L(i)eber Bruder. Katharina Georgi-Hellriegel

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L(i)eber Bruder - Katharina Georgi-Hellriegel

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      Sonntag, 17. Juni 2001

      Besuch von Conrad, mit dem ich natürlich auch wieder vor allem über die plötzliche Erkrankung unseres Bruders spreche. Während eines gemeinsamen Telefonanrufs bei Reinhard erzählt der davon, dass die Varizenabbindung vorgestern stattfinden soll, korrigiert sich dann auf übermorgen, aber natürlich meint er, dass sie bereits stattgefunden hat. Ich bin sehr beunruhigt über diese offensichtliche Verschlechterung seines Befindens nach einer so genannten Bewusstseinsstörung, die dazu führte, dass er nicht mehr richtig schreiben kann und offensichtlich auch Wortfindungsprobleme hat. Mit Conrad, der nach mir mit ihm spricht, verläuft die Unterhaltung etwas besser und ohne größere Ausfälle, aber auch er hält Reinhards Zustand für sehr ernst.

      Beim anschließenden Gespräch mit Dr. H., den ich in meiner Verstörtheit trotz Wochenende anrufe, erfahre ich, dass Ammoniak, das bei Aszites freigesetzt wird, das Gehirn vergiftet und deshalb Aussetzer wie gerade bei Reinhard ganz normal sind. Aber Dr. H. macht mir Hoffnung, dass diese Bewusstseinsstörungen nach erfolgreicher Behandlung wieder vergehen und nichts zurückbleibt. Da er so gelassen bleibt, werde auch ich wieder etwas ruhiger.

      Mittwoch, 20. Juni 2001

      Reinhards 52. Geburtstag. Sein schönstes Geschenk ist wohl, dass er heute aus dem Krankenhaus entlassen wird. Wir alle hoffen natürlich, dass das Schlimmste hinter ihm liegt, aber irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl und glaube nicht, dass dies schon alles gewesen ist.

      Montag, 25. Juni 2001

      Reinhard ist sehr schwach und müde, liegt viel im Bett, darf kein Salz und keine Milchprodukte zu sich nehmen und nur wenig trinken. Er hat sehr abgenommen und wiegt nur noch 75 kg (bei einer Größe von immerhin 1,83 m), und doch werten wir dies als positive Nachricht, denn es bedeutet, dass das Bauchwasser besiegt ist. Fast täglich erfolgen Kontrollen beim Gastroenterologen, doch ich habe den Eindruck, dass nur wenig vorangeht. Das ist auf jeden Fall kein Zustand, der lange andauern kann, sondern bestenfalls eine Zwischenlösung.

      Eine positive Nachricht gibt es jedoch, denn Gabriela hat die Bürokratie ausgetrickst, indem sie gegenüber dem obigen Arzt behauptet hat, bereits einen Termin für die Lebersprechstunde in Mainz erhalten zu haben – der wundert sich zwar, denn eigentlich ist dort kaum ein Termin zu kriegen, aber er schreibt eine Überweisung aus. Und in Mainz sagt sie, sie habe bereits die Überweisung vom Facharzt – und bekommt prompt einen Termin.

      Mittwoch, 27. Juni 2001

      Reinhard fährt mit Gabriela zur Lebersprechstunde nach Mainz, und sie kommen mit einem Termin für den 13. Juli zur stationären Aufnahme auf der NSK9 wieder raus. Hoffentlich finden sie dort endlich die Ursache für all die seltsamen Beschwerden und Vorkommnisse.

      Montag, 9. Juli 2001

      Brief von Dr. H. nach Übergabe der uns zur Verfügung stehenden Blutwerte Reinhards:

      Sehr geehrte Frau Georgi-Hellriegel,

      anbei einige Anmerkungen zu den Unterlagen bezüglich der Erkrankung Ihres Bruders, die Sie mir übersandt haben: Endgültige Schlüsse lassen sich allerdings nicht daraus ziehen. Insgesamt zeigen die Werte, dass die Leberfunktion beeinträchtigt ist. Das erhöhte Volumen (MCV) der roten Blutkörperchen ist ein Merkmal einer Reifungsstörung, der erniedrigte Gerinnungswert deutet ebenfalls in die selbe Richtung und auch der einmalig erhöhte und dann nicht wieder bestimmte Ammoniakwert zeigt, dass die Syntheseleistungen gestört sind. Den Gallenstau repräsentiert der erhöhte Bilirubinwert und die erhöhten Werte für Serum-Transaminasen (Enzyme, die in der Leber lokalisiert sind) sind Merkmale der Schädigung der Leberzellen. Die Tatsache, dass es hier vom 30.5. bis zum 6.6. zu einem deutlichen Rückgang gekommen ist, deutet auf eine Verbesserung der Situation auf Grund der Abnahme des Staus hin. Auf Grund der Gabe von entwässernden Medikamenten, die offensichtlich fortgeführt wird, ist die Leber insgesamt entlastet worden. Die feingewebliche Untersuchung der Leber deckt sich insgesamt mit den Laborwerten. Allerdings kann man aus den mir vorliegenden Befunden nicht endgültig auf eine Ursache der Lebererkrankung schließen. Telefonisch haben Sie mir gegenüber ja auf einige weitere Werte hingewiesen, so unter anderem auf Anti-HCV, Anti-HAV (an Hepatitis-B-Marker kann ich mich nicht erinnern). Ich denke, dass man hier ja noch weiter suchen wird.

      Für heute Grüße aus Wuppertal

      Professor Dr. Dr. F. H.

      Dienstag, 10. Juli 2001

      Als Gabriela vom Einkaufen zurückkehrt, findet sie Reinhard verwirrt und desorientiert und mit Sprechschwierigkeiten vor. Der von ihr benachrichtigte Notarzt schreibt sofort eine Einweisung für die Klinik. Dort wird eine Darmreinigung per Klistier vorgenommen, da wegen schlechten Stuhlgangs zu viele Gifte im Körper zurückbleiben, die für die erneute Störung des Gehirns verantwortlich sind.

      Dank des Internets, das heutzutage viele Nachforschungen erleichtert, habe ich mich bereits vor Tagen schlau gemacht über die Leber, entsprechende Störungen, Leberzirrhose und deren Folgen bzw. Behandlungsmöglichkeiten. Es ist erstaunlich, welche wichtigen Aufgaben die Leber in unserem Körper leistet, aber leider ist ein Ausfall bzw. eine Beeinträchtigung dieses Organs dann auch sehr dramatisch und einschneidend.

      Meine Freundin Angela, mit der ich am Abend über unsere Sorgen spreche, erzählt mir von einer Fernsehsendung über eine Leberlebendspende, die vor Kurzem gelaufen ist – leider habe ich sie verpasst. Aber über die Internetadresse, die sie mir gibt, erfahre ich Hochinteressantes:

      Die erste Leberlebendspende bei einem Kind wurde 1989 in Australien vorgenommen, bei einem Erwachsenen 1994 in Japan. 1991 wurde in Hamburg die erste Leberlebendspende bei einem Kind in Europa durchgeführt und bis heute wurde 102 Kindern ein Leberteil lebender Spender, d.h. ihrer Eltern transplantiert. Jedoch ist die Leberlebendspende zwischen Erwachsenen offenbar ein relativ neuer Zweig der Transplantationschirurgie, zumindest bei uns in Deutschland, der erst an wenigen deutschen Kliniken durchgeführt wird, wodurch aber für den Empfänger die durchschnittliche Wartezeit von einem Jahr bei einem Spenderorgan auf herkömmlichem Weg verringert werden kann. Anfang dieses Jahres wurden in Hamburg erstmals Leberlebendtransplantationen zwischen Erwachsenen vorgenommen, und in beiden Fällen verliefen die Operationen für Empfänger wie Spender komplikationslos. Das Tolle an dieser Geschichte ist – und nur deshalb ist es überhaupt möglich – dass die Leber offenbar das einzige Organ im menschlichen Körper ist, das sich innerhalb weniger Wochen wieder vollständig regenerieren, also zu seiner ursprünglichen Größe heranwachsen kann. Transplantiert, d.h. vom Spender zum Empfänger übertragen wird dabei der rechte Leberlappen, da er den größeren Teil der Leber ausmacht und man so individuell den Anteil bestimmen kann, der je nach Größe und Gewicht des Empfängers variiert. Das Risiko für den Spender beträgt ungefähr 0,4 %, und als Spender kommen nur Personen in Frage, die erwachsen sind, keine ernsthaften Erkrankungen hatten und über eine gesunde Leber verfügen. Auch die genetische und emotionale Verwandtschaft ist offenbar sehr wichtig und natürlich die Freiwilligkeit der Spende, d.h. niemand darf den Spender unter Druck setzen, sondern er muss sich unabhängig und frei für diese Spende entscheiden. Wichtig für eine erfolgreiche Transplantation sind weiterhin:

       Blutgruppenverträglichkeit,

       ausgewogenes Größenverhältnis zwischen rechtem und linkem Leberlappen,

       psychologische, morphologische und anatomische Eignung.

      In einer anderen Publikation finde ich den Hinweis, dass „trotz ausgiebiger vorbereitender Untersuchungen die Lebendspende ein hohes Risiko für den Spender“ bedeutet – offensichtlich sind sich die Ärzte und Verantwortlichen noch nicht so recht einig darüber, denn die oben genannten 0,4 % finde ich nun nicht

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