Der Herr des Krieges. Peter Urban
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Arthur hatte sich hoch und heilig geschworen, erst dann wieder eine Schlacht zu schlagen, wenn er absolut sicher war, einen totalen Sieg über seinen Gegner davonzutragen! Nach Talavera hatte er geschworen, sich nie wieder von irgend jemand zu einem Waffengang drängen zu lassen, und wenn es Englands Schutzpatron, der Heilige Georg selbst sein sollte. Nur wenn er alleine Herr des Krieges war, dann würde seine dünne, rote Linie feuern!
Am 23. November 1809 erreichte Lord Wellington in Tomar endlich die schreckliche und trotzdem so ersehnte Nachricht einer totalen Niederlage General Areizagos. Es war die schlimmste Demütigung, die je eine Armee auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet hatte hinnehmen müssen: Mehr als 56.000 Spanier waren von einer bunt zusammengewürfelten Truppe aus 30.000 Franzosen, Polen und Deutschen bei Oçaña, wenige Meilen vor Aranjuez aufgerieben worden. Spanien hatte 18.000 Mann Verluste zu beklagen, viele durch Desertion und Flucht vor dem Feinde. Del Parque, der in der Zwischenzeit mit mehr Glück als Verstand Salamanca genommen hatte, konnte die Stadt einfach nicht halten und wurde nur wenige Tage nach Oçaña verheerend bei Alba geschlagen. Spanien hatte seine beiden letzten, großen Feldheere durch eigenes Verschulden völlig aufgerieben. Nun war das Land verloren und dem französischen Kaiser auf Gedeih und Verderb ausgeliefert! Nun endlich hatte Arthur Wellesley den ersehnten Vorwand, um sein eigenes Feldheer aus Badajoz und Merida über die Grenze nach Portugal verschwinden zu lassen. Die Adler bedrohten endlich wieder frontal Englands ältesten Verbündeten. Nicht einmal die Zwietracht in Whitehall, der Krieg in den Commons und das Fiasko Chathams und Strachans in Hollands Sümpfen konnte einen 400 Jahre alten Vertrag zwischen zwei Nationen vergessen machen!
Wegen des Wintereinbruches beschützte nun die Natur Lissabon und gab Wellington eine weitere Verschnaufpause bis März oder April 1810. Der Tejo führte Hochwasser und war völlig unpassierbar für den französischen Feind geworden. Lediglich der schmale Korridor zwischen Ciudad Rodrigo und Almeida entlang des Douro bis Viseu, durch das Mondego-Tal über Coimbra und Pombal bis hinunter nach Lissabon mußte geschützt werden. Die letzte Stellung in dieser langgezogenen Verteidigungsposition war – Torres Vedras! Seine 30.000 Mann reichten hierfür aus. Das neue Hauptquartier der Briten sollte bis zum Frühjahr Viseu werden, eine alte Stadt, die spektakulär auf einem Hochplateau in den Bergen der Beira lag: Ein Adlernest, von dem aus man alles sehen und beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden, eine unangreifbare Position.
Am 1. Dezember tauchte Arthur überraschend aus dem Nichts in Badajoz auf. Auf die aufgeregten Fragen seiner Freunde und Untergebenen, wo er so lange gewesen sei, gab er keine Antwort. Rowland Hill, der in der Zitadelle ausgeharrt und tagtäglich einen Spießrutenlauf durch die Gänge der Politik im fernen London und im nicht ganz so fernen Sevilla unternommen hatte, fiel Wellington vor Erleichterung fast um den Hals. Auf dem Arbeitstisch des Generals lag ein gigantischer Haufen Post aus England, Lissabon und Sevilla. Hill hatte versucht, soviel er konnte im Namen und im Sinne seines Freundes zu beantworten, doch vor den pikanteren Schriftstücken hatte der General aus Shropshire kapituliert. Arthur sah sich den Schriftverkehr kurz an und winkte dann nach Somerset: „So, Rowland! Jetzt werden wir den Rest dieser wichtigen Fragen regeln! Somerset, bringen Sie mir bitte einen großen Papierkorb!” Der General griff sich den ganzen Stapel und warf ihn schwungvoll in das angeforderte Behältnis. Dann zeigte er mit dem Finger auf das Feuer im offenen Kamin: „Klassifizieren Sie’s, Somerset! Sofort und endgültig!”
Der erstaunte, junge Offizier wollte etwas erwidern, doch bevor er den Mund auch nur öffnen konnte, fauchte Arthur ihn an: „Tun Sie, was ich Ihnen befehle, Sir!”
Die Schriftstücke gingen in Flammen auf: „So, jetzt fühlen wir uns alle wieder besser, nicht war! Also, meine Herren, an die Arbeit!“ Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und schrieb in weniger als zehn Minuten vor den erstaunten Augen aller Anwesenden 20 Marschbefehle für das britische Feldheer aus: „Somerset, Campbell, Don Antonio, Sie verteilen diese Dinger jetzt sofort. Morgen früh rücken die ersten Einheiten ab, nächste Woche will ich keinen einzigen britischen Soldaten mehr innerhalb der Grenzen Spaniens sehen! Und Craufurd soll in spätestens einer Stunde hier bei mir aufkreuzen! Wie er das anstellt, ist mir egal! Los, verschwindet!”
Die drei Offiziere waren so von ihrem Kommandeur überrumpelt worden, daß sie aus dem Arbeitszimmer stoben wie aufgeregte Hühner. Schwungvoll warf der General hinter ihnen die Tür ins Schloß. Hill und Robertson sahen sich verwundert an. Dann nahm Hill seinen ganzen Mut zusammen: „Bist du völlig übergeschnappt, Wellesley! Du hast gerade sämtliche Befehle aus London verbrannt und Gott weiß wie viele Briefe von Bart Frere und Henry Wellesley aus Sevilla, von deinem Bruder Mornington, von Castlereagh etc.”
„Welche Befehle? Ich habe keine gesehen! Das britische Feldheer zieht sich nach der vernichtenden Niederlage von General Areizago bei Oçaña blitzartig vor der französischen Übermacht nach Portugal zurück. Da geht schon mal was verloren. Selbst bei einem ordnungsliebenden Menschen wie mir!“
„Willst du uns nicht endlich erzählen, was du in den letzten zwei Monaten getrieben hast und was du jetzt vorhast? Ich glaube, auch wir haben ein Recht zu erfahren, was gespielt wird!” Hill war fürchterlich wütend auf seinen Freund, weil dieser ihn nicht nur schrecklich überrumpelt hatte, sondern auch, weil Arthur ihn acht lange Wochen mit allem Ärger und dem gesamten Feldheer alleine gelassen hatte. Er malte sich in seinem Inneren schon in den schlimmsten Farben aus, wie Whitehall und die Horse Guards alle Beteiligten in Stücke reißen würden. Robertson schwieg sich aus, denn der lange Arm der katholischen Kirche hatte dieses Mal nicht ausgereicht, um ihn mit dem zu versorgen, was für ihn so notwendig war, wie die Luft um zu Atmen: Informationen. Er hatte die dumpfe Befürchtung, daß das Schwert mit dem Schild spielte. Der Priester haßte dieses Gefühl, denn er erkannte, daß die Fäden ihm entglitten und er nur noch eine Schachfigur war, wo er sich zuvor als Spieler gesehen hatte. Es kratzte grauenvoll an seinem Selbstwertgefühl.
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