Wie in einem Spiegel. Eckhard Lange

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Wie in einem Spiegel - Eckhard Lange Antike Sagen - für unsere Zeit erzählt

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zum Höhepunkt kam; und ich wusste damals wirklich noch nicht, dass alle Lust zu diesem Ziel führen muss, in dem alles endet in einem gewaltigen Schrei, in dem Tod und Leben für einen Augenblick eins werden und die Zeit zur Ewigkeit. Sie aber verschaffte mir diese lustvolle Qual des unerfüllten Wartens, wusste geschickt im letzten Moment innezuhalten und zog so die Zeit in die Länge, bis sie selber aufstöhnte, mich an sich presste, ihre Schenkel heftig um mich schlang und ihren ganzen Körper rhythmisch schwingen ließ. So verschaffte ich ihr ihren Orgasmus, ehe ich selbst spürte, wie etwas sich in sie ergoss, während dieses unbeschreibliche Gefühl vollständiger Lust mich überwältigte. Es war mein erstes Mal, und ich weiß jetzt, nach all den Jahren, dass es nie wieder so wunderbar, so überraschend schön, so erregend und befreiend gewesen ist wie damals, dort auf dem weichen Moosbett unter den Bäumen von Lenorenlund. -

       Du hast dich verführen lassen, Jason Yolck, nach allen Regeln dieser Kunst des Weibes, du hast dich verführen lassen wie eine alternde reiche Witwe von einem geschickten Heiratsschwindler, und du hast es genauso wenig erkannt wie dessen Opfer. Hast du denn keinen Augenblick bemerkt, mit welcher Berechnung sie dich umgarnt hat, mit welchen Tricks sie dich übertölpelt hat? –

       Ich habe sie geliebt! Ich habe sie doch nur geliebt in diesem Augenblick. –

       Richtig! Du hast dieses wunderbare Gefühl für einen Moment der Lust geopfert, und nun konntest du nicht mehr lieben, nicht wahr? Jedes Mal stand dir diese Erinnerung vor Augen, und jedes Mal musstest du sie verbinden mit der bitteren Einsicht, getäuscht, betrogen, ausgenutzt zu werden. -

       Warum quälst du mich damit? Warum kann ich nicht diese Erinnerung rein und keusch im Gedächtnis behalten, warum nimmst du mir das Glück, das ich damals erlebt habe? –

       Weil es kein Glück war, Jason, sondern dein Unglück! Und das ist die Wahrheit, der du ins Auge sehen musst. Weißt du denn nicht, was danach geschah? -

       Doch, und all die Enttäuschungen, die ich erlebt habe in den Jahren danach, zählen nichts angesichts jener schrecklichen Erkenntnis, nur benutzt worden zu sein für ganz andere Zwecke. Zweimal noch haben wir uns dort im Wald getroffen, dann setzte der Regen ein, und Anita drängte mich, sie auf mein Zimmer mitzunehmen. Natürlich war das nicht gestattet, war das gegen mein Gelöbnis, aber das, wonach ich mich tagsüber sehnte, war stärker. Als Primaner bewohnte ich ein Einzelzimmer, und schließlich war ich auch volljährig, niemand würde unangemeldet den Raum betreten. So nahm ich eine Gestalt mit ins Haus, die mit Jeans, einem weiten Pullover und einer Basecap, unter der sich ihre Haare gut verstecken ließen, von weitem eher einem der Jungen aus dem Internat glich. Und stets trennten wir uns danach noch in meinem Zimmer. „Lass mich lieber allein gehen,“ sagte sie, „das fällt weniger auf. Wenn mich wirklich einer der Erzieher erwischen würde, könnte dich niemand verdächtigen, und ich würde dich niemals verraten!“ -

       Und dir ist nie aufgefallen, dass seit dieser Zeit sich laufend Diebstähle im Schloss ereigneten? Dass Geld und Uhren und teure Markenklamotten verschwanden, immer wieder, ohne dass je ein Dieb gefasst wurde? Dass Misstrauen wuchs und Verdacht geäußert wurde, bis die Atmosphäre im Haus unerträglich wurde? –

       Wie sollte ich wissen, dass Anita es war, dass sie mich nur deshalb verführt hatte, um ins Schloss zu gelangen? Hinaus kam sie ja jederzeit, von innen durfte keine Tür verriegelt sein. Kann man jemand verdächtigen, dem man sein ganzes Glück verdankt? Kann man überhaupt solche Gedanken haben, wenn man liebt – von ganzer Seele und mit seinem ganzen Gemüt und mit allen Fasern seines Herzens, wie irgendwo geschrieben steht? -

       Und ist dir nie bewusst geworden, dass diese Anita beides genoss – die Lust der Liebe, die du ihr als gelehriger Schüler immer wieder bereitet hast, und die Lust am Verbotenen, den prickelnden Reiz des Abenteuers, den jeder Einbruch ihr verschaffte, das Gefühl des Erfolges, wenn sie ihr Diebesgut in Geld verwandelte und ihr Konto anwuchs Tag für Tag? –

       Warum musst du auch unsere Liebe hineinziehen in das Verbrechen, warum willst du mich zum Mitschuldigen machen, der ich doch schuldlos war, unschuldig in allen Bedeutungen, die dieses Wort haben mag? –

       Nein, Jason! Blind warst du, deinen Verstand hast du zur Seite gelegt wie ein schmutziges Wäschestück, aber unschuldig warst du deshalb nicht. Sieh der Wahrheit ins Auge – auch wenn dieses Auge kalt und grausam blickt und nicht grüngrau und lächelnd. Du hättest es wissen können, das kannst du nicht leugnen. Du hättest es verhindern können, das kannst du nicht abstreiten. Und, als sie dann plötzlich eines Tages fortblieb und die Frauen in der Küche dir verrieten, Anita habe gekündigt, und als mit dem gleichen Tage die Diebstähle aufhörten – du hättest den Zusammenhang erkennen und melden müssen, um alle deine Kameraden vom Verdacht reinzuwaschen. Das weißt du genau. Aber du warst feige, weil du nicht hineingezogen werden wolltest, weil dein Ansehen bei den Erziehern und Lehrern und bei deinem geliebten Dr. Scheer auf dem Spiel stand, weil du fürchten musstest, ein Jahr vor dem Abitur aus dem Internat entfernt zu werden. Das ist die Wahrheit, Jason Yolck: deine Feigheit, Verantwortung zu übernehmen. An diese Feigheit muss ich dich erinnern, nicht an das, was du Liebe nennst.

      KAPITEL 5

      Es blieb ihm noch eine zweite Ferienwoche, und Jason beschloss, seinen Onkel aufzusuchen. Er hatte sich genug zusammengespart aus seinem Taschengeld und nach seinem achtzehnten Geburtstag einen gebrauchten Mini billig erworben. Für die wenigen Ausflüge reichte ihm das Fahrzeug allemal. Diesmal musste es eine längere Reise werden, und so brach er schon früh auf, um möglichst rechtzeitig anzukommen. Man hatte ihm ein kleines Hotel am Stadtrand empfohlen, wo er preiswert übernachten konnte, denn auf keinen Fall wollte er in jene Villa eingeladen werden, die vor langen Jahren einmal sein Zuhause war.

      Es war früher Nachmittag, ein regnerischer, trüber Tag, als er an jenem Tor mit den zwei schon leicht geneigten Rundtürmen vorbei fuhr, das zum Wahrzeichen seiner Heimatstadt geworden war. Sein Ziel war der Friedhof draußen vor dem anderen Stadttor, war das Grab der Mutter irgendwo dort unter den altgewordenen Bäumen. Er hatte nur sehr unklare Vorstellungen von dem Weg, den er dort nehmen musste, hatte er doch seit längerem nicht mehr die Grabstätte aufgesucht, und dann war es Winter gewesen, bei einem seiner weihnachtlichen Besuche beim Vater. Jason parkte den Wagen in einer Seitenstraße, ließ sich in einem Blumengeschäft einen Strauß gelbbrauner Herbstastern binden und trat durch das Tor des Gottesackers. Mehrfach ging er in die Irre, kehrte immer wieder zum Eingang zurück, um einen neuen Versuch zu starten, und endlich stand er vor dem großen Stein und einem reichlich ungepflegten Grabhügel. Der Vater schien sich nicht mehr um die Grabstätte zu kümmern, der Onkel offensichtlich auch nicht.

      Der Regen hatte zugenommen, Jason zog die Kapuze seines Anoraks über den Kopf und stand lange bewegungslos da. Da er keine Vase fand, hatte er den Strauß vor den Stein gelegt. Ob er nun rascher vertrocknen würde, das blieb letztlich gleich, niemand würde es bemerken, und niemand den Strauß wieder entfernen. Als es dämmerte, fuhr er an den Rand der Altstadt und wanderte ziellos durch die Straßen. Vor dem Schaufenster jener Apotheke, die der Großvater einst betrieben hatte und die noch immer den alten Namen trug, blieb er stehen und betrachtete die Auslagen. Und dann sah er sie, die bekannten Packungen jener beiden Arzneien, die einmal zum Aufstieg der Yolck Pharma geführt hatten und noch immer ihren Reichtum ausmachten. Morgen also würde er dorthin fahren. Er hatte sich nicht angemeldet, und ihm kamen plötzlich Bedenken, einfach dort vorzusprechen. Der Onkel könnte ja auf Reisen sein, oder durch Termine gebunden und in Eile. Jedenfalls sollte er vorher anrufen und sich anmelden. Gleich am Morgen würde er vom Hotel aus versuchen, einen Zeitpunkt für seinen Besuch auszumachen.

      Er schlief unruhig diese Nacht, mag nun das ungewohnt harte Bett oder die innere Anspannung daran Schuld gewesen sein. Beim Frühstück bat er um

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