Misericordia City Blues. Christian Urech

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Misericordia City Blues - Christian Urech

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sich, werden zu einer Musik, absichtslos, aber unendlich tröstlich, der Moment des Einschlafens ist wie Heimkommen, eine kleine Erlösung. Bevor das Licht der Kerze erlischt, sehe ich, wie der junge Mann wieder zu einem Bündel auf dem Boden wird. Ich wollte es erkunden mit meinen Sinnen, ertasten mit meinen Händen, erlauschen mit meinem Ohr. Doch da ist nur noch ein leeres Bündel, ein schwarzes Ding in einem schwarzen Ding…

      Eins

      Es ging schon gegen Morgen. Im Wachsaal war – so paradox das klingt – ein vielstimmiges Schnarchen, Murmeln, Seufzen und Schmatzen der chemisch betäubten Patienten zu vernehmen. In einer Ecke sass die Nachtschwester über einer «Gala» oder «Glückspost» zusammengesunken und schlummerte ebenfalls selig und süss. Nur zwei waren wach: Don Quichotte und Sancho Pansa. Denn sie wollten noch in dieser Nacht abhauen.

      Eine Welt voller Abenteuer und Aufgaben erwartete sie.

      Komm, die Zeit ist da! ¡Vamos! zischte Don Quichotte seinem Kumpel Sancho Pansa zu. Mit blossen Füssen und in ihren weissen Nachthemden erinnerten sie ein bisschen an Kindergespenster, als sie jetzt aus den Betten stiegen, der eine gross und hager, ein typischer Leptosome (paranoide Schizophrenie, wie der Psychiater befriedigt festgestellt hatte), der andere klein und kugelig, der typischer Pykniker mit einer für den Pykniker typischen manisch-depressiven Neigung. Und schon stand Don Quichotte dicht vor der Nachtschwester und schaute ihr mit durchdringendem Blick ins Gesicht, was diese aber nur veranlasste, die Nase kraus zu ziehen, als müsse sie niesen. Vorsichtig zog ihr Don Quichotte den Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete die Tür des

      Wachsaals. Adiós, arme Brüder, murmelte er, und der kleine Dicke winkte mit der feisten Hand.

      Die beiden hatten sich erst hier in der Klinik kennen gelernt, waren aber trotz ihrer äusserlichen und charakterlichen Unterschiedlichkeit schon bald unzertrennlich geworden. Stundenlang hatte man sie die Köpfe zusammenstecken und Don Quichotte leise, aber eindringlich auf Sancho Pansa einreden sehen, während dieser eifrig mit dem Kopf nickte zu den Erläuterungen seines gross gewachsenen, dürren Kumpels.

      Nachdem sie durch endlos lange Gänge gehuscht waren, zwei Kindergespenster, bange horchend auf verdächtige

      Geräusche, aber ohne aufgehalten zu werden, standen sie jetzt vor dem Gebäude in der lauen Luft der

      schönbesternten Sommernacht. ¿Adónde vamos ahora? fragte Sancho Pansa, der die Entscheidungen immer anderen, die es besser wussten, zum Beispiel seinem langen Kameraden, überliess. Don Quichotte überlegte

      eine Weile und sagte dann bestimmt: Zum Schwimmbad!

      Sancho daraufhin irritiert: ¿Ma porqué? Das Schwimmbad ist doch geschlossen um diese Zeit. Aber Don Quichotte liess diesen Einwand nicht gelten: Als Toboser könne man jederzeit an jeden beliebigen Ort gehen, also auch ins Schwimmbad, selbst wenn dieses geschlossen sei. Umso besser, wenn es geschlossen sei. Denn, so führte er aus, im Schwimmbad seien sie vor der Verfolgung des Feindes sicher. Ausserdem würde es ihnen da bestimmt gelingen, morgen, wenn die ersten Badenden kämen, einige passende Kleidungsstücke zu erbeuten. In diesen Fetzen könne er sich jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit zeigen, geschweige denn auf ein Pferd oder gar einen Lufthund setzen. Nicht einmal Unterhosen habe er an.

      Natürlich sei es für einen Toboser irrelevant, ob er Unterhosen trage oder nicht, aber er wolle sich ja nicht so leicht zu erkennen geben. Tarnung, lieber Sancho, Tarnung ist das erste Gebot, wenn man mit geheimer

      Mission im Feindesland unterwegs ist, schärfte der Ritter seinem Knappen ein.

      Ausserdem habe er einfach Lust auf ein erfrischendes Bad.

      Das alles erschien Sancho einerseits nicht so recht plausibel, das heisst, er verstand es nicht ganz, zudem

      konnte er nicht schwimmen und war überhaupt wasserscheu; andererseits wusste er, dass sein Verstand zu beschränkt war, um so komplexe Materien wie die Angelegenheiten Don Quichottes zu durchdringen, und er

      war immerhin so gescheit, seine eigene Beschränktheit zu erkennen und anzuerkennen.

      Das öffentliche Schwimmbad der Gemeinde, zu welcher die Anstalt gehörte, befand sich auf der anderen Seite des Waldes, der die Klinik von der Ortschaft trennte. Also machten sie sich mit ihren blossen Füssen auf, diesen

      Wald zu durchqueren: Don Quichotte fluchend, wenn er auf einen spitzen Stein getreten war oder sich die Zehen

      angeschlagen hatte, Sancho Pansa alle Heiligen des Himmels anrufend, weil er sich in der Dunkelheit ein

      wenig fürchtete und das Anrufen von Heiligen ja nie schaden kann.

      Nach einer Zeit, die ihnen schier endlos erscheinen wollte, weil sie sich natürlich verlaufen hatten, langten sie endlich beim Schwimmbad an, das von einem knapp mannshohen Drahtgitter umzäumt war. Don Quichotte nahm dieses Hindernis im Sturm und landete auf der anderen Seite des Zauns zwar auf der Nase, doch fiel er des Rasens wegen relativ weich. Sancho Pansa jammerte und stöhnte, er werde es nie schaffen, über diesen Zaun zu kommen; eine Selbsteinschätzung, die sich schliesslich nur darum als Irrtum erweis, weil der Glaube, und erst recht der Glaube eines Don Quichotte, Berge versetzen kann.

      Inzwischen dämmerte schon der Morgen herauf, die Luft war jetzt empfindlich kühl. Der arme Sancho, obwohl der weitaus besser gepolsterte, aber auch der weitaus empfindlichere von beiden, begann zu frösteln. Ausserdem

      war er müde und sehnte sich nach einem Bett. Don Quichotte hingegen beschwor wortreich die Atmosphäre

      Tobosos und die Tiefen des Alls, im heiligen Wasser gespiegelt, vor welchen sowohl Mensch als auch Toboser

      nackt erscheinen würden. Und tatsächlich, da stand der würdige Ritter auch schon gänzlich entblösst auf dem

      gepflegten Schwimmbadrasen zwischen Zierschilf und Bambusgestrüpp, machte einige Freiübungen nach gut

      müllerscher oder nach Art von Turnvater Jahn, kreiste mit den Armen, atmete tief durch, nahm einen Anlauf und

      tauchte kopfvoran ins heilignüchterne Element. Sancho schaute mit bekümmerter Miene zu, wie der edle Herr

      seine Runden schwamm. Er zog heissen Kaffee einem kalten Bad bei weitem vor.

      Etwas später hörten sie, wie ein Auto vor dem Schwimmbad anhielt. Wir müssen uns verstecken, rief Don Quichotte, der Feind naht! Es nahte aber bloss der Bademeister, der seine Runde machte, gestern liegen gebliebenes Eiscrèmepapier vom Rasen hob, die chemische Zusammensetzung des Badewassers kontrollierte, bevor er das Bad fürs Publikum, das aber erst vom späten Vormittag an zahlreicher herbeiströmen würde, öffnete.

      Als erste Besucher kamen wie immer die pensionierten Kummers, er lang und dünn, sie klein und mollig, um in

      Ruhe zu schwimmen. Am Nachmittag, wenn jeweils die heutige Jugend, die ja bekanntermassen ungezogen, frech und verdorben ist, das Bad in Beschlag nahm, wurde das ganz unmöglich.

      So früh am Morgen war es noch nicht einmal nötig, die Kleider in Kästchen einzuschliessen. Und für Rohköstler

      wie die Kummers war der frühe Morgen einfach eine herrliche Tageszeit.

      Mit angehaltenem Atem standen Don Quichotte und Sancho Pansa hinter dem Vorhang der Männergarderobe,

      der

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