L(i)eber Bruder. Katharina Georgi-Hellriegel

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L(i)eber Bruder - Katharina Georgi-Hellriegel

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bereits außerhalb der Klinikmauern erleben konnte. Es wurde eine ruhige Feier, da ich zu dieser Zeit fast immer müde und schlapp, also alles andere als gesund war. Das blieb auch so während der kommenden zwei bis drei Wochen, die ich deshalb zum größten Teil verdöste, verschlief oder eben auch verwartete. Zwar wusste ich nicht genau, worauf ich zu Hause wartete, aber dass es nicht um meine baldige und endgültige Genesung ging, das war mir klar, wenigstens soweit erinnere ich mich noch.

      Darüber hinausgehende Gedanken schleppten sich damals nur zögernd durch mein Hirn, denn dieses befand sich wegen der ungenügend arbeitenden Leber in einem deutlich beeinträchtigten Zustand. Das einzig Angenehme an dieser Situation war, dass ich als Besitzer eines derart getrübten Bewusstseins meine eingeschränkte Leistungs- und Leidensfähigkeit damals kaum zur Kenntnis nahm.

      So konnte es mich ein wenig später auch nicht grundsätzlich erschüttern, als ich anlässlich eines akuten Leberkomas zwar nicht gänzlich bewusstlos, aber noch weniger bei Trost als sonst in die Universitätsklinik Mainz eingeliefert wurde. Dort sollte ich während der kommenden Monate genug Gelegenheit bekommen, neue und wertvolle Erfahrungen auf dem Gebiet des Wartens zu machen; schließlich befand ich mich hier, auch wenn ich es damals noch nicht ahnte, in einer Hochburg europäischer Wartekultur und damit an einem Ort, an dem eigentlich nur der Geduldige auf Dauer existieren kann.

      Unglücklicherweise bin ich nicht besonders geduldig, aber dass ich dort mit dem Überleben während der nächsten Monate meine liebe Not hatte, war natürlich nicht so sehr darauf zurückzuführen, sondern zunächst einmal auf die erneute Ratlosigkeit der Ärzteschaft, was meine Krankheit anging.

      Die Mainzer Mediziner allerdings näherten sich dem Mangel an Erkenntnis eher wissenschaftlich – schließlich befand ich mich ja in einer Universitätsklinik. Es gab also von Neuem tatkräftige Versuche, eine Diagnose zu erstellen, und wenn auch das Ergebnis dem vorhergehenden im Kreiskrankenhaus am Ende in nichts nachstand, so benötigte man doch für mannigfaltige Untersuchungen wiederum viel Zeit, die von mir vor allem mit Warten ausgefüllt wurde. Manchmal aber sorgte das Klinikpersonal für kleine Auflockerungen in diesem langwierigen Prozess.

      So konnte es zum Beispiel geschehen, dass ich nach schwierig verbrachter Nacht in eher trüber Stimmung die erste Mahlzeit des Tages erwartete. Zu diesem Zweck beobachtete ich vom Krankenbett aus mit einiger Schärfe die über der Tür angebrachte Uhr, übrigens eine gute Methode, wenn es darum geht, die Zeit des Wartens besonders lang werden zu lassen. Plötzlich gab es eine Unterbrechung – eine halbe Stunde vor der Frühstückszeit betrat eine morgenfrische Krankenschwester mein Zimmer und rief mir fröhlich zu: „Herr Georgi, Sie wissen ja, heute gibt’s kein Frühstück wegen der Magenspiegelung!“

      Natürlich lag mir sogleich die Frage „Welche Magenspiegelung?“ auf der Zunge, aber ich begnügte mich mit einer zustimmenden Kopfbewegung, weil ich mittlerweile gelernt hatte, dass Lücken im Kurzzeitgedächtnis von Leberkranken an der Tagesordnung sind. Allerdings hatte ich manchmal den Verdacht, dass man sich dies in meiner Umgebung zunutze machte, indem man locker und wider besseres Wissen behauptete, man habe mir dies oder jenes doch erst kürzlich deutlich gesagt, und jetzt wüsste ich mal wieder nichts mehr.

      In diesem Fall aber hätte mir ein Hinweis darauf gar nichts genutzt, weil es ja schließlich keinen Grund zur Veranlassung gab. Ich brauchte, nachdem die Schwester wieder gegangen war, einfach nur weiter zu warten, lediglich das Ziel meines Strebens hatte sich geändert: Statt „Frühstück“ hieß es jetzt eben „Magenspiegelung“.

      Die Stunden kamen und gingen, meine Mitpatienten hatten sich längst das Frühstück, welches übrigens noch die am ehesten genießbare Mahlzeit des Tages war, einverleibt; ich dagegen harrte aus, mit leerem und nach wie vor ungespiegeltem Magen.

      Im Verlauf des Vormittags unterbrach ich mein Warten, indem ich durch das Anlesen einer langweiligen Geschichte einen Leichtschlaf provozierte – eine innovative Technik, die ich noch nicht oft und noch nie mit Erfolg erprobt hatte. Diesmal gelang sie auf Anhieb, und so weckten mich erst die klappernden Geräusche wieder, die beim Austeilen des Mittagessens entstanden. Nicht dass ich auf diese bescheidene Mahlzeit besonders scharf gewesen wäre, aber um mich zu vergewissern, ob ich als medizinisches Untersuchungsobjekt überhaupt noch von Interesse war, erkundigte ich mich beiläufig aus dem Bett heraus nach der anberaumten Untersuchung.

      „Das kann jetzt jeden Moment passieren!“, überraschte mich der freundliche Pfleger und fügte in vertraulichem Ton hinzu: „Wissen Sie, am Montag ist ziemlich viel los in der Gastroskopie, da kann es schon mal ein bisschen länger dauern!“

      Nach einer weiteren halben Stunde, ich hatte gerade erst so richtig mit dem Weiterwarten begonnen, erschreckte mich fast die plötzliche Aufforderung der Stationsschwester, eben sei angerufen worden, und ich solle mich jetzt ganz schnell in den ersten Stock begeben. Sie drückte mir meine Krankenakte in die Hand und ich trabte los.

      Acht Stockwerke tiefer sprach ich bei einer weiß bekleideten jungen Dame vor, die offensichtlich mit meinem Kommen gerechnet hatte. Flink entnahm sie mir die mitgebrachten Papiere und gab mir im Gegenzug einen wertvollen Hinweis: Ich möge doch einfach das nächstgelegene Wartezimmer aufsuchen, was ich dort zu tun hätte, wüsste ich ja sicher.

      Normalerweise wäre nun stundenlanges weiteres Warten mein Schicksal gewesen, aber diesmal hatte ich, durch Erfahrung klug geworden, heimlich vorgesorgt. Kaum dass ich in dem nur schwach besetzten Raum Platz genommen hatte, schlug ich auch schon demonstrativ mein mitgebrachtes Buch auf und signalisierte den Wartegöttern auf diese Weise, dass mich erneuter Zeitverzug keineswegs schrecken könne, weil ich auf alles vorbereitet sei. Tatsächlich trat nach wenigen Minuten die von mir beabsichtigte Wirkung ein. Etwa so, wie ein mitgenommener Regenschirm die Verantwortlichen davon abzuhalten vermag, Regen zu produzieren, brachte es das beschwörend aufgeschlagene Buch zustande, nach wenigen Minuten einen Arzt vor mich hin zu zaubern, der mich sogleich tatendurstig begrüßte. Gleich anschließend begann er, ohne das Wort „warten“ auch nur in den Mund zu nehmen, mit Hilfe einer mitgebrachten Assistentin die Spiegelung meines Magens nicht nur vorzubereiten, sondern auch durchzuführen.

      Viel später, als ich nach vollbrachter Untersuchung immerhin noch vor Anbruch der Dunkelheit auf die Station zurückgekehrt war und zufrieden in meinem aufgewärmten Mittagessen herumstocherte, war ein Kliniktag zu Ende gegangen, der – gemessen an manch anderen – durchaus das Prädikat „erfolgreich“ verdient hatte.

      Dieser Bericht über das Warten an der ehrwürdigen Universitätsklinik Mainz wäre nicht vollständig, wenn die Schilderung einer wahrhaft erhabenen Szene unterbleiben würde, die sich mir unauslöschlich ins Gedächtnis eingegraben hat. Sie spielte viele Monate nach meiner Transplantation, in einer Zeit also, in der mein Gedächtnis wieder gut funktionierte, und ich kann sie deshalb detailliert und authentisch wiedergeben.

      Schauplatz ist die Hautklinik, ein nicht mehr ganz neues Hochhausgebäude auf dem weitläufigen Klinikgelände, äußerlich eher unscheinbar, aber das halbdunkle, geräumige Innere enthält alles, um auch den verwöhnten Freund des besonderen Warteerlebnisses jederzeit und vollständig zufriedenstellen zu können.

      Wäre es nicht vom Baujahr des Hauses her ausgeschlossen, so würde es mich nicht wundern, wenn in einem der vielen spärlich beleuchteten Flure neben all den farbenprächtigen Hinweisschildern eine Messingtafel daran erinnern würde, dass hier einst auch Franz Kafka behandelt worden sei oder wenigstens versucht habe, zu einem der vielen, in schwer zugänglichen Behandlungsräumen verborgenen Hautärzten vorzudringen.

      Genau das war jetzt meine Aufgabe. Ich wurde von meiner Stammklinik, in der ich diesmal nur für ein paar Tage blieb, mit einem Überweisungsschein hierher geschickt, der einen Arzt dieser Klinik zu einer Untersuchung meiner Körperoberfläche berechtigte. Es sollte nachgesehen werden, ob sich irgendwelche Hautveränderungen nach der Transplantation zeigten, die mittlerweile schon fast ein Jahr zurücklag.

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