucht wurde. Sehr rasch wurde nun auch das Rätsel meines Spitzbauches gelöst, als der Arzt dort eine größere Menge Wasser vorfand, welches meine kranke Leber seit Monaten ausgeschieden und angesammelt hatte. Damals hörte ich zum ersten Mal den entsprechenden Fachausdruck „Aszites“, und genauso lautete denn auch das wichtigste Argument, mit dem mir nahe gelegt wurde, am besten gleich stationär dazubleiben.

      Nach einer Bedenkzeit von zwei Tagen entschloss ich mich dazu schweren Herzens, auch jetzt noch nicht ahnend, dass es von nun an mehr als fünf Monate dauern würde, bis ich endlich wieder in die Freiheit entlassen wurde. Noch weniger konnte ich natürlich wissen, dass ich dann mit einer neuen Leber ausgerüstet in ein neues Leben würde starten können.

      

      Samstag, 26. Mai 2001

      Reinhard hat uns seit Weihnachten nicht mehr besucht, und so spreche ich ihn bei unserem heutigen Telefonat darauf an. Allerdings hat er gerade ganz andere Sorgen, denn er ist bei einer nächtlichen Fahrradtour gestürzt und offensichtlich überall grün und blau. Auch sein rechter Arm ist sehr in Mitleidenschaft gezogen, und ich empfehle ihm dringend, am Montag einen Arzt aufzusuchen, denn falls tatsächlich etwas gebrochen ist, helfen Hausmittelchen nicht. Seltsam ist allerdings, was Reinhard mir sonst noch erzählt: Obwohl er sich beim Essen sehr zurückhält und viel Sport treibt (deswegen auch der Radausflug in der Dunkelheit), nimmt er zu und hat einen aufgeblähten dicken Bauch. Sehr merkwürdig, mir fällt dazu keine plausible Erklärung ein, aber der Arzt sollte sich das auch mal ansehen.

      Mittwoch, 30. Mai 2001

      Meine Schwägerin Gabriela ruft an, um mir mitzuteilen, dass Reinhard heute ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Nicht etwa wegen seiner Sturzverletzungen, sondern wegen des Wassers im Bauch. Damit kann ich nun gar nichts anfangen, weil ich noch nie davon gehört habe, aber das Ganze klingt sehr ernst, denn offensichtlich funktioniert die Leber nicht so, wie sie eigentlich sollte. Diagnose: Leberzirrhose. Meine Schwägerin hört sich auch sehr besorgt an und fragt, ob ich nicht kommen kann, denn Reinhard ist ziemlich deprimiert. Ich verspreche meinen Besuch für das nächste Wochenende.

      Pfingstsonntag, 3. Juni 2001

      Am Nachmittag fahre ich mit dem Zug gen Norden und bin um 18.00 Uhr bei Reinhard im Krankenhaus. Ich habe ihn seit Weihnachten nicht mehr gesehen und erschrecke über seine Veränderung, denn abgesehen von dem dicken Bauch wirkt er viel dünner, obwohl er noch 88 kg wiegt, und die blauen und violetten Flecken vom Fahrradsturz ziehen sich über den rechten Arm und die gesamte rechte Körperseite. Die Leberprobleme haben sich verschärft, und nun wollen die Ärzte meinen Bruder durch die große medizinische Untersuchungsmangel drehen. Neben zahlreichen Blutentnahmen hat er bereits eine harmlose Ultraschalluntersuchung und eine weitaus belastendere, da ohne Betäubung vorgenommene Magenspiegelung hinter sich. Für die kommende Woche steht ihm auch noch einiges bevor, was sehr unangenehm klingt, aber dann wissen wir hoffentlich, was es mit diesem ominösen Wasser im Bauch auf sich hat. Er bekommt Entwässerungstabletten, damit die ca. 6-8 Liter Bauchwasser als Urin auf schonende Art und Weise ausgeschieden werden, denn vorher sind keine weiteren gründlichen Untersuchungen möglich.

      Außerdem wurden in seiner Speiseröhre Varizen festgestellt, offensichtlich so eine Art Krampfadern, die bei Nichtbehandlung jederzeit platzen können und somit hochgefährlich sind, weil der Patient in einem solchen Fall schnell verblutet. Aber auch diese kann man erst abbinden und somit veröden, wenn das Wasser im Bauch zumindest reduziert wurde.

      Reinhard, der bis auf seinen großen Autounfall vor 25 Jahren eigentlich immer der Gesündeste von uns drei Geschwistern war, kann sich mit der Krankenhaussituation nur schlecht abfinden, sieht aber ein, dass es besser ist herauszufinden, was dahinter steckt, denn so kann es auf keinen Fall weitergehen.

      Ich versuche, Frohsinn zu verbreiten, aber angesichts seines Äußeren fällt es mir schwer. Die restliche Zeit meines ausgiebigen Besuches unterhalten wir uns über andere Dinge, denn im Augenblick ist es am wichtigsten, ihn aufzuheitern und dazu zu bewegen, im Krankenhaus auszuhalten, bis die endgültige Ursache sowie die Diagnose feststehen. Leider zeigt er deutliche Fluchttendenzen, weil auch die Aussagen der Ärzte nicht eindeutig sind. Es ist von einer Autoimmunerkrankung die Rede, aber das ist bisher wohl mehr ein Verdacht, weil die Ärzte ansonsten keinerlei Anhaltspunkte haben.

      Ich übernachte bei Gabriela, und wir unterhalten uns bis 2 Uhr morgens über die dramatische Entwicklung von Reinhards Gesundheitszustand, die auch meiner Schwägerin Angst macht. Ich versuche sie zu beruhigen, aber mir muss ich eingestehen, dass mir das Ganze überhaupt nicht gefällt und ich mir große Sorgen mache.

      Pfingstmontag, 4. Juni 2001

      Den Vormittag verbringe ich wieder bei Reinhard. Der Disc-Player, den ich ihm gestern mitgebracht habe, hat ihm nachts schon gute Dienste geleistet und ihn etwas ablenken können.

      Auf der Rückfahrt überlege ich mir, Dr. H. anzurufen. Er ist Spezialist auf dem Gebiet von Hepatitis und Lebererkrankungen und ich hatte vor kurzem zufällig seine Bekanntschaft gemacht. Vielleicht kann er uns raten, was zu tun ist. Das Kreiskrankenhaus, in dem Reinhard liegt, erscheint mir trotz des neuen und tadellosen äußeren Zustands nicht das Richtige, wenn es über die üblichen und landläufigen Erkrankungen hinausgeht. Reinhard braucht einen Fachmann, der nicht nur blind im Nebel stochert, sondern weiß, was er tut und wo er ansetzen muss.

      Dienstag, 5. Juni 2001

      Dr. H. kann auf Grund der Blutwerte (Gabriela hat mich mit allen möglichen diesbezüglichen Unterlagen bestens ausgerüstet) und der Tatsachen, die ich ihm schildere, keine eindeutige und schlüssige Diagnose stellen, meint aber, es wäre sicher besser, wenn mein Bruder nach Mainz in die Uniklinik ginge, denn dort arbeiten anerkannte Leberspezialisten, die sich auskennen und sicher die Ursache der Erkrankung herausfinden werden. Auf jeden Fall handelt es sich wohl um eine ernsthafte Sache, denn ohne Grund bekommt man nicht Aszites, wie Bauchwasser medizinisch heißt.

      Reinhard nimmt meine Informationen zur Kenntnis, strebt aber momentan nur eine Entlassung aus dem Krankenhaus an und will mit den gewonnenen Untersuchungserkenntnissen lieber zu einem niedergelassenen Spezialisten gehen, um das Ganze ambulant weiter abzuklären.

      Freitag, 15. Juni 2001

      Telefonat mit Reinhard. Inzwischen hat er weitere unangenehme Untersuchungen und Behandlungen hinter sich, so z.B. die Leberpunktion und die Varizenabbindung im Rahmen einer erneuten Magenspiegelung. Mir wird ganz schlecht, wenn ich an die geschilderten Prozeduren auch nur denke, und ich würde Reinhard so gerne helfen,

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